Stephane Beaud, Michel Pialoux

Die verlorene Zukunft der Arbeiter

Die Peugeot-Werke von Sochaux-Montbeliard
Cover: Die verlorene Zukunft der Arbeiter
UVK Universitätsverlag Konstanz, Konstanz 2004
ISBN 9783896697981
Broschiert, 364 Seiten, 29,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Martina Wörner und Axel Eberhardt. Die Arbeiterklasse, wie sie sich im 19. Jahrhundert ausbildete, gibt es nicht mehr. Sie verschwand aus dem öffentlichen Bewusstsein, und das obwohl Arbeiter nach wie vor nicht nur in Frankreich die größte soziale Gruppe bilden. Statt gemeinsam organisierter Arbeiter scheint es heute isolierte Individuen zu geben, die ständig steigenden Arbeitsanforderungen ausgesetzt sind, es aber aufgegeben haben, ihre Interessen öffentlich und selbstbewusst zu vertreten. Stephane Beaud und Michel Pialoux verstehen diese Veränderung nicht als Ergebnis veränderter Produktions-, Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse, sondern als Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung. Wie es zu diesen Veränderungen der letzten 20 Jahren kam, untersuchen Beaud und Pialoux anhand der größten Produktionsstätte Frankreichs, dem Peugeot-Werk in Sochaux-Montbeliard und seinem Umfeld.
Von 1983 bis 1998 führten sie Tiefeninterviews mit Arbeitern, Arbeitnehmervertretern sowie Managern und zeigen auf, wie die Industriegeschichte der Region untrennbar mit der Sozialgeschichte der Arbeiterklasse verbunden ist. Sie analysieren hierbei nicht nur Veränderungen in der Arbeitsorganisation. Sie machen auch deutlich, wie Veränderungen im Schulsystem Arbeiterkindern zwar eine höhere Qualifikation als die ihrer Eltern ermöglichte, sie jedoch hierdurch von ihren Eltern entfremdete und sie der Illusion rascher Karriereschritte aussetzte. Sie zeigen die politisch-kulturellen Auswirkungen an konkreten Fällen: Die inneren Widersprüche eines jungen Monteurs sind Aufhänger für die Frage nach dem Generationenkonflikt in der Fabrik. Die Ratlosigkeit der Gewerkschaftsvertreter angesichts der verlorenen Widerstandskultur verweist auf die Krise der Arbeiterbewegung, und die Zunahme rassistischer Spannungen in der Fabrik werden anhand der zunehmenden Konkurrenz um Arbeit plausibel.
Die deutsche Ausgabe verzichtet auf die Wiedergabe rein französischer Sachverhalte und Beiträge zur französischen Debatte, soweit sie für das Verständnis der Studie nicht unerlässlich waren. Andere für deutsche Leser jedoch erklärungsbedürftige Aspekte, wie das französische Bildungssystem oder auch die andere Betriebshierarchie werden zusätzlich erläutert.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2004

Berthold Vogel fühlt sich reich belehrt von der Studie der beiden Industriesoziologen Stephane Beaud und Michel Pialoux, zweier ehemaliger Mitarbeiter von Pierre Bourdieu. Die Kernthese lautet, Vogel zufolge: Aus der Arbeiterschaft, die gestern noch die "gefährliche Klasse" war, ist heute die "vergessene Klasse" geworden. Da die Untersuchung der Peugeot-Arbeiterschaft sich über einen Zeitraum von 15 Jahren erstreckt, vermag sie die "Dramaturgie gesellschaftlichen Wandels" nachzuzeichnen. Nicht nur, dass die Arbeiter aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden sind und in den Medien kaum mehr eine Rolle spielen, zumindest keine zukunftsgestaltende; auch innerhalb ihrer sozialen Klasse hat der gesellschaftliche Wandel zu einer Spaltung geführt - so stehen den "alten" Arbeitern die "neuen" Arbeiter gegenüber, wobei beide Parteien sich jeweils auf ein ganz spezifisches Selbstverständnis stützen; Verständigungsmöglichkeiten sehen Beaud und Pialoux zwischen beiden Fronten kaum. Und die Tugenden, durch deren Etablierung der Arbeiterstand einst zur Arbeitnehmergesellschaft mit all ihren sozialen Sicherungen und rechtlichen Verankerungen geführt hat, wurden durch eine Renaissance des "Rechts der Stärkeren" entwertet. All diese Entwicklungen glaubt Vogel nicht auf die französische Gesellschaft beschränken zu müssen, sehr wohl allerdings die wissenschaftliche Eigenart, in "Kategorien sozialer Klassen" zu denken.