Im Kino

In Gelee gegossen

Die Filmkolumne. Von Patrick Holzapfel
21.12.2016. Tom Ford empfiehlt sich mit seinem Zweitwerk, dem High-Concept-Thriller "Nocturnal Animals", als künftiger James-Bond-Regisseur. Den Bruch zwischen melodramatischer Überhöhung und rauer Wüstenbrutalität kann allerdings selbst der exquisit hingetupfte Staub auf den Designerkleidern nicht ganz verdecken.


"Nocturnal Animals", der zweite Film von Tom Ford und eine freie Adaption von Austin Wrights "Tony and Susan", ist voll heißer Luft. Und wie das so ist mit Luftfilmen, geht ihm irgendwann die Luft aus. Dann spielen die penetranten Violinen im Soundtrack gegen ein großes Vakuum an und an seinem high-pitch Ende, dem nur Michael Caine fehlt, damit man glauben könnte, sich in einem Film von Christopher Nolan zu befinden, will sich kein rechtes Fühlen einstellen. Es ist ein netter Film gewesen, der an einem vorbei weht mit seiner Unentschiedenheit zwischen stilisierter, melodramatischer Überhöhung und rauer Wüstenbrutalität. Außerdem gibt es auch Komik, erzählerische Meta-Ebenen und ein Beziehungsdrama, das alles zusammenhalten soll. Die bemühte, sterilisierte und überfüllte Form des Films sorgt zwar dafür, dass die verschiedenen Erzählstränge nicht in sich zusammenfallen, verhindert aber jegliches Erkennen von Menschlichkeit in den Figuren oder dem Film.

Erzählt werden mehrere verschachtelte Geschichten, deren Relationen in überdeutlichen und visuell versierten Spielereien deutlich werden. Susan (Amy Adams) lebt unglücklich mit ihrem Ehemann Hutton (Armie Hammer) in jenem isolierten Wohlstand, den man bereits aus Fords "A Single Man" kennt. Doch statt sich wie in seinem überlegenen Erstling der impressionistisch angehauchten Dekadenz dieser aalglatten Welt hinzugeben, wählt Ford hier einen ganz anderen Ansatz.

Denn eines Tages bekommt Susan ein ominöses Päcken zugeschickt. In diesem befindet sich ein Buch ihres Ex (Jake Gyllenhall). Sie öffnet es und schneidet sich dabei in den Finger. Eine jener vielen bisweilen großartig überzogenen melodramatischen Gesten, die leider nie völlig aufgehen, sondern sich beständig mit dem Rest, nun ja, schneiden. Der Rest, das ist zum einen die Handlung des Buches mit dem Titel "Nocturnal Animals", das Susans zwischen Sofa, Bett und Badewanne verschlingt. Es ist Susan gewidmet. Erzählt wird ein brutaler und bisweilen komödiantischer Hinterlands-Thriller à la Cormac McCarthy. Darin fährt Tony (ebenfalls Jake Gyllenhall) mit seiner Tochter und seiner Frau (Isla Fisher) durch die texanische Nacht, ehe sie von einer Bande wilder Jungs aufgehalten werden und ein schlimmes Verbrechen passiert, das in der Folge mit Hilfe eines kuriosen Polizisten (Michael Shannon) aufgeklärt wird. In einem weiteren Strang, den man als Flashback-Handlung bezeichnen könnte, erlebt Susan einige Momente ihrer Beziehung zu Edward wieder, die vor allem die persönliche Ebene des Buches offenlegt und ein literarisches Rachemotiv ins jederzeit exquisite, an Werbeästhetik erinnernde Licht des Films rückt.



Schöne, leidende Menschen stehen im Regen. Bis zur Farbe des Nagellacks ist alles eine Frage der Emotion und tatsächlich kann man Ford, der dem Film eine sinnlich-oberflächliche Grundhaltung überstülpt, nicht vorwerfen, dass er seine Douglas-Sirk-Lektion nicht gelernt hätte. Wenn man aber selbst in der Wüste das Gefühl hat, dass der Staub mit der Pinzette auf die Designerklamotten getupft wurde, stellt sich schnell ein merkwürdiges Gefühl ein. Das soll nicht heißen, dass Ford nicht auch etwas vom Thrillerhandwerk verstünde, manche Sequenz geht durchaus auf, man kann ihn sich nach diesen Bildern sogar sehr gut als neuen James-Bond-Regisseur vorstellen.

Was ist dann das Problem? Womöglich die erschreckende Tatsache, dass der Film ein riesiges Gewicht in diese Fiktion legt, und dass er davon ausgeht, dass wir in dieser High-Society-Welt einer Kunstmarktfrau beziehungsweise der hochfiktionalen Welt der Erzählung des Buches emotional verhaftet sind. Zwar lässt Ford Martin Sheen in einer Nebenrolle sagen, dass diese Welt sehr weit entfernt von der tatsächlichen Welt sei, aber sie ist es nunmal nicht für Ford. Und es ist erschreckend, wie wenig er - im Gegensatz zum Beispiel zu Winding Refn - diese Welt bricht. Oder andersherum: Wie gut er versteckt, dass diese Dinge ihn persönlich betreffen. Der auf eine Abtreibung reagierende Racheakt des Buches im Film verkommt so zur Irrelevanz.      



Im Kern erzählt "Nocturnal Animals" vom Konflikt zwischen Emotion und Karriere, zwischen warm und kalt, stark und schwach. Dieser Konflikt wird übersetzt in eine klassische, etwas langweilige Thrillerhandlung und in eine klischeeüberladene Beziehungskonstellation. Hauptsächlich wird er aber in Bilder übersetzt und das, was man eine Chanel-Sinnlichkeit nennen könnte. Selbst die größte Brutalität in Form von Mord und Vergewaltigung ist bei Tom Ford in Gelee gegossen und beschränkt sich auf die Schönheit der Form umschlungener, toter Körper mit roten Haaren. Das mag seinen Reiz haben, aber nicht, wenn gleichzeitig die Erwartung wahrhaftiger Gefühle in den Film gelegt wird. Es ist ein wenig so, als würde jemand mit den perfektionierten Handschuhen einer marktorientierten Kühle die brodelnden Emotionen eines Melodrams anfassen. Der Konflikt zwischen warm und kalt findet also auch im Filmemacher statt und verpufft in einem lauwarmen Film. Also in dem, was sich im Kino heute verkaufen lässt.

Patrick Holzapfel

Nocturnal Animals - USA 2016 - Regie: Tom Ford - Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher - Laufzeit: 116 Minuten.