Im Kino

Licht an, Licht aus

Die Filmkolumne. Von Jonas Nestroy
29.03.2023. Frauke Finsterwalder porträtiert in "Sisi & Ich" Elisabeth von Österreich-Ungarn als unabhängige Femme fatale, die zur Musik von Portishead oder Le Tigre Kammerzofen küsst, eine Diät aus Kokain und Ziegenmilch pflegt und ihre Geliebten nach Lust und Laune verführt und abserviert.


Das "S" soll verschwinden: Ja, Elisabeth von Österreich-Ungarn wurde Sisi genannt, aber eben nicht "Sissi". Im Namen von Frauke Finsterwalders "Sisi & Ich" steckt ein Programm, das dieses Projekt motiviert, so wie es schon einige Projekte in der letzten Zeit motiviert hatte: RTL lieferte 2021 "Sisi", Netflix im September 2022 "Die Kaiserin", Marie Kreutzer nur wenige Monate vorher "Corsage". Finsterwalder vollendet diese Tetralogie mit einem weiteren Versuch, der historischen Figur etwas Neues, Ungewohntes abzugewinnen, mit dem zu brechen, was die Romy Schneider-Filme hinterließen. Dass Finsterwalders Film mit "Sissi" grob umgehen wird, steht daher schon vor dem Film fest und auch der Pressetext titelt: "Sisi, Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn, war nicht nur eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit, sondern Stilikone und emanzipatorisches Vorbild - ganz anders als das süßliche Sissi-Klischee vermuten lässt. Sisi war ungebändigt, frei und monatelang alleine unterwegs auf Reisen durch ganz Europa. Sie sprach 6 Sprachen, trieb Hochleistungssport und wurde schon zu Lebzeiten zur Legende."

Das alte Bildrepertoire will herausgefordert werden, sowohl das der treuen Kaiserin, wie auch das von Ernst Marischka: Sisi (Susanne Wolff) möchte weg von Elisabeth und Frauke Finsterwalder von "Sissi". Also fliehen beide auf die griechische Insel Korfu. Für Finsterwalder ist es die Möglichkeit, Bilder zu finden, die nicht mehr viel mit Hof und Heimatfilm zu tun haben. Für Sisi die Möglichkeit, sich ein nahezu männerloses Refugium fernab von Hof und Habsburger Doppelmonarchie aufzubauen: Nur Kammerzofen, die man auch küssen kann, eine strenge Diät mit Kokain und Ziegenmilch, Tätowierungen stechen lassen, Theaterstücke aufführen und ab und zu kommt Franz Josephs Skandalnudel-Bruder Viktor (Georg Friedrich) vorbei, um von seinen neuesten erotischen Eskapaden mit den Offizieren zu erzählen. Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller) hat Sisi ganz neu zur Kammerzofe erkoren. Was im Laufe des Films zwischen den beiden wächst, ist auf jeden Fall eine tiefe Freundschaft, vielleicht sogar eine romantische Liebe, so klar ist das nicht.



Ganz leicht ist Frauke Finsterwalders "Sisi & Ich" nicht zu fassen. Dass er sich von "Sissi" abgrenzt ist überdeutlich, aber eine neue Schublade wird vermieden: Was am Anfang nach queerer Umdeutung und totaler Abschottung aussieht, geht später wieder an den Hof nach Österreich und nach Großbritannien in die Heteroromantik. Auch die im Pressetext anklingende historische Akkuratheit ist nicht unbedingt Sache des Films. Dafür sucht das Drehbuch von Finsterwalder und Christian Kracht zu sehr den Pop, vor allem im Soundtrack. "Sisi & Ich" gleicht sich der unbändigen Sisi stattdessen ästhetisch an, probiert ganz unverfroren Ideen durch, bringt das auf die Leinwand, was gerade im Kopf herumschwirrt. Einfach mal den Kaiser beim Durchfall einblenden, Sisi und Irma unvermittelt vom Zug schmeißen oder die beiden in Algerien Haschisch nehmen lassen, um zu schauen, was passiert. Das Schöne an "Sisi & Ich" ist, dass man als Laie nie weiß, ob der Film einfach manieristisch ist oder die historische Vorlage vielleicht wirklich ein bisschen too much.

"Licht an, Licht aus, Licht an, Licht aus…": diese Worte sind das Leitmotiv des Films. Irma beschreibt Sisis Zuneigung als das Gefühl, alles Licht der Welt sei auf einen gerichtet. Und wenn Sisi dieses Licht nach Lust und Laune mal wieder aus macht, ist es, als sei einem ein spitzes Stück Glas ins Herz gerammt worden. "Sisi & Ich" vermag manchmal ähnlich schöne Lichter zu werfen, in denen man sich plötzlich ganz aufgehoben fühlt. Lichter, die von rücksichtsloser Emphase herrühren: von der Emphase der Freiheit, der Wut und der gegenseitigen Fürsorge, die alle aus der Freundschaft zwischen Sisi und Irma erwachsen. Vertont wird das von zahlreichen Indie-Songs von Portishead über Le Tigre bis zu Nico. Lieder, die durch den Film schweben, um ihn zu beseelen, ihn vom ausgehenden 19. Jahrhundert zu entrücken, bis alles verstummt und man doch wieder in die Geschichte der herrischen Mütter und patriarchalen Ehemänner fällt.

Natürlich erinnert diese Verbindung von selbstbewusster Royalität und anachronistischem Soundtrack unweigerlich an Sofia Coppolas Entwurf von Marie Antoinette. Nur dass es Finsterwalders Film weniger darum geht, die Historie mit der Gegenwart wie mit Zuckerguss zu überziehen, sondern sich da Hals über Kopf in den Affekt zu stürzen, wo er sich anbietet - auch wenn man als Zuschauer im Kino vielleicht noch gar nicht bereit ist, mitzugehen. So ist "Sisi & Ich" tatsächlich ein eigenwilliger Film geworden: Nicht im Sinne der Sperrigkeit oder der Ungewöhnlichkeit, sondern weil hinter ihm eine Leidenschaft steht für die Inszenierung des Moments, der auch mal für sich stehen bleiben darf.

Jonas Nestroy

Sisi & Ich - Deutschland 2023 - Regie: Frauke Finsterwalder - Darsteller: u.a. Susanne Wolf, Georg Friedrich, Sandra Hüller, Tom Rhys Harries, Angela Winkler, Sophie Hutter, Anthony Calf - Laufzeit: 132 Minuten.