Magazinrundschau

Bastle etwas für deine Freunde

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
07.05.2019. Der New Yorker untersucht die Landfrage in Südafrika. In Guernica erzählt die Geigerin Hilary Hahn, wie man einen Notentext liest. Bloomberg porträtiert den Mann, der Microsoft wieder uncool - und damit erfolgreich - machte. Die LRB widmet sich weiblicher Delinquenz. Im New York Magazine erzählt Anjelica Huston, wie man eine unperfekte Ehe führt.

New Yorker (USA), 13.05.2019

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker geht Ariel Levy der Frage nach, wem Südafrika gehört. Landreformen und Restitution sind immer schon ein heißes politisches Thema: "Für den A.N.C. war die Landfrage entscheidend, die Partei wurde als Reaktion auf den Glen Grey Act und die folgenden Gesetze gegründet. Als der A.N.C. 1994 die Macht übernahm, sah er die Landreform als 'treibende Kraft eines Programms zur ländlichen Entwicklung', das Jahrhunderte der Ungerechtigkeit wettmachen sollte. Es sollte ein Landbesitzgericht geben, das über Entschädigungen entscheidet sollte für alle, die enteignet worden waren. Um Konflikte zu vermeiden, wurden Grundbesitzer aufgefordert, ihr Land freiwillig an die Regierung zu verkaufen, damit es an diejenigen mit legitimen Ansprüchen zurückgegeben werden konnte. Eine Besitzreform sollte Menschen, die jahrzehntelang an Orten gelebt haben, die sie rechtlich nicht besaßen, formelle Eigentumsrechte zusichern. Und schließlich verpflichtete sich der A.N.C., innerhalb von fünf Jahren dreißig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes neu zu verteilen. Fünfundzwanzig Jahre später sind gerade mal acht Prozent verteilt. Weiße Südafrikaner besitzen 72 Prozent des Landes … Das Scheitern der Landreform ist einer der Gründe dafür, dass Südafrika zu den ungleichsten Gesellschaften der Welt gehört. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 37 Prozent. Nur dreizehn Prozent der Südafrikaner verdienen mehr als sechstausend Dollar im Jahr. Das Bildungssystem ist in Trümmern: Fast achtzig Prozent der Neun- und Zehnjährigen fehlt es an grundlegendem Leseverständnis. Um das Leid der Südafrikaner noch zu vergrößern, verschwanden unter Jacob Zuma rund siebzehn Milliarden Dollar aus der Staatskasse … Die aktuell geplante Landreform durch die Regierung beschränkt sich nicht nur auf die Frage der Enteignung, sondern versucht auch, Klimawandel, Dürre und Urbanisierung mit einzukalkulieren. 'Es geht nicht nur um Farmen', erklärt Vuyo Mahlati, Präsidentin der African Farmers Association of South Africa. 'Es geht um Städte, in denen 83 Prozent der städtischen Bevölkerung - hauptsächlich Schwarze - auf zwei Prozent des Landes leben.' Für sie ist die entschädigungslose Enteignung nicht nur eine moralische Frage dar, sondern auch eine finanzielle Notwendigkeit."

Außerdem: Joshua Yaffa porträtiert den russischen Arzt und Schriftsteller Maxim Osipov, der gern mit Tschechow verglichen wird. David Owen schreibt über Lärmbelästigung als ernst zu nehmendes Umwelt- und Gesundheitsproblem. Und Peter Schjeldahl besucht Fotoausstellungen von Garry Winogrand und Jeff Wall im Brooklyn Museum und bei Gagosian. Joyce Carol Oates liest den neuen Erzählband von Ted Chiang. Und Anthony Lane sah im Kino Jonathan Levines "The Long Shot" mit Charlize Theron und Seth Rogen.
Archiv: New Yorker

Guernica (USA), 25.04.2019

Emily Fragos Einleitung zu ihrem Interview mit der Geigerin Hilary Hahn ist recht süßlich und überladen mit Superlativen, aber Hahn selbst erweist sich im Gespräch eigentlich als recht nüchterne Künstlerin, die auch genau über das nachdenkt, was sie tut - so spricht sie etwa über die Kunst der Interpretation: "Phrasieren ist das, was ein Schauspieler tut, wenn er einen Text bekommt ohne Information über eine Rolle, oder wenn er ein kompliziertes Gedicht einübt, das er zum ersten Mal vorträgt. Es gibt so viele Optionen. Ein Notentext ist nur ein relativer Indikator für den Willen des Komponisten. Diese Note ist ungefähr so viel höher als jene Note oder so viel länger als jene. Dies ist ungefähr das Tempo. Es ist fast unmöglich, jeden Tag dasselbe Tempo zu erzeugen, denn dein Puls ist nicht gleich. All dies sind Indikatoren, Zielvorstellungen."

