Anna-Katharina Hahn

Das Kleid meiner Mutter

Roman
Cover: Das Kleid meiner Mutter
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518425169
Gebunden, 311 Seiten, 21,95 EUR

Klappentext

Madrid im Sommer 2012: Krass zeigen sich in der Hauptstadt die Auswirkungen der jüngsten Wirtschaftskrise. Die junge Ana María, genannt Anita, gehört zur "verlorenen Generation", der jede Möglichkeit einer selbstbestimmten Existenz genommen wurde. Ihr Bruder, ein promovierter Germanist, hat sich bereits nach Berlin abgesetzt, um auf dem Bau sein Geld zu verdienen. Anita ist aus Not in ihr altes Kinderzimmer zurückgezogen. Halt geben ihr neben der Familie nur ihre Freunde, die das Schicksal der Dauerarbeitslosigkeit mit ihr teilen, und die regelmäßigen Demonstrationen auf der Puerta del Sol im Herzen der überhitzten Metropole. Doch alles Schlimme lässt sich noch steigern: Eines Tages liegen Anitas Eltern tot in der gemeinsamen Wohnung. Unversehens rutscht sie in das Leben der Mutter hinein. Anita muss nur eines ihrer Kleider überstreifen, schon halten sie alle - auch Mutters geheimnisvoller deutscher Liebhaber - für Blanca. Und deren Alltag ist viel aufregender, als Anita sich hätte träumen lassen...

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.07.2016

Soziale Millieus gestochen scharf abbilden, das kann Anna Katharina Hahn, was sie mit "Kürzere Tage" bewiesen hat, findet Rezensent Ijoma Mangold. "Das Kleid meiner Mutter" beginne ebenfalls vielversprechend, mit einem ähnlich gekonnten Zugriff auf die Gegenwart Spaniens, seiner lost generation, einer jungen Generation, die akademisch gut ausgebildet und trotzdem arbeitslos ist. Doch als der Roman zum Künstlerroman umschwingt, gerät alles aus den Fugen, klagt der Kritiker. Prätentiös, pathetisch und ungeschickt kommen Hahns Versuche daher, in eine "Dimension künstlerisch-existenzieller Radikalität" vorzudringen, schreibt Mangold enttäuscht. Das behauptete Genie, der Schriftsteller Gert De Ruit, auf dessen Spuren sich die junge Protagonisten begibt, wirke so ganz und gar nicht genial, eher wie ein mittelmäßiger Möchtegern, ein Selbstdarsteller. Fazit des Rezensenten: Was so leichtfüßig und vielversprechend begann, scheitert am Ende "kolossal".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.07.2016

Rezensent Christoph Schröder ist hingerissen: Dieser zwischen Fantasie und Realität changierende, sich in unzählige Handlungsstränge auflösende Roman  ist "hochliterarisch", verspricht er. Worum geht's? Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2002 findet eine junge arbeitslose Spanierin ihre beiden Eltern tot im Bett liegend. Den Behörden meldet sie das nicht. Statt dessen geht sie weiter ihrem Alltag nach. Doch wenn sie das Kleid ihrer Mutter überzieht, schlüpft sie in deren Haut, erzählt Schröder. Über einen geheimnisvollen Schriftsteller spielen Deutschland und der Nationalsozialismus eine Rolle, außerdem das Bürgertum und die Politik, Schauerromantik und die Gruppe 47. Vielleicht ist alles auch nur eine Fantasie der Protagonistin? Klingt kompliziert, aber Anna Katharina Hahn "kann das", versichert der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.06.2016

