Im Kino

Der zittrige Pfeil der Maus

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Michael Kienzl
20.09.2018. In Aneesh Chagantys Desktopthriller "Searching" macht sich ein Vater auf die Suche nach seiner in den Tiefen des Internets verschollenen Tochter. In "Uncle Drew", einem Basketballfilm von Charles Stone III, ist der eigentliche Witz nicht die Maske, sondern die Demaskierung.


Nur einmal sieht man per Facetime, wie sich der Witwer David (John Cho) mit seiner Tochter Margot (Michelle La) unterhält. Es ist eines dieser typischen Gespräche, die Eltern mit ihren fast erwachsenen Kindern führen: während der Vater ein wenig Quality-Time will, windet sich die kurz angebundene Tochter ungeduldig aus der Verhörsituation. Kaum hat sie aufgelegt, ist Margot in Aneesh Chagantys Langfilmdebüt "Searching" nur noch ein Phantom.

Schon in den ersten Minuten etabliert Chaganty die Isolation und emotionale Abhängigkeit seines Helden, lässt ihn Videos seiner verstorbenen Frau schauen oder hilflos und verloren an seinem Computer sitzen. Davids Liebe zu seiner Tochter wirkt, nachdem ihm sein Lebenszentrum abhanden gekommen ist, wie ein letzter persönlicher Antrieb. Zugleich bildet sie das Fundament der Erzählung. Denn kurz nach dem Videogespräch ist Margot nicht nur spurlos vom Erdboden verschwunden, sondern scheint nach kurzer Internetrecherche auch nicht die zu sein, für die David sie immer hielt.

Nach Levan Gabriadzes "Unfriended" und Timur Bekmambetovs "Profile" ist "Searching" der mittlerweile dritte von Bekmambetov produzierte Desktop-Genrefilm - oder vielleicht korrekter: Display-Film, weil darin nicht nur verschiedene Computer, sondern auch Smartphones zum Einsatz kommen. Die Leinwand wird zu einem fiktiven Bildschirm, auf dem sich Personen (beziehungsweise ihre Abbilder) und Erzählstränge verdichten. Wenn "Searching" im weiteren Verlauf der Handlung überwiegend bei dem in seinen eigenen vier Wänden verzweifelnden, bald selbst die Ermittlungen in die Hand nehmenden Protagonisten bleibt, dann setzt der Film seiner Freiheit zwar recht enge Grenzen, bleibt dabei jedoch weder fest in der Gegenwart verankert noch statisch.

Ständig ploppen neue Browser-Fenster und Tabs auf, werden neue Figuren über Facebook- oder Instagram-Profile eingeführt, muss sich der zittrige Pfeil der Maus seinen Weg zum nächsten Indiz suchen. Und zwischendrin stimmt praktischerweise das YouTube-Video "4 hours of relaxing instrumental music" auf den emotionalen Grundton der nächsten Szene ein. Erst einmal wirkt es überraschend, wie gut diese Dynamisierung des Bildschirms funktioniert, weil man eigentlich meinen könnte, dass die zwischen Protagonist und Zuschauer geschaltete (und anders als zum Beispiel bei einer Filmkamera nur selten aus dem Bewusstsein tretende) Technologie eine distanzierende Wirkung haben müsste.

In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, weil "Searching", selbst wenn Davids besorgtes Gesicht zwischendurch immer wieder auf den Bildschirm übertragen wird, die meiste Zeit wie ein POV-Shot funktioniert, der uns ganz in den Bildschirm eintauchen lässt. Wie gut diese Subjektivierung aufgeht, zeigt sich immer dann, wenn Chaganty seinen Protagonisten von den Displays löst - etwa, wenn David mit versteckter Kamera selbst ermittelt oder der Film mit News-Meldungen vorangetrieben wird - und dabei erheblich an Tempo verliert. Hauptdarsteller John Cho ist in "Searching" gleichermaßen Medium und Zentrum. Er fungiert nicht nur als Adapter zwischen Bild und Publikum, sondern auch (und vor allem) als emotionaler Verstärker für alles, was wir sehen.



Dabei hat der Film ein indirektes Verhältnis zur Zeit und Präsenz. Egal, ob es alte Fotos oder Videos sind, durch die sich David klickt, das meiste, was wir sehen, ist schon passiert. Zwar nehmen zum Beispiel alte Chats von Margot die Funktion einer Rückblende ein, aber durch die gleichzeitige, spürbare Anwesenheit des Vaters, bekommen sie - ähnlich wie die Heimvideos der verstorbenen Mutter - etwas Geisterhaftes. Es gibt auch immer wieder Live-Chats, aber die meiste Zeit sitzt ein einsamer Mann am Computer, der sich mit Menschen beschäftigt, die gar nicht richtig da sind und mit Ereignissen, die er nicht mehr beeinflussen kann.