Außerdem: Mary Wang besucht die Autorin und Illustratorin Leanne Shapton in ihrem Studio.
Archiv: Guernica
Stichwörter: Hahn, Hilary, Geigerin

Bloomberg Businessweek (USA), 02.05.2019

Austin Carr und Dina Bass liefern eines jener Firmen- und Managerporträts, die einen etwas besser verstehen lassen, was Innovation und Digitalisierung wirklich heißt. Sie porträtieren den höchst erfolgreichen Nachfolger Steven Ballmers bei Microsoft, der dem Konzern eine höhere Börsenbewertung als Google bescherte. Anders als beim Atmo-Journalismus deutscher Prägung spielen dabei Satya Nadellas Herkunft aus Hyderabad und seine Vorliebe für Cricket so gut wie keine Rolle. Carr und Bass zeigen, wie Nadella Microsoft wieder cool machte, indem er die Firma endlich einsehen ließ, dass sie nie cool war: Die Zeiten, als jedes Apple-Ipad mit einer Gurke von Microsoft getoppt werden sollte, sind vorbei. Statt dessen hat Nadella das Cloud-Geschäft vorangetrieben und sich auf geschickte Weise als Alternative zu Google und Amazon aufgestellt (Microsoft als Alternative, das muss man sich auch mal klarmachen). Cloud-Computing ist die gigantische physische Infrastruktur, die Netflix, automatische Fahrsysteme und Online-Banking erst möglich macht. Amazon führt, aber "das Unternehmen von Jeff Bezos expandiert rücksichtslos und stellt dabei eine potenzielle Bedrohung für Cloud-Kunden wie Einzelhändler und Unterhaltungsunternehmen dar, während es zugleich seine Daten auf seinen Servern speichern will. 'Microsoft ist dezent in seinen Andeutungen, aber man lässt bei Kundengesprächen keinen Zweifel daran, dass Bezos natürlich versuchen könnte, in die Betriebsgeheimnisse der Kunden zu linsen und ihre Daten per künstlicher Intelligenz auszulesen, um dann auf ihre Kunden zu zielen', sagt ein früherer E-Commerce-Manager, der eine Partnerschaft mit Nadella abgeschlossen hat. 'Zu Ballmers Zeiten wurde getobt. Aber Satya ist richtig gut darin ganz sanft zu fragen: 'Wollen Sie wirklich einen Technologie-Partner, der gleichzeitig ein Konkurrent ist?'" Und das hat geklappt: Vor nicht allzulanger Zeit konnte Microsoft Walmart als Kunden gewinnen.

Außerdem sehr empfehlenswert: Archana Chaudharys Reise den Ganges hinab, um das "Modi-Zeitalter" zu erkunden. Der Hindu-Nationalist Narendra Modi stellt sich in den größten demokratischen Wahlen der Welt der Wiederwahl. Manches hat sich verändert, viele sind enttäuscht. Der Bericht ist mit großartigen, teilweise Harry-Potter-mäßig animierten Fotos garniert.

