Giorgio Agamben

Was von Auschwitz bleibt

Das Archiv und der Zeuge
Cover: Was von Auschwitz bleibt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518123003
Kartoniert, 160 Seiten, 9,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Stefan Monhardt. Dieses Buch ist keine Sammlung neuer historischer Materialien zu Auschwitz, sondern "ein Kommentar zu den Zeugnissen": Es unternimmt den eigenständigen und grundsätzlichen Versuch, Sinn und Möglichkeit des Zeugnisses überhaupt zu klären. Agambenbezieht Position gegen den Topos von der "Unsagbarkeit" des Lagers. Zugleich aber stellt er, im Gefolge Primo Levis, die Frage nach der Instanz des Zeugen: Wie können die Geretteten für die Untergegangenen sprechen? Wie können sie von einer Erfahrung berichten, die sie nicht bis auf den Grund und bis zum Letzten selbst gemacht haben? Die drei großen Themen des italienischen Philosophen - die Sprache, die Geschichte, die Gewalt - konvergieren in der zentralen Einsicht: Die Toten haben keine Stimme.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2003

Schon der erste Satz ist dem Rezensenten Tim B. Müller schlecht bekommen. Dort behauptet Giorgio Agamben nämlich, "das Problem der historischen (?) Umstände der Vernichtung der Juden" sei "ausreichend geklärt". Wie bitte? Dass Agamben über "keinerlei Kenntnis der Historiografie des Holocaust" verfügt, stellt für Müller nicht nur einen "großen", sondern einen entscheidenden "Makel" dar, da doch mit den "historischen Fakten" Agambens Vorhaben, die Unmöglichkeit einer Ethik nach Auschwitz zu begründen, "steht und fällt". Agambens "homo sacer" kehre wieder als "der 'Muselmann' in Auschwitz", der Muselmann, das heißt der seiner "ethisch-politischen Menschlichkeit beraubte" Mensch, der zur schlicht "biopolitischen Substanz" geworden ist. Gegen Agambens Versuch, mit Hilfe der "vertrauten Meisterdenker" eine "unkorrumpierte" Ethik zu entwickeln, äußert der Rezensent jedoch zahlreiche Einwände. Unter anderem: Dass Agamben vergisst zu fragen, ob der Mensch überhaupt, unter welchen Umständen auch immer, auf das "nackte Leben" reduzierbar ist, dass er vor "Gedankenarbeit" flüchtet und zu oft der "Aporie" den Vorzug gibt, dass seiner "Täter-Opfer-Beziehung" jegliche "Dynamik" fehlt, dass er Auschwitz zum "philosophischen Lehrstück" und den Muselmann zur "condition humaine" reduziert, und dass das "Versagen der Ethik in Auschwitz" nicht das "Versagen aller Ethik" bedeutet. Nach dieser Vorwurfslawine klärt sich der Himmel ein wenig auf, und der Rezensent geht zu den Stärken des Buches über, die er vor allem darin sieht, dass der kritische Leser, sprich jener, der Agambens "Logik des Alles oder Nichts" widerstehen kann, "zahllose Denkanregungen" erhält, wie etwa die - sprachtheoretische - Verknüpfung der ethischen Fragestellung mit der Figur des "Zeugen". Mit diesem Buch, so Müller, ist Agamben ein "großer, erschütternder" Beitrag zur "Trauma-Diskussion" gelungen, auf keinen Fall aber eine "neue Ethik".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.09.2003

Schon das Vorgängerbuch "Homo Sacer" des italienischen Philosophen Giorgio Agamben muss bei Niels Werber auf großen Respekt gestoßen sein. Agambens neuer Essay schließe dort an, erklärt Werber: erneut befasse sich der Autor mit der "biopolitischen Spaltung" unserer Gesellschaft, die Menschen und Nichtmenschen unterscheide. Historisch mache Agamben diese Unterscheidung am Beispiel von Auschwitz fest, führt Werber weiter aus, wobei Agamben seine Aussage soweit zuspitze, dass er behaupte, im Lager hätten überhaupt keine Menschen existiert, sondern nur "Nichtmenschen und Unmenschen". Doch jede moderne Gesellschaft produziert heutzutage solche Ausnahmezonen, die alle Gefahr liefen, zum Normalzustand erklärt zu werden, lautet nach Werber die Kernaussage Agambens. Als solche erscheine sie nicht besonders sensationell, setzt Werber hinzu und meint, das Provozierende bei Agamben läge in dessen Fähigkeit zur Zuspitzung und Generalisierung seiner Aussagen. Werber legt in seiner Rezension schlüssig die Gedankengänge Agambens dar, ohne dabei etwas über Sprache und Stil des Autors zu verraten. Den kann man nur erahnen: sachlich und literarisch bewandert.