Außer Atem: Das Berlinale Blog

Neonpinke Leidenschaft im homophoben Brasilien: "Tinta Bruta" von Marcio Reolon und Filipe Matzembacher (Panorama)

Von Lara Ladik
19.02.2018.


Auch wenn die am Meer gelegene nordbrasilianische Millionenstadt Porto Alegre charmante Ecken haben mag, Marcio Reolon und Filipe Matzembacher schenken ihnen keine Beachtung. Das Brasilien in "Tinta Bruta" ist nicht das gut gelaunte Land der Caipirinhas, der makellosen Körper und - Nossa, Nossa! - mörderischen Hüftschwünge. Nein, für den jungen homosexuellen Pedro (Shico Menegat) ist seine Heimatstadt alles andere als ein "fröhlicher Hafen". Er lebt zurückgezogen in seinem Apartment in einer grauen Hochhauslandschaft. Doch inmitten dieser großstädtischen Tristesse hat der unter Depressionen leidende Pedro ein Mittel gefunden, ein bisschen Glanz in sein Leben zu bringen. Vor der Webcam performt er unter dem Pseudonym "Neonboy" live für schwule Chatrooms, in denen er mit seinem im Dunkeln leuchtenden Körper Bekannt- und Beliebtheit erlangt hat und dadurch nebenbei einen bescheidenen Lebensunterhalt verdient. Doch dann taucht der Tänzer Leo (Bruno Fernando) auf, der sich mit seinem überwältigenden Körper der gleichen Profession verschrieben hat und Pedros Erfolg bedroht. Der zunächst gefährliche Konkurrent schnell zu einem Liebhaber, dabei könnten sie nicht unterschiedlicher sein: Während Leo als charismatischer Tänzer mit seinen eleganten Bewegungen und seinem Lebensmut besticht, balanciert der schweigsame und traurige Pedro auf durchgetreten Turnschuhen wackelig durchs Leben.

Wie lebensverändernd es für Pedro ist, wenn jemand einen im Kern erkennt und die persönliche Geschichte versteht, setzen Reolon und Matzemberger bewegend in Szene, als Leo Pedros Gewalttat aus der Vergangenheit beinahe lyrisch nacherzählt. Dem schweigenden Pedro läuft nur still eine Träne über die Wange und unter diesem neuen Vertrauensschluss performen die beiden von nun an auch gemeinsam vor der Kamera: aus dem blauen Dunkel und unter pathetisch-anmutiger Musik fallen in Slowmotion neonpink leuchtende Münder von oben herab ins Bild, gefolgt von zwei pink ummalten Augenpaaren und grell-gelben Zungen und tropfendem Neon-Speichel. Manchmal stoppt das Bild als ein Foto zweier sich umspielender Körper, langsam faden die Bilder aus und werden abgelöst vom sich fortziehenden schillernden Liebesspiel eines zierlichen und eines muskulösen Körpers, von denen man sich ganz in den Bann ziehen lässt und gemeinsam mit den Darstellern alles andere vergisst, bis einen die wuchtig grauen Häuserfassaden plötzlich an die Härte der Außenwelt erinnern.



Abseits vom stillen Kämmerchen, in dem der einzig gebannte Blick jener der Zuschauer ist - aus dem Chatroom wie vor der Leinwand - häufen sich die in der Realität verachtend starrenden Blicke, denen Pedro ausgesetzt ist, wenn er sich dank Leo zum ersten Mal auf gesellige Parties traut. Close-Ups auf Pedros traurig erwidernden Blick ziehen sich durch den gesamten Film, bei Gesprächen ist die Kamera häufig lange nur auf ihn gerichtet. Doch obwohl er sich in einem unsteten Zustand zwischen Verletzlichkeit, Sinnlichkeit, Wut und Zerstörung befindet, verfällt der Film keiner Hoffnungslosigkeit gegenüber der homophoben Gesellschaft Brasiliens: im Laufe der Geschichte zeigen Reolon und Matzembacher auf mitreißende Weise und mit viel Feingefühl für kleine Gesten, Blicke und Worte, wie aus Zerbrechlichkeit Mut erwachsen kann, wenn der richtige Mensch den Weg kreuzt.

Tinta Bruta - Hard Paint. Regie Marcio Reolon und Filipe Matzembacher. Mit Shico Menegat und Bruno Fernande. Brasilien 2018, 118 Minuten (Vorführtermine)