Fathom (Großbritannien), 01.05.2019

Die Sowjetunion hatte einst ein offizielles "Antizionistisches Komitee der sowjetischen Öffentlichkeit", das 1984 in vielen Sprachen eine Schrift über die "verbrecherische Allianz des Zionismus und Nazismus" herausbrachte. Die Argumentationsfiguren in dieser Schrift ähneln denen der heutigen antisemitischen Linken aufs Haar, schreibt Izabella Tabarovsky, eine Spezialistin für die Geschichte des kommunistischen Antizionismus. Und diese Schrift war nur Teil einer heute fast vergessenen jahrzehntelangen antizionistischen Kampagne der Sowjetunion: "Der Antisemitismus dieser Kampagne war bestürzend. Die meisten Autoren - von denen viele Verbindungen zum KGB oder der Parteispitze hatten - stützten sich stark auf antisemitische Denkfiguren, die sie direkt aus den 'Protokollen der Weisen von Zion' bezogen. Manche in der Gruppe waren Bewunderer Hitlers und des Nationalsozialismus und benutzten 'Mein Kampf' als Quelle der 'Information' über Zionismus und Inspiration für die eigenen Interpretationen. Die Sowjets bestritten Beschuldigungen des Antisemitismus mit Vehemenz, die sie als 'zionistische Tricks' und 'schändliche imperialistische Machenschaften' abtaten. Aber die 26 Millionen sowjetischen Juden wussten es besser. 1976, auf einem der Höhepunkte der Kampagne, sagte der sowjetisch-jüdische Aktivist Natan Scharanski, er spüre einen 'Geruch nach Pogrom' in der Luft."
Archiv: Fathom

London Review of Books (UK), 09.05.2019

Wichtig und höchst aufschlussreich findet Mary Hannity Caitlin Davies' Geschichte "Bad Girls" des berühmt-berüchtigten Londoner Frauengefängnisses HMP Holloway. Sie lernt viel über die Bewertung und Sanktionierung weiblicher Delinquenz, die immer noch dem Schema "He's Bad, She's Mad" folge. Aber ganz einverstanden ist Hannity nicht mit Davies' Schlussfolgerungen: "Davies' Behauptung, dass Frauen dafür kriminalisiert werden, dass sie nicht die Normen weiblichen Verhaltens einhalten, kann auch die überproportionale Inhaftierung schwarzer Frauen in britischen Gefängnissen erklären. Ihnen wird mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Haftstrafe auferlegt als weißen Frauen und seltener Bewährung gegeben. Fokusgruppen mit schwarzen oder asiatischen Frauen berichteten in Befragungen, dass sie vor Gericht mit einer Jury von alten weißen Männern doppelt benachteiligt und im Gefängnis vom Wachpersonal anders behandelt werden ('Bei Weißen ist es seelische Belastung, bei Schwarzen ungenügende Aggressionsbewältigung'). 2017 fand eine vom Labour-Abgeordneten David Lammy geführte Untersuchung heraus, dass auf hundert weiße Frauen, die wegen Drogendelikten zu Haftstrafen verurteilt wurden, 227 schwarze Frauen kamen. Schwarze Männer kommen auf eine Zahl von 141 auf hundert weiße Männer. 'Sehr wenige weibliche Gefangene haben jemals eine Gefahr für die Gesellschaft dargestellt, stattdessen sind die meisten Opfer von Umständen und auf die ein oder andere Art Opfer von Männern geworden', schreibt Davies. Die meisten Frauen im Gefängnis haben vielfältige Bedürfnisse und Verletzlichkeiten: 46 Prozent haben häusliche Gewalt überlebt, 53 Prozent berichten, in ihrer Kindheit missbraucht worden zu sein. Fast ein Drittel war zuvor in psychiatrischen Kliniken behandelt worden, verglichen mit zehn Prozent der männlichen Gefangenen... Aber wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, Weiblichkeit als Geschichte von Opfertum und Mühsal zu sehen. Wenn man weibliche Gefangene nur als Abweichung von der männlichen Norm betrachtet, riskiert man, die Verbindung von Maskulinität und Gesetzlosigkeit zu bekräftigen und damit die Masseninhaftierung von Männern zu legitimieren."

Tom Stevenson lernt von David Wearings "AngloArabia", dass der Westen überhaupt nicht auf das Öl der Golfstaaten angewiesen und auch nicht erpicht darauf ist. Die USA wollen nur den Daumen auf die Ölexporte halten, die zum größten Teil nach Asien gehen: Ihre überwältigende militärische Kontrolle über die Region stellt sicher, dass Japan, Südkorea, India und selbst China mit den USA rechnen müssen, denn wenn sie wollten, könnten sie sie von ihrer Hauptenergiequelle abschneiden."

