Mord und Ratschlag

Siegelringzellen-Krebs

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
12.05.2010. In seinem grandiosen Noir-Krimi "Der sichere Tod" lässt Adrian McKinty einen Kleingangster, der Yeats, Koestler und die Frankfurter Schule zitiert, gegen seinen eifersüchtigen Boss antreten. In Josh Bazells Krimi-Comedy "Schneller als der Tod" nimmt es ein ehemaliger Profi-Killer mit der Mafia und dem amerikanischen Gesundheitssystem zugleich auf.
Sieben Jahre hat gedauert, bis von Adrian McKintys New York-Trilogie wenigstens der erste Band auf Deutsch erschienen ist. Immerhin, der neuen Krimireihe des Suhrkamp Verlags sei Dank. Trotzdem sitzt man ein wenig fassungslos da und fragt sich: Warum jetzt erst? War der Roman zu intelligent? Zu witzig? Ein einleuchtender Grund, warum angesichts der grassierenden Krimiüberproduktion ein solch grandioser Wurf wie "Der sichere Tod" so lange unübersetzt blieb, scheint schwerlich vorstellbar.

Es gilt also, einige Jahre zu überspringen. Erinnert sich noch jemand an das New York Anfang der neunziger Jahre? Bevor Rudy - zero tolerance - Giuliani zum großen Reinemachen gerufen hatte? Bill Clinton war noch nicht einmal Präsident, sondern Gouverneur eines Staates, den kein Mensch aussprechen konnte. Harlem war kein angesagtes Mittelklasse-Quartier, sondern eine Crack-Hölle mit zweitausend Toten im Jahr. "Es war wie in der scheiß West Side Story": Die eine Straßen gehörte den Schwarzen, die andere den Hispanics, die Iren kontrollierten mit Unterstützung der IRA den Norden. Und alle versuchten sich gegenseitig aus dem Drogen-Handel zu drängen. Aber wenn nach einer Schießerei ein zweihundert-Kilo-Tresor aus der Bar gehievt wurde, applaudierte das umstehende Publikum - und schickte die Polizei ganz sicher auf die falsche Fährte.

In dieses Harlem nördlich der 125. Straße also verschlägt es die vorlaute Nervensäge Michael Forsythe, für den die Dinge in Belfast nicht gut gelaufen sind. Erst hat er sich von der Armee rausschmeißen lassen, dann erwischte ihn das Sozialamt beim Schwarzarbeiten. Immerhin besitzt er soviel Anstand, nicht seiner Großmutter auf der Tasche zu liegen.

Mike heuert in New York bei Darkey White an, einem irischen und unerbittlich rachsüchtigen Gangster, unter dem ihm, der zwar eher unehrgeizig, aber versiert in nordirischen Foltermethoden ist, eine große Zukunft beschieden wäre, wenn er sich selbst nicht diese üblen Schwierigkeiten eingebrockt hätte. Wenn er sich nicht mit Darkeys Freundin eingelassen hätte. Oder besser gesagt: Wenn er sich nicht mit Haut und Haaren in sie verliebt hätte, denn Brigid ist zu schön, um wahr zu sein: "An manchen Tagen sieht sie aus, als ob sie gerade einem Gedicht von W.B. Yeats entsprungen wäre. Aye." Ja, Michael muss sich mit seinem Schlägertrupp zwar Tag und Nacht mit Dumpfbacken und Kuhfickern herumschlagen, aber er ist belesen. Er verehrt Arthur Koestler und spottet über die Frankfurter Schule. Er hält damit natürlich auch nicht hinterm Berg, was seine Kompagnons mitunter zur Weißglut reizt ("Verflucht, du beschissenes Arschloch, ich bin verdammt noch mal nicht Alexander der Große, aber du tust jetzt verdammt noch mal, was ich dir sage, nur dieses eine verfickte Mal in deinem erbärmlichen scheiß Leben"). Tatsächlich ist Mike eher sympathisch, sein Versuch, hübsche NYU-Studentinnen in den Kneipen der Lower East Side zu beeindrucken, sehr charmant und seine Ehrlichkeit gegenüber sich selbst so entwaffnend, dass man diesem vorlauten Großmaul ziemlich bald erlegen ist. Und diese Sympathie wird er auch nicht verlieren, wenn seine Intelligenz schon nicht mehr nur dem Appeal dient, sondern dem Überleben und anschließenden Rachefeldzug.

Auch wenn "Der sichere Tod" zunächst äußerst lustig daherkommt, kokettiert McKinty nicht mit dem Verbrechen, er erzählt nicht nur die unterhaltsame Geschichte eines Weißbrots, das sich durch Harlem und mit seinem eifersüchtigen Boss herumschlägt. Der Horror, den McKinty seinen Antihelden in einem mexikanischen Knast durchmachen lässt, ist hundert Prozent hardboiled. Selten hat jemand so klug, so sardonisch, raffiniert und, ja, so cool erzählt, wie aus einem etwas verpeilten Kleingangster ein mehrfacher und professioneller Mörder wird. Großartig ist übrigens auch die Übersetzung von Kirsten Riesselmann, die genau den intelligent-derben Slang trifft und über ein beneidenswertes und virtuos gehandhabtes Repertoire an Beleidigungen verfügt.

