Abdulrazak Gurnah

Ferne Gestade

Roman
Cover: Ferne Gestade
Penguin Verlag, München 2022
ISBN 9783328602606
Gebunden, 416 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Es ist ein später Novembernachmittag, als Saleh Omar auf dem Flughafen Gatwick landet. In einer kleinen Tasche, dem einzigen Gepäck, das der Mann aus Sansibar bei sich trägt, liegt sein wertvollster Besitz: eine Mahagonischachtel mit Weihrauch. Eben noch war Omar Inhaber eines Geschäftes, er besaß ein Haus, war Ehemann und Vater. Jetzt ist er ein Asylbewerber, und Schweigen ist sein einziger Schutz. Während Omar von einem Beamten ins Verhör genommen wird, lebt nicht weit entfernt, zurückgezogen in seiner Londoner Wohnung, Latif Mahmud. Auch er stammt aus Sansibar, hatte jedoch bei der Flucht aus seiner Heimat einst den Weg über den "sozialistischen Bruderstaat" DDR gewählt. Als Mahmud und Omar Jahre später in einem englischen Küstenort aufeinandertreffen, entrollt sich beider Vergangenheit: eine Geschichte von Liebe und Verrat, von Verführung und Besessenheit, und von Menschen, die inmitten unserer wechselvollen Zeit Sicherheit und Halt suchen. Ein differenzierter Blick auf die Themen Exil und Erinnerung: Im Original 2002 erschienen, wurde "Ferne Gestade" für den Booker-Preis nominiert. Jetzt liegt der Roman erstmals wieder in der Übersetzung von Thomas Brückner auf Deutsch vor, durchgesehen und mit einem erläuternden Glossar.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.04.2022

Rezensent Manuel Müller findet, dass man Abdulrazak Gurnah mit dem vom Feuilleton voreilig herangezogenen Label der postkolonialen Literatur eigentlich Unrecht tut, und sieht das auch in diesem nun wieder nachgedruckten Roman bestätigt. Wie in den anderen Romanen des von Sansibar nach Großbritannien emigrierten Schriftstellers sind Migration und Flucht zwar auch hier Thema: Ein 65-jähriger Mann flieht nach einem langen Gefängnisaufenthalt auf Sansibar nach England, wo er auf den Sohn der Familie trifft, die ihn damals denunzierte. Jedoch geht es im Grunde viel mehr um zutiefst moderne Themen wie Umstürze oder die "Macht der Masse", meint Müller, sowie um die Erfahrung der Obdachlosigkeit, die in der Moderne eine universelle ist - das zu beschreiben, könne vielleicht nur jemandem gelingen, der von der Insel Sansibar stammt, wo die Globalisierung ein "altbekanntes Phänomen" ist, vermutet der Kritiker. Jedenfalls ist es für ihn diese Beschreibungsgabe Gurnahs, die sein Werk lesenswert macht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.04.2022

Rezensentin Sylvia Staude folgt gebannt den zwei Ich-Erzählern und ihren sich überschneidenden Leben in Abdulrazak Gurnahs erneut auf Deutsch erschienenen Roman mit dem laut Kritikerin recht altmodischen Titel "Ferne Gestade". Der 60-jährige Rajab Shabaan, der eigentlich gar nicht so heißt, flieht aus Tansania nach England, wo man ihm Asyl gewährt. Dort wird er nicht nur mit der neuen, voreingenommenen Umgebung und seiner Vergangenheit, sondern auch mit dem Dolmetscher und Universitätsprofessor Latif Mahmud, der eigentlich Ismail Rajab Shabaan heißt, konfrontiert. Dieser möchte herausfinden, ob es sich bei dem angeblichen Mr. Shabaan um seinen Vater handelt, resümiert Staude. Mit dieser Geschichte führt der Nobelpreisträger das westliche Publikum zwar immer wieder auf "dünnes (Deutungs-)Eis", aber das kann dem Autor egal sein, meint Staude. Denn letztendlich ist "Ferne Gestade" ein hochkomplexer, nuancenreicher Roman, packend und scharfsinnig geschrieben, schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.03.2022

Abdulrazah Gurnah schreibt "Weltliteratur", das erkennt Rezensentin Sigrid Löffler spätestens nach der Lektüre dieses bereits 2001 im Original erschienenen Romans, den die Kritikerin für ein Meisterwerk hält. Erzählt wird die Geschichte von Saleh Omar, einem alten Mann, geflohen aus Sansibar, der in London Asyl sucht, aber mit niemandem sprechen will, außer mit dem Dolmetscher Latif Mahmud, den er noch aus Sansibar kennt, als beide in eine Familienfehde verstrickt waren, resümiert die Kritikerin. Die beiden Männer, gleichermaßen belesen und im Gespräch stets rekurrierend auf Melvilles "Bartleby", versuchen sich über die gemeinsame Erinnerung an Jugend, Kolonialerziehung und Flucht auszusöhnen, erklärt Löffler. Sie taucht in ein "Wimmelbild" des Alltags in Sansibar, lernt Clan-Strukturen und Hierarchien in der muslimischen Männerwelt, aber auch die "ethnische Diversität" der ganzen Region kennen. Und wie Gurnah gekonnt und gelehrt Verweise auf den Koran, westliche Klassiker, "1001 Nacht" und Shakespeare einflicht, ringt der Rezensentin ohnehin größte Anerkennung ab.
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