New York Magazine (USA), 29.04.2019

Die Schauspielerin Anjelica Huston plaudert in einem langen Interview über ihre erste Filmrolle, ihren Vater John Huston, Hollywood, #Metoo, Roman Polanski und Woody Allen, Jack Nickolson und ihren Ehemann, den 2008 verstorbenen Künstler Robert Graham, der ihr fehlt, gerade weil ihre Ehe nicht perfekt war: "Nein, nichts ist perfekt, besonders wenn man ein Leben wie meines hatte und die Unvollkommenheiten genauso interessant sind wie die Perfektionen, wenn nicht sogar interessanter. Es war nicht so, dass Bob nicht perfekt gewesen wäre, denn er war fast perfekt, aber er war ein Künstler. Eines der Dinge, die ich an Bob wirklich mochte, war, dass ich dachte: 'Nun, wenn ich morgen sterbe, wäre es sicherlich nicht das Ende seines Lebens.' Bob besaß vieles, das nicht von mir abhing. Er war in gewisser Weise in seinem eigenen Flugzeug unterwegs. Ich konnte mir etwas ansehen, das Bob gemacht hatte und denken: 'Wie zum Teufel hat er das geschafft?'"

Alex Kotlowitz erzählt die Geschichte Alex Garcias, eines illegal aus Honduras in die USA eingewanderten Flüchtlings, der ausgerechnet in der Trump liebenden Kleinstadt Poplar Bluff in Missouri landete, dort 15 Jahre lebte, Freunde fand, heiratete und jetzt im Keller einer Kirche sitzt, um nicht abgeschoben zu werden: "Das ist genauso ihre Geschichte wie die von Garcia. Für einige hat die Bekanntschaft mit dem inzwischen 37-jährigen honduranischen Einwanderer ihre Sichtweise auf Trump und auf Menschen, die illegal in dieses Land einreisen, verändert. Andere kämpfen immer noch mit konkurrierenden Loyalitäten: gegenüber Garcia und einem Präsidenten, der Einwanderer als Vergewaltiger, Mörder und Tiere angeprangert hat und der in den letzten Wochen die Rhetorik noch höher getrieben hat, indem er erklärte, dass 'unser Land voll ist' und drohte, die Grenze zu schließen."

Magyar Narancs (Ungarn), 04.04.2019

Der Schriftsteller János Háy denkt über Versuche einer Kanonbildung sowie über die Auswirkung dieser Versuche auf die (Un-)Abhängigkeit der Künstler nach. "Es gibt immer eine zeitgenössische kanonbildende Intention und es ist ersichtlich, wer diesmal dazugehört. In den 90ern und den 2000ern Jahren wurden die Autoren um die Verlage Magvetö und Holmi mit Preisschildern versehen. Jetzt versucht es eine Kraft außerhalb der literarischen Profession mit einer Wiederholung. Im Interesse der Schaffenden steht aber, dass die zeitgenössische Kultur mehrere Zentren hat und die Schriftsteller in die Lage versetzt werden, zwischen ihnen zu manövrieren, damit man nicht in den Arsch der Macht kriechen muss. Wenn du anfängst die Karre einer meinungsbildenden Kraft zu schieben, dann ist zu befürchten, dass du künstlerisch auf die Nase fällst, denn du versuchst freiwillig konform zu sein. Dieser Konformismus hat als offensichtliche Konsequenz, dass eine künstlerische Entstellung eintritt, denn du dienst einem fremden Willen oder besser gesagt einem ästhetischen Paradigma."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Ungarn, Hay, Janos, Konformismus