Man könnte meinen, dass das ständige Hinterherhinken in der Zeit, wie auch die Unverbindlichkeit des virtuellen Raums, also die Tatsache, dass es deutlich schwerer ist, unmittelbar in Gefahr zu geraten, sich kontraproduktiv zur geforderten Ausweglosigkeit eines Thriller-Plots verhalten. Tatsächlich funktioniert diese Art der körperlosen Ermittlung - zu der es als Gegenstück die Arbeit der Kriminalbeamtin Rosemary (Debra Messing) gibt, von der wir allerdings nicht viel mitbekommen - ziemlich gut. Denn auch wenn es im Netz weniger direkte Gefahren gibt, erweist sich der virtuelle Raum immer noch als klassischer Schauplatz, den man durchforsten kann. Nach und nach arbeitet sich David durch geheimnisvolle Zimmer/Chatrooms, die erst noch gefunden werden müssen, sucht nach Schlüssen/Log-Ins, mit denen er sich Zutritt verschaffen kann und übersieht inmitten des Wusts an Details der alltäglichen Kommunikation schonmal das Wichtigste.

Wie sehr "Searching" auf traditionelle Genre-Erzählmuster vertraut, macht sich besonders im Schlussteil bemerkbar, wenn Chaganty einen bunten Strauß an abenteuerlichen Wendungen präsentiert. Das Internet ist bei ihm nicht nur ein austauschbarer Handlungsträger, sondern auch inhaltlich relevant. Während Margots Selbstdarstellung in sozialen Medien zunächst ein trügerisches Gefühl der Transparenz und Nähe vermittelt, stellt sich bald heraus, dass das Mädchen damit eigentlich nur seine Einsamkeit und Unverstandenheit verschleiert.

Obwohl der Film die Gefahren des Internets und die Fallstricke moderner Kommunikation instrumentalisiert, spitzt sich das nie zu einer hausbackenen Technologiefeindlichkeit zu. Letztlich sind die modernen Kommunikationsformen nicht die Ursache für die Entfremdung der Figuren, sondern nur ein Symptom. "Searching" zeigt das Internet als komplexen, ebenso trostspendenden wie furchteinflößenden und unberechenbaren Ort, an dem es zwischen Wahrheiten und Lügen viele verschiedene Versionen einer einzelnen Person gibt. Im Grunde kann man den Film als gelungenes Update eines archaischen Konflikts verstehen; als die Geschichte eines Vaters, der die idealisierte Vorstellung seiner Tochter mit einer in viele kleine digitale Puzzleteile zersplitterten Wirklichkeit abgleicht.

Michael Kienzl

Searching - USA 2018 - Regie: Aneesh Chaganty - Darsteller: John Cho, Debra Messing, Joseph Lee, Michelle La - Laufzeit: 102 Minuten.

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Sportfilme, zumindest solche, die auf den kommerziellen Massenmarkt zielen, sind vorhersehbar. Und zwar sozusagen gesteigert vorhersehbar, weil noch einmal vorhersehbarer, als andere populäre Genrefilme es sind. Der Grund dafür ist, dass in ihnen das erzählerische Korsett der Hollywood-Regeldramaturgie mit dem Regelkorsett des organisierten Wettkampfsports amalgamiert. Beides zusammen formt sich zu einem Masterscript, das so gut wie keine Abweichungen zulässt. In "Uncle Drew" zum Beispiel - als Spielfilmversion einer Pepsi-Werbekampagne so ziemlich die kommerziellstmögliche Version eines Sportfilms - ist bereits nach fünf Minuten nicht nur klar, dass der Film mit dem Finale der Rucker Classics, eines Streetbasketballtourniers in Harlem, enden wird; es steht auch schon fest, welche beiden Teams sich im Finale gegenüber stehen werden und welches der beiden gewinnen wird - in letzter Sekunde, natürlich; und wir wissen sogar schon mit ziemlicher Sicherheit, wer den entscheidenden letzten Korb werfen wird.

Alles klar, alles vorhersehbar - aber natürlich nur, wenn man Kino ausschließlich vom Drehbuch, beziehungsweise noch enger: vom Plot her denkt. Und gerade Sportfilme zeigen, dass das Unsinn ist. Das starre narrative Korsett ist notwendig, um den emotionalen Payoff zu garantieren, darüber hinaus hat die Erzählung keine Bedeutung. Niemand schaut sich den Film "Uncle Drew" an, weil er oder sie neugierig ist, ob das Team um den titelgebenden Altstar (Kyrie Irving) und den Trainer Dax (Lil Rex Howery) die fiktionalisierte Version der Rucker Classics auch tatsächlich gewinnen wird. Stattdessen geht es um die Energien, die auf dem Weg dorthin freigesetzt werden.

