Im Kino

Im Kino gewesen, genickt.

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
30.12.2009. John Sayles hat mit "Casa de los Babys" einen hervorragend besetzten Film zum Thema Adoptionstourismus gedreht - nach sechs Jahren ist er nun in (wenigen) deutschen Kinos zu sehen. Und Sony hat es für nötig erachtet, ein Remake des Horror-Halbklassikers "The Stepfather" zu produzieren.

Die eine, Skipper (Daryl Hannah), sprintet im Fitnesswahn den Strand auf und ab. Die andere, Nan (Marcia Gay Harden), ist erzkonservativ, kommt aus dem Mittleren Westen der USA, und klaut, wenn, wie sie glaubt, niemand hinschaut, Seifen vom Putzwagen des Zimmermädchens. Die dritte, Leslie (Lily Taylor), lebt in New York, arbeitet in einem Verlag, hat genug von den Männern und kommt offenkundig aus einer anderen Welt als Skipper und Nan. Dazu die irischstämmige Eileen (Susan Lynch), Jennifer (Maggie Gyllenhal), die eine Ehekrise durchmacht und Gayle (Mary Steenburgen), die mit einem Alkoholproblem kämpft.

Sechs Frauen aus den USA in einem Hotel irgendwo in Südamerika. Es eint sie der Wunsch, vor Ort ein Baby zu adoptieren. Anderes entzweit sie. Sie sitzen seit Wochen hier fest. Nur eine von ihnen spricht, und auch nicht gut, spanisch. Eine versucht's mit Bestechen und Drohen. Man sitzt am Strand, giftet gegen gerade Abwesende, telefoniert mit zuhause. Das Wort Adoptionstourismus trifft die Sache, wie John Sayles sie darstellt, ausnehmend gut. Das Warten wird durch Cocktails versüßt und bei der einen oder anderen durch ein schleichendes schlechtes Gewissen leise vergiftet. Reiche Frauen kaufen sich ein Kind im armen Land. John Sayles zeigt sie in einer Art real-moralisch-allegorischem Limbo als exklusiver Feriensituation. (Limbus bei Dante: freundliche Vorhölle, in der die guten Nichtchristen die Ewigkeit lässig verbringen. In einer Art Limbus hat auch "Casa de los Babys" offenkundig die Zeit seit seiner Entstehung 2003 verbracht, bevor es nun zum sehr verspäteten Kleinstkinostart kommt. Auf DVD ist der Film inzwischen auch schon raus.)

"Limbo" (deutsch allerdings: "Wenn der Nebel sich lichtet") lautete der Titel eines anderen Sayles-Films, des letzten, der - vor zehn Jahren! - in Deutschland einen größeren Start hatte. Limbo, also die Zwischenlage in unterschiedlichen Variationen, ist für den seit langer Zeit völlig unabhängig nach eigenen Drehbüchern arbeitenden Regisseur John Sayles die bevorzugte Situation für seine dramatischen Konstellationen. Sein Erzählen ist in aller Regel nicht vorwärts gerichtet, sondern, das dann aber in alle Richtungen, seitwärts. Er denkt von einer Situation aus, einem Milieu, einem Ort und den Figuren, die an diesem Ort leben und/oder an ihn versetzt sind. Das Eigentümliche seines Vorgehens liegt in der oft faszinierenden Mischung von Genauigkeit im Detail und gleichzeitiger Übertragbarkeit und Verallgemeinerbarkeit des Gezeigten: eine Art allegorischer Realismus oder realistischer Allegorismus. Eigentlich geht sowas ja nicht.


Bei Sayles aber funktioniert es, im besten Fall. Etwa in "Limbo" oder auch in "Men With Guns" (von 1997). Im schlechteren Fall kommt eine Abstraktion dabei heraus, mit Figuren, an denen die Eierschalen der Themenrecherche noch kleben, die bei Sayles stets Ausgangspunkt ist. Leider ist "Casa de los Babys" einer dieser schlechteren Fälle. Allzu deutlich erkennt man darin das eifrige Bemühen des Autors, etwa zur internen Differenzierung seines Frauen-Sextetts. Diese aber, wie auch die Hinzufügung weiterer Figuren, bleibt allzu schematisch und reißbretthaft. Wie nur zur Vervollständigung treten ein Straßenjunge, ein Möchtegern-Revolutionär und ein auswanderungswilliger Architekt ohne Arbeit ins Bild. Dort stehen sie dann herum und sagen nicht viel mehr, als dass sie in dieses Bild eben auch gehören. Womit sie bzw. ihr Schöpfer ja recht haben: Nur reicht das nicht für eine überzeugende Geschichte - und seien, was sie alle miteinander sind, die Darsteller noch so gut.

