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Literarischer Tourismus im Cyberspace

10.12.2001. Die französische Internetseite Terres d'ecrivain verzeichnet über 150 literarische Orte in Frankreich.
"Das Haus, das Zimmer, der Speicher, wo man allein gewesen ist, geben den Rahmen ab für eine unbeendbare Träumerei, eine Träumerei, die allein die Dichtkunst in einem Werk beenden könnte", schreibt Gaston Bachelard in seiner Schrift "Poetik des Raumes". Nach einem Besuch auf der Internetseite Terres d' ecrivains, muss man Bachelard einfach zustimmen: hier findet man Orte, die nicht nur Denkbezirke für Schriftsteller waren, sondern die als literarische Topographien in ihre Werke eingegangen sind.

Über 150 literarische Orte in Frankreich kann man bei Terres d'ecrivains aufsuchen: Einfach Namen des Schriftstellers in die Suchmaschine eingeben und los geht's. Neben Fotos, Zitaten und ausführlichen Erklärungen zur Bedeutung des Ortes finden sich Hinweise auf andere Wohnorte und auf das, was es an Literarischem in der Umgebung noch zu erkunden gibt. Praktische Hinweise zur Besichtigung und weiterführende Literaturhinweise sowie Links zu Internetseiten über die Autoren runden das Angebot ab.

Die Seite stellt außerdem die Besichtigung des Monats vor, schlägt Literarische Spaziergänge und organisierte Wanderungen vor. Mit Hilfe von Maporama kann man den ersten Schritt vom virtuellen Spaziergang zum realen Erlebnis machen, indem man sich die Lage der Orte auf einer Karte ansieht. Einer der ausdauerndsten Spaziergänger der Weltliteratur, Thomas Bernhard, schreibt in seinem Roman "Auslöschung, Ein Zerfall" über virtuelles Reisen: "Ich liebte Landkarten über alles. Ich breitete sie vor mir aus und machte große Reisen, suchte die berühmtesten Städte auf und befuhr mit meinen geträumten Schiffen die Meere." Vielleicht bekommen Sie ja jetzt Lust, sich sofort auf den Weg zu machen.

Wer also beispielsweise annimmt, mit einem Besuch im Maison de Balzac in Paris sei er bestens informiert, weit gefehlt: Obwohl Honore de Balzac nur nachts schrieb oder vielleicht gerade deshalb, hat Paris, wo er zwischen 1814 und 1850 an verschiedenen Orten lebte, sein Werk geprägt wie kaum einen anderen französischen Schriftsteller. Manchmal lebte er an mehreren Orten gleichzeitig, manchmal sogar unter falscher Identität, erfährt man bei Terres d' ecrivains. Zwischen 1823 und 1837 verbrachte er jeden Sommer im Château de Sache, dessen bezaubernde Umgebung in seinen Roman "Le lys dans la vallee" eingegangen ist. Der erste Teil seiner Erzählung "Un debut dans la vie" spielt in der nahen Umgebung von Paris, in einer Postkutsche auf dem Weg nach L'Isle-Adam. Um 1821 lernte Balzac die zwanzig Jahre ältere Laure de Berny kennen, die zunächst seine Vertraute und dann seine Geliebte wurde. Im Jahr 1830 mietete er "La Grenadiere" in Saint-Cyr-sur-Loire, um dort den Sommer mit Madame Berny zu verbringen... Die gleichnamige Erzählung schrieb er angeblich in nur einer Nacht. Darin heißt es über den romantischen Ort in der Nähe von Tours: "La Grenadiere ist eine kleine Behausung am rechten Ufer der Loire, man kann sich dort nicht aufhalten, ohne die Atmosphäre von Glückseligkeit zu spüren und ein ruhiges Leben ohne Streben und Sorgen zu begreifen."

Empfohlen wird auf der Seite eine Reise entlang der "Route historique des maisons d'ecrivains", auf der man so manche Anekdote, so manch Skurriles, Privates, aber zweifelsohne auch Literarisches erfahren kann. Wir stellen hier nur einige Etappen vor:

Der Erfolg seiner Romane erlaubte es Alexandre Dumas, in Port-Marly ein Schloss im Stil der Neorenaissance zu erbauen. Sein Arbeitszimmer war ein neugotisches Schlösschen, das er im Garten erbauen ließ und dem er den Namen "Château d'If" gab. Bekanntlich steht dieses ja auf der "Ile d'If", die vor Marseilles liegt und die Dumas als Handlungsort für seinen Roman "Der Graf von Monte Cristo" wählte.

In Medan kann man gleich zwei Bauten besichtigen: Das Schloß von Maurice Maeterlinck und das Haus von Emile Zola.

Hinter den dicken Mauern seines Jagdschlosses, das schon den Maler Paul Cezanne inspiriert hatte, dichtete Maurice Maeterlinck nicht nur, sondern er lies für seine junge Gattin, die Schauspielerin Renee Dahon, einen Theatersaal bauen, in dem sein Stück "Der blaue Vogel" uraufgeführt wurde.

Bei einem Rundgang durch Emile Zolas Haus kann man sich vorstellen, wie die berühmten "Abende von Medan" vonstatten gingen. Beim Betrachten des bunten Glasfensters in Zolas Billardraum werden einem Zolas Geschmack, aber auch die Prinzipien des Naturalismus plötzlich überdeutlich: in der Naturszenerie hat der Maler nicht das kleinste Insekt vergessen. Ansonsten kann man auf den zahlreichen Fotos der Ausstellung Zola mit seinem Fahrrad und seinen Lieblingshündchen entdecken. Die Wäschekammer erinnere auf "intime Weise" an Jeanne Rozerot, liest man auf der Internetseite, das ist richtig, sie war nämlich nicht nur Waschfrau, sondern auch die Geliebte des Hausherrn.

Und wer glaubt, dass Iwan Turgenjew in Bougival eine Datscha erbaut hat, um sich ganz zurückgezogen seiner Schriftstellerei zu widmen, der irrt: Er ließ sie im Park einer befreundeten Familie der Sängerin Pauline Viardot erbauen, die er überaus verehrte.

Weitere Stationen, bei denen Sie auf der Route historique des maisons d'ecrivains unbedingt halt machen sollten sind: Das Haus von Stephane Mallarme, von Francois Rene de Chateaubriand, von Elsa Triolet und Louis Aragon und von Jean de la Varende. Anhalten und Besichtigen lohnt sich auch beim Museum Jules Michelet, beim Pierre Corneille Museum und beim Victor Hugo Museum.

Unter dem aufmunternden Stichwort "Faire etape" findet man bei Terres d' ecrivains zahlreiche Pariser Cafes, Hotels und Restaurants, an denen sich Schriftsteller über kurz oder lang aufhielten und sich von der dortigen Atmosphäre anregen ließen. Nicht umsonst schrieb Ernest Hemingway über die Stadt: "Paris ist der beste Ort, an dem Schriftsteller schreiben können."

Ergänzende bibliographische Hinweise findet man in einer Literaturliste mit literarischen Reisebüchern für Frankreich. Verwiesen wird auch auf den "Verband der Häuser von französischen Schriftstellern und dem literarischen Kulturerbe Frankreichs". Hier können Sie unter anderem eine interaktive Frankreichkarte befragen, diese ist natürlich der Literatur gewidmet.

Weitere französische Literatur-Seiten im Netz sind "alalettre.com" und "auteurs.net".

Silke Greulich