Timothy Snyder

Black Earth

Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann
Cover: Black Earth
C.H. Beck Verlag, München 2015
ISBN 9783406684142
Gebunden, 488 Seiten, 29,95 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Ulla Höber, Karl Heinz Siber und Andreas Wirthensohn. Mit seinem preisgekrönten Bestseller "Bloodlands" hat Timothy Snyder die Topografie der Massenmorde in Europa neu vermessen. Jetzt stellt der Historiker eine Frage, die längst beantwortet schien: Warum kam es zum Holocaust? Wir wissen viel über den Holocaust und seine Ursachen. Aber haben wir wirklich die richtigen Schlussfolgerungen gezogen und es uns mit dem Antisemitismus allein nicht etwas zu leicht gemacht? Der Auftakt des Buches deutet Hitlers "Mein Kampf" als Manifest einer "ökologischen Panik". Anschließend wird Schritt für Schritt gezeigt, welche Elemente bei Massenmorden stets wiederkehren, darunter die "Zerstörung des Staates" und die "Ethnisierung von Schuld", zwei notwendige Voraussetzungen für den Holocaust, die bislang nur wenig in den Blick genommen worden sind.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.10.2015

Wenn der Historiker Timothy Snyder in seinem neuen Buch die gesamte Geschichte des Holocaust thematisiert, ist das Ergebnis für den Rezensenten Helmut König zwiespältig. Die Hauptthese des Buches, wonach das Ausmaß der Judenvernichtung durch den Grad der Zerstörung staatlicher Institutionen bestimmt war, findet König materialreich wie präzise und pointiert belegt, am Beispiel Dänemarks und Estlands etwa. Auch wenn er den Ansatz nicht neu findet, scheint ihm die theoretische und begriffliche Zurückhaltung des Autors und sein Setzen auf Episoden und Fallbeispiele angenehm. Weniger überzeugend, ja mitunter abstrus erscheinen dem Rezensenten die Teile des Buches, in denen der Autor "theoretischer" versucht, Gründe für den Holocaust dingfest zu machen und mittels einer für König kaum nachvollziehbaren Analogie zwischen den 20er Jahren und heute die Wiederholbarkeit des Holocaust an die Wand malt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.10.2015

Eingehend widmet sich der Historiker Michael Wildt diesem Buch seines amerikanischen Kollegen Timothy Snyder, das er in mehrerlei Hinsicht fragwürdig findet. Snyder versucht darin zu belegen, dass die Nazis (Snyder schreibt "die Deutschen") die Juden Europas in jenen Ländern besonders mörderisch verfolgten, wo die staatlichen Strukturen zusammengebrochen waren. Auch die Kollaboration sei dort am stärksten gewesen. Da mag was dran sein, meint der Rezensent, dem jedoch eine einzige Erklärung für den Holocaust mit seinen vielfältigen Ursachen und unterschiedlichen Dynamiken zu simpel ist. Er sieht Snyder, der mittlerweile Berater von Präsident Obama ist, vor allem von einer Intention geleitet: Zu beweisen, wie entscheidend angesichts globaler Krisen staatliche Strukturen sind. Das macht den Rezensent richtig sauer: Der Holocaust nur noch als historisches Argument für die Gegenwartsanalyse? Als bloße Chiffre für politische Debatten? Nicht mit ihm.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.10.2015

Provokant findet Micha Brumlik dieses Buch von Timothy Snyder, aber nicht so leicht von der Hand zu weisen: Snyder argumentiert dafür, den Holocaust nicht als Staatsverbrechen auszulegen. Dafür muss er Hitler zum "staatsfeindlichen Anarchisten" erklären, doch dann kann er mit umfangreichen Statistiken belegen, dass die Tötungszahlen in jenen besetzten Gebieten besonders hoch waren, deren eigene Staatlichkeit zusammengebrochen war, geringer war sie dort, wo noch Reste des Apparats funktionsfähig blieben. Laut Brumlik gäbe die Forschung zu späteren Völkermorden, wie etwa in Ruanda, dem Autor in diesem Punkt recht. Um künftige Völkermorde zu verhindern, müsse heute die Aufrechterhaltung von Staatlichkeit daher unbedingte Priorität haben, unabhängig von der präferierten Regierungsform, fasst Brumlik Snyders Gedankengang zusammen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2015