Aber selbstverständlich ist ein nicht ganz so gelungener Sayles-Film immer noch viel besser als ein beliebiges Hollywood-Rührstück zum Thema. Einfache Lösungen gibt es hier so wenig wie die Auflösung einer komplexen Problemlage in Wohlgefallen. Wie stets arbeiten exquisite Darsteller und - diesmal vor allem - Darstellerinnen bei Sayles, der seine Filme zum Spottpreis produziert, für ein Handgeld. Die Umformung von psychischen, materiellen und anderen Schwierigkeiten zu Dia- und Monologen ist in "Casa de los Babys" durchaus gelungen; nur dass dabei trotzdem eher ein Thesenstück herauskommt als ein Film und eine Geschichte, die einen beim Zusehen zu mehr als einverständigem "Ja"- und "Richtig"-Sagen veranlassen. Im Kino gewesen, genickt.

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Lieber genickt jedenfalls als zu Tode gelangweilt. In einem Horrorfilm! Noch dazu dem Remake eines Semiklassikers, wie Joseph Rubens "The Stepfather" aus dem Jahr 1987 einer ist. Das Drehbuch zum Original stammte vom exzellenten Kriminalautor Donald Westlake, was man auch merkte. Die Geschichte ist simpel und bedient schön infam die Angst vor dem Feind im eigenen Haus. Eine (im Original) verwitwete bzw. (im Remake) frisch geschiedene Mutter lernt einen neuen und auf den ersten Blick sehr freundlichen Mann kennen, David Harris. Als Zuschauer hat man ihn zuvor kurz freilich auch schon kennengelernt, und zwar anders. Da verließ er, frisch rasiert, ein Haus, in dem er (im Original) andeutungsweise bzw. (im Remake) in plumper Überdeutlichkeit sichtbar tabula rasa gemacht und Frau und Kinder geschlachtet hat. In neuer Familienumgebung kommt dann alles, so oder so, wie es kommen muss. Messer, Blut und Treppensturz.

An Westlakes Originaldrehbuch hat sich nun ein Nichtkönner namens J.S. Cardone vergriffen und, ganz ebenso wie alle anderen Beteiligten genau das getan, was Nichtkönner tun: alles schlechter gemacht als im Original. Die von Anbeginn misstrauische Stieftochter, ein interessanter Charakter, wird durch einen Haudrauf von Stiefsohn ersetzt, wobei die eigentliche Idee dabei offensichtlich die ist, eine Freundin einführen und mit Amber Heard besetzen zu können, die die meiste Zeit in sinnloser Halbnacktheit durch einen, was schon wieder passt, auch sonst vollständig sinnlosen Film paradiert. Mit Nelson McCormick hat ein gleichfalls ganz auffällig unbegabter Nichtkönner Regie geführt, der in der Ausbildung nur in der Draufsichtstunde anwesend war und darum gibt es nun mehrfach Blicke von oben zu sehen, zum Beispiel von Straßenverkehr (gar nicht so übel) und Swimmingpool (hm?).

Weh tut es, dem Darsteller Dylan Walsh am Gesicht ablesen zu müssen, wie er sich glücklos daran versucht, in die Nähe der Ambivalenzleistung des im Original jetzt auch nicht oscarverdächtigen Terry O'Quinn zu gelangen. ("Stepfather" ist so langweilig und es gibt so wenig darüber zu sagen, dass ich kurz mal abschweife und zitiere, was in der IMDB über O'Quinn an Trivia so nachzulesen ist: "Has appeared in episodes of two different television series with the same name. Both 'Millennium' (1996/I) and 'Lost' (2004) have had episodes featuring O'Quinn called 'Walkabout'". Zufälle gibt's.) Zurück zum zu besprechenden Film. Buch, Regie, Darsteller: alles schlimm. Am schlimmsten aber ist fraglos, was auf der Soundtrack-Tonspur geschieht. Während im 87er-"Stepfather" ein Synthesizer durchtrieben vor sich hin gniedelte, treffen sich in der 09er-Version eine Gruppe schrecklich fehlgeleiteter Dampframmenspieler zum Bernard-Herrmann-Gedächtniskonzert und machen auf Handzeichen der Regie mit der Geige Krach as Krach can. Es bleibt nichts übrig, als das Ziehen großer Bögen um dieses von Sony verbrochene Machwerk zu empfehlen und den Kopf zu schütteln über das Jahr 2009, in dem Hollywood mit größtenteils Schrott so viel Geld wie selten verdiente. Auf ein besseres 2010!

Casa de los Babys. USA / Mexiko 2003 - Regie: John Sayles - Darsteller: Marcia Gay Harden, Susan Lynch, Daryl Hannah, Mary Steenburgen, Lili Taylor, Maggie Gyllenhaal, Vanessa Martinez, Angelina Pelaez, Rita Moreno

The Stepfather. USA 2009 - Originaltitel: The Stepfather - Regie: Nelson McCormick - Darsteller: Dylan Walsh, Sela Ward, Penn Badgley, Amber Heard, Jon Tenney, Sherry Stringfield, Paige Turco, Nancy Linehan Charles