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Josh Bazells "Schneller als der Tod" hat bedeutend schneller seinen Weg nach Deutschland gefunden und hier auch schon seine begeisterten Anhänger. Leonardo DiCaprio hat sich bereits die Filmrechte am amerikanischen Original gesichert. Und auch wenn dieser Anatomie-Mafia-Comedy-Verschnitt in einer anderen literarischen Liga spielt als Adrian McKintys vielschichtiger Krimi "Der sichere Tod", ist er genauso witzig. Denn ganz eindeutig würde Bazell lieber einen Patienten mehr über die Klinge springen lassen, als einen Witz zu verschenken.

Die Geschichte, die Bazell erzählt, ist heillos unrealistisch: Dank des Zeugenschutzprogramms des FBIs lebt Peter Brown eine neue Existenz als Arzt im New Yorker Manhattan Catholic Krankenhaus, doch durch einen bedauerlichen Zufall wird ausgerechnet der Mafioso Jimmy Squillante bei ihm eingeliefert (Diagnose: Siegelringzellen-Krebs), der in natürlich sofort als den wiedererkennt, der er einst gewesen ist: Pietro Brwna, Waste Management.

In zwei verschiedenen Handlungssträngen jagt Bazell nun seinen schrägen Plot voran: Der eine erzählt nach, wie aus dem jungen Pietro Brwna, Kind von Hippie-Eltern, Enkel polnischer Holocaust-Überlebender ein Auftragsmörder der Mafia werden konnte. Es wird sich herausstellen, dass die Veranlagung dazu in der Familie liegt, wobei sie nicht einmal vom italienischen Zweig der Familie herrührt. Und es wird sich auch herausstellen, dass gerade die Väter der besten Freunde die übelsten sind: "Nie denkt man: Der Typ ist ein Killer, und er ist schlau. Wenn du ihn vergrätzt, wendet er sich gegen dich. Wie nichts. Man denkt es nicht rechtzeitig, meine ich."

Der andere Erzählstrang spielt im Krankenhaus, wo Peter gegen die Unbilden des amerikanischen Gesundheitssystems, verführerischen Pharma-Lobbyistinnen mit unerschöpflichen Drogen-Vorräten und dämliche Kollegen um Squillantes Leben kämpft, der ihm im Falle seines Todes die alten Mafia-Kumpane auf den Hals hetzen würde. Peters Chancen, aus diesem Dilemma heil heraus zu kommen, schwinden erheblich, da Squillante einen hochbezalten Privatchirurgen mit seiner Lebensrettung beauftragt. Zwei Schwächen zeigt Bazell hier allerdings, die man ihm sehr übelnehmen muss: zum einen eine bedauerliche Vorliebe für das erzählende Präsens, mit dem er die Gegenwart etwas zu deutlich gegen die Vergangenheit abgrenzt, und die Fußnoten, in denen er, ganz Einser-Student, medizinisches Wissen ausbreitet (zum Beispiel über Elle und Speiche, Tibia und Fibula, Schweißdrüsen und Äskulap-Symbol: "Hätten Sie's gewusst?").

Konsequent dagegen verzichtet Bazell auf Psychologie, Milieu und Charakter. Der Killer entpuppt sich natürlich ziemlich schnell als eigentlich total anständiger Kerl, der nur seine ermordeten Großeltern rächen wollte; sein schlechter Umgang hat ihm nicht wirklich etwas anhaben können. Mitunter gibt es annähernd bewegende Szenen und wir erfahren, dass Coney Islands berühmter Gang Under the Boardwalk (Down by the sea!) direkt ins Brooklyner Aquarium führt. Aber meist feuert Bazell seine Pointen einfach wie ein Standup-Comedien hintereinander ab. Manchmal sind sie wunderbar subtil: "OP-Anzüge sind doppelseitig tragbar, für den Fall, dass man eine Anästhesie oder so etwas machen muss, aber zu müde ist, um sich die Hose richtig anzuziehen." Manchmal auch hübsch albern: "'Wir suchen einen älteren Schwarzen im Rollstuhl', sage ich. Einen Moment lang steht der Mann nur da und pfeift eine Melodie, die ich nicht kenne. Dann sagt er: 'Weshalb?' Mershawn sagt: 'Weil wir beide keinen zu Weihnachten gekriegt haben, und bei Ältere-schwarze Rollstuhlfahrer-en-gros sind sie ausverkauft."

Adrian McKinty: "Der sichere Tod". Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 463 Seiten, 9,95 Euro ()

Josh Bazell: "Schneller als der Tod". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, 301 Seiten, 18,95 Euro ()