Der hier rezensierende Münchner Historiker Klaus-Dietmar Henke empfiehlt uns Saul Friedländer zum Verständnis des Holocaust. Timothy Snyder hat nach Meinung des Rezensenten bereits viel Kluges dazu in seinem Buch "Bloodlands" gesagt. Wenn der Autor in seinem neuen Buch nun vor einer Wiederholung des Holocaust warnt, ist Henke einigermaßen schockiert von so viel Alarmismus, zumal Snyder nicht weniger als drei Riesenthemen miteinander zu vereinen sucht: Holocaust, Klimawandel und Kapitalismus. Das geht nicht gut, findet Henke. Schon bei dem Versuch, Hitlers Weltanschauung darzulegen, scheitert Snyder durch Leerstellen und Fehler, und wenn er die Staatszerstörung zur Voraussetzung für den Massenmord erklärt, übersieht er laut Henke "kollaborierende Bürokratien". Was für den Rezensenten übrigbleibt, ist eine ungeordnete Untersuchung, die eine für ihn nicht nachvollziehbare Verbindung zwischen aktuellen Bedrohungen und dem Holocaust herzustellen versucht.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 10.10.2015

Als Warnung vor staatsfernem Individualismus begreift Dirk Schümer den Essay von Timothy Snyder. Snyders Analyse des Holocaust im Dienst der zukünftigen Menschheitsgeschichte scheint ihm zwar überlebensgroß, aber auch enorm lehrreich, weil der Autor statt auf moralische Empörung auf eine schlüssige Ursachenkette setzt, die die Schoah auf die Staatenvernichtung durch die Nazis zurückführt. Wenn der Autor dabei Argumentationslinien aus seinem Buch "Bloodlands" wiederholt, stimmen Snyders Faktenwissen und seine facettenreichen Folgerungen für die Geschichtsschreibung den Rezensenten milde. Warum außer Snyder noch keiner auf solche Gedanken gekommen ist, fragt sich Schümer beim Lesen mehr als einmal.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2015

Rezensent Dirk Pilz sieht schon die heftigen Diskussionen, die der Historiker Timothy Snyder mit seinem neuen Buch auslösen wird. Nach "Bloodlands" verfolgt der Autor laut Pilz auch in diesem Buch die Frage, wie der Holocaust entstehen konnte. Dass er dabei auf die bei uns üblichen Diskurse verzichtet, sie als Verdrängung begreift und den Holocaust stattdessen politisch zu erklären versucht, hält Pilz für stark. Doch weil der Autor ihm die politischen Verkettungen genau und eingängig schildert, scheint Snyders These, die Zerstörung staatlicher Strukturen habe den Holocaust ermöglicht, dem Rezensenten zwar steil doch durchaus bedenkenswert. Wenn der Autor am Ende seines Textes Zukunftsszenarien entwirft, die einen Holocaust wieder möglich machen, spürt Pilz die Beunruhigung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.10.2015

Schon früh weiß der Leser, dass es sich bei "Black Earth" um eine didaktische "Bekenntnisschrift" handeln muss, schreibt der hier rezensierende Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski. Was dann folgt, sei aber erst einmal eine wortreiche Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dessen Ursachen. Der Schlüssel zu dessen Erklärung liegt in der Zerstörung von Staatlichkeit, so will der Rezensent den amerikanischen Historiker Timothy Snyder verstanden haben. Staatenlose Zonen seien demnach die Voraussetzung für den Massenmord an Juden gewesen. Worauf der Autor eigentlich hinauswill, das zeigt sich laut Baberowski erst ganz am Ende dieses Buches, das gleichsam eine Mission zu erfüllen habe - nämlich vor einer Wiederholung des Holocaust zu warnen. Als große Gefahr für Europas friedliche Staatenordnung sehe Snyder den russischen Präsidenten Putin. Für den Rezensenten ist das allerdings ein Missbrauch des Holocaust.