Insbesondere geht es natürlich um die Bewegungsenergie, die der dargestellte Sport freisetzt. Da kommen auch persönliche Vorlieben und Erfahrungen ins Spiel. Ich selbst halte Basketball für eine eher mittelfotogene Sportart. Die spektakulären und immer neu variierbaren Sprünge der athletischen Körper in Richtung Korb; die überraschend explosive Dramaturgie mancher Spielzüge, wenn eine gerade noch statische Situation urplötzlich, durch eine kleine Körpertäuschung, an Dynamik gewinnt; das Spannungsmoment, wenn ein Ball scheinbar endlos durch die Luft fliegt - und sich erst ganz am Ende entscheidet, ob er sein Ziel erreicht oder knapp verfehlt: all das sind zweifellos Pfunde, mit denen das Basketballkino wuchern kann.



Gleichzeitig aber gibt es im Genre, und auch in "Uncle Drew", einen fatalen Hang zur Montagesequenz. Weil ein Basketballspiel gefühlt eben doch nur aus (allzu vielen) mal erfolgreichen, mal erfolglosen Korbwürfen besteht, werden diese filmisch in Serie geschaltet: Wenn es schlecht läuft, werden ein, zwei, viele Angriffe abgeschmettert, wenn es gut läuft, finden ein, zwei, noch viel mehr Bälle ihr Ziel, plötzlich treffen selbst Weitwürfe von der Mittellinie aus. Der eigentliche Formenreichturm des Spiels wird reduziert auf eine in rapider Geschwindigkeit vor uns abrollenden Typologie des Scheiterns beziehungsweise Gelingens.

Zum Glück hat der vom Sportfilmspezialist Charles Stone III mit sicherer Hand und ohne allzu viele Spirenzchen inszenierte Film eine Geheimwaffe: Seine Hauptfigur, der alternde Streetbasketballaltstar Uncle Drew, wird eben nicht von einem ebenso alten (und vielleicht sogar unsportlichen) Schauspieler verkörpert, sondern vom aktuellen NBA-Star Kylie Irving. Auch der Rest des Rentnerteams, das der seinerseits unter diversen Komplexen leidende Dax zusammentrommelt, ist nur äußerlich alt, gebrechlich, blind und gehbehindert. Unter zentimeterdicker Schminke lauern veritable ehemalige und aktuelle Basketballstars, unter anderem ein donnergottartig aufgebrezelter Shaquille O'Neal. Wenn diese optisch gebrechlich anmutenden Körper dann auf dem Spielfeld zu agiler Hochform auflaufen, so mag man das für einen etwas billigen Trick halten. Effektiv ist er gleichwohl. Besonders super ist Nate Robinson: der ist mit seinen 1,75 Metern einer der kleinsten NBA-Spieler aller Zeiten, im Film heißt er Boots, trägt einen voluminösen Afro und ist zunächst im Rollstuhl unterwegs. Nach einer Wunderheilung (nicht die einzige im Film) kennt er kein Halten mehr und huscht wirbelwindgleich durch die Reihen der Gegner. Der eigentliche Witz an der Sache ist, das zeigen solche Szenen, nicht der Maskeneffekt, sondern die anschließende Demaskierung.

Und sonst? In den Szenen zwischen den Wettkämpfen tuckern Uncle Drew und Dax mit einem Retrokleinbus durch die Gegend. Dessen plüschige Bepolsterung wie auch die divergierenden musikalischen Vorlieben des Duos geben Anlass zu kleineren Scharmützeln; Generationenkonflikte und Selbstbilder werden ausgehandelt, manchmal im nostalgisch sentimentalen, öfters im albernen Modus. Der Geriatriehumor kann einem auf die Dauer ein bisschen auf die Nerven gehen, lustiger sind die Auseinandersetzungen zwischen Dax und seiner doppelten Nemesis: dem großmäuligen bad Guy Mookie (Nick Kroll) und dem hypermaterialistischen bad Girl Jess (Tiffany Haddish). Was Dax auf die Palme bringt, ihn regelrecht unter Strom setzt, sind nicht so sehr seine faktischen Niederlagen in Beruf, Sport und Privatleben als seine Unterlegenheit im Feld des Gestischen: Gegen Mookies spektakuläre Kulleraugen und Jess' nicht zu bändigenden Ausdrucksbewegungen kommt er einfach nicht an, seine gehemmten Counter-Punches verraten noch jedesmal den frustrierten Kleinbürger in ihm.

Lukas Foerster

Uncle Drew - USA 2018 - Regie: Charles Stone III - Darsteller: Krie Irving, Lil Rel Howery, Shaquille O'Neal, Chris Webber, Reggie Miller, Nate Robinson, Lisa Leslie, Tiffany Haddish, Nick Groll - Laufzeit: 103 Minuten.