Beatrice von Matt staunt über die kühne Konstruktion dieses Romans, der an die Irrealisierungen deutscher Romantiker denken lässt, sich aber mit dem gegenwärtigen Madrid unter den Eindrücken der Wirtschaftskrise und allgemeinem Jobmangel befasst. In diesem Szenario nabelt sich eine Tochter umständlich und für den Leser unter allerlei "Verwirrspielen" von ihrer Mutter ab, erfahren wir von der Rezensentin. Dabei findet das Buch von einer anfangs recht simplen Form zu immer surrealeren, nie ausgedeuteten Episoden, die sich zudem noch tief mit der Literaturgeschichte verwurzeln. Und zumindest dieses Spiel mit den Allusionen glückt der Autorin und ihrem "erfindungsreichen" Roman, lobt von Matt, die allerdings auch tadeln muss: Die Erzählperspektive aus der Ich-Perspektive kommt ihr "verfehlt" vor - eine aus der dritten wäre ratsamer gewesen. Und dass die Spanier in diesem Buch deutsche Umgangssprache sprechen, will der Kritikerin schon gar nicht einleuchten. Zu einem Meisterwerk hat es damit zum Bedauern der Rezensentin leider nicht gereicht

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.06.2016

Ein spanisches Märchen liest Rezensentin Judith von Sternburg mit Anna Katharina Hahns Roman "Das Kleid meiner Mutter" und hat dabei einen "Heidenspaß", obwohl die Themen durchaus nicht nur lustig und leicht sind. Scharfsinnig skizziere die Autorin Probleme wie Arbeitslosigkeit, unter der die junge Romanheldin wie die Hälfte der Jugendlichen in Spanien leidet, und verquickt sie mit einer Geschichte des Literaturbetriebs, "meisterlich" eingesetzen romantischen Motiven und einem Roman im Roman. Dabei wechselt sie gekonnt zwischen den Tönen und lässt die Geschichte auf disziplinierte Art außer Rand und Band geraten, lobt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 19.03.2016

Es muss der Autorin riesigen Spaß bereitet haben, ihrem Hang zu Anspielungen einmal so ungezügelt nachgeben zu können wie im neuen Roman, vermutet Elmar Krekeler. Allerdings bemängelt der Kritiker, dass Hahn zu vieles dann auch noch einmal erklärt. Die Geschichte über eine Familie zwischen Deutschland und Spanien sei im besten Sinne unübersichtlich, so Krekeler, man komme darin ständig an "anmutig im romantischen Dunkel leuchtenden Bilderketten vorbei", die einen auch bei der Nacherzählung zum ständigen Abschweifen verleiten würden. Verfasst sei der Roman allerdings in einer weniger wilden Sprache, "die sich schlank und schnell in alle Winkel schmiegt". Trotz aller Verspieltheit bietet "Das Kleid meiner Mutter" ein Porträt der in Arbeitslosigkeit verlorenen jungen Generation Spaniens, stellt der Rezensent anerkennend fest.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2016

Rezensent Helmut Böttiger staunt über die katergestiefelte Leichtfüßigkeit, mit der Anna Katharina Hahn Gegenwartsposen der jügeren deutschen Literatur mühelos hinter sich lässt. Mehr als ein Kabinettstück scheint ihm der Roman zu sein, die Portion an romantischer Ironie darin gehörig. Dass Hahn die Fantasie Purzelbäume schlagen lässt, ein Porträt der verlorenen europäischen Jugend von heute mit Traumhaftem zu vermischen weiß, mit Intertextualitäten und Motiven aus dem deutschen Kunstmärchen und sie alles in eine schmissige Tonlage verpackt, gefällt Böttiger insgesamt recht gut.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.03.2016

Meisterlich findet Rezensent Andreas Platthaus, wie Anna Katharina Hahn in ihrem neuen Roman die Balance zwischen Kolportage und Thesenroman hält. Dass der Text eher ein kleines Publikum ansprechen dürfte, vermutet er aber trotzdem. Das liegt laut Platthaus an der "bolañesken" Genauigkeit, Detailliertheit und Wendigkeit, mit der die Autorin die Geschichte um eine junge Frau im Madrid des Krisenjahres 2012 konstruiert. Für Platthaus entsteht ein Decamerone aus tief menschlichen Geschichten, erstaunlich plakativ mitunter, aber im Ton glasklar.
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