Guardian (UK), 06.05.2019

Und was, wenn gar nicht die Nachrichten, Donald Trump oder der Brexit so total verrückt wären, sondern die Dominanz, mit der sie unser Leben beherrschen? Oliver Burkemann überlegt, ob es für das demokratische Miteinander nicht förderlicher wäre, wenn wir uns online weniger engagierten: "Sich aus den aktuellen Angelegenheiten herauszuhalten, wird oft mit dem Vorwurf der Selbstbezogenheit quittiert. Vor einem Jahr porträtierte die New York Times Erik Hagerman, einen Mann aus Ohio, der sich nach der Wahl von 2016 total aus den Nachrichten ausklinkte und sogar Weißes Rauschen auf seine Ohren spielt, wenn er in den örtlichen Coffeeshop ging, um nicht das Gerede über Donald Trump hören zu müssen. Der Artikel ging - natürlich - viral, und Hagerman traf der geballte Zorn der Leser, oder hätte es getan, wenn er online gegangen wäre. 'Nicht jeder schafft es, ignorant zu werden', schäumte Kellen Beck auf Mashable und sprach vielen aus der Seele, als er Hagerman 'den selbstbezogensten Mann in Amerika' nannte. 'Menschen, deren Familien von den Einwanderungsbehörden auseinandergerissen werden, schaffen es nicht. Menschen, die von Waffengewalt bedroht sind, schaffen es nicht. Aber ein weißer Mann, der die Möglichkeit hatte, viel Geld zu verdienen und zu sparen, ist natürlich auch nicht betroffen von den Dingen, die in diesem Land seinen Mitmenschen geschehen. Doch ist die Annahme, dass es ein verwerflicher Luxus sei, den Nachrichten weniger Aufmerksamkeit zu schenken, ein Überbleibsel aus einer Zeit als Informationen rar waren. Wenn Nachrichten schwer zu bekommen sind, ist es eine Tugend, sie auszugraben, denn es kostet Mühe. Aber wenn sie allgegenwärtig sind und es die Dinge eher verschlimmert, dass sich alle in ihnen suhlen, dann erfordert es mehr Mühe, sie zu vermeiden... Ob der Rückzug selbstsüchtig ist oder nicht, hängt davon ab, was man mit der frei gewordenen Zeit und Energie anfängt. Hagerman kaufte 18 Hektar Land neben einer früheren Kohlemine, berichtete die Times, und will sie renaturieren, bevor er sie der Öffentlichkeit überlässt: ein Projekt, das ihn den Rest seines Lebens und den Großteil seiner Ersparnisse kosten wird."

Tina Rosenberg erzählt, wie der Psychiater Vikram Patel nach Simbabwe ging, um zu beweisen, dass die Depression eine westliche Wohlstandserkrankung sei und Niedergeschlagenheit in armen Ländern eine Folge von Ausbeutung und Kolonialisierung: "Die Medizin, glaubte Platel, sei nicht Psychotherapie, sondern soziale Gerechtigkeit. Er begann seine Arbeit, indem er erst traditionelle Heiler befragte, dann die Patienten selbst. Er fragte, was seelische Krankheit sei, woher sie rührte und wie sie zu behandeln sei. Die häufigste Erkrankung hatte einen Namen: Kufungisisa, ein Wort in der örtlichen Sprache Shona, das übertriebene Sorgen bedeutete. Viele Heiler sagten, Kufungisisa sei keine Krankheit, sondern eine Reaktion auf die Beschwernisse des Lebens, auf Armut oder Krankheit. Aha, dachte Patel, genau wie er erwartet hatte: In Simbabwe wurde seelisches Leiden hervorgerufen durch soziale Ungerechtigkeit. Aber als Patel die Patienten befragte, wie sich Kufungisisa anfühlte, waren die Antworten vertraut: Egal, wie es genannt und was dafür verantwortlich gemacht wurde: Alle beschrieben Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung, die Unfähigkeit, ihre Probleme anzugehen und ein fehlendes Interesse am Leben um einen herum - klassische Zeichen einer Depression."
Archiv: Guardian

New York Times (USA), 04.05.2019

In der Experience Tube


In einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe des Magazins besucht Rachel Monroe das Disneyland von heute bzw. der Zukunft, das aus einem Künstlerkollektiv in Santa Fe entstandene Multimillion-Dollar-Projekt Meow Wolf: "Meow Wolf hat sich als die große Hoffnung der Erlebniswirtschaft herausgestellt; es spiegelt das klassische Start-up-Narrativ wider, in der brillante Außenseiter groß rauskommen. Vor sechs Jahren war die Gruppe ein anarchisches Künstler-Kollektiv, das außerhalb von Santa Fe keiner kannte und das ulkige Installationen und Partys veranstaltete. In den folgenden Jahren, in denen sich die spielerische Ästhetik der Gruppe dem Appetit des Marktes anpasste, hat sie eine schwindelerregende Transformation durchlaufen. Meow Wolf hat den Grundstein für ein 60 Millionen Dollar teures Flaggschiffprojekt in Denver gelegt, das mehr Kunstausstellungsfläche bietet als das Guggenheim, und plant den Bau einer dreistöckigen, 75.000 Quadratmeter großen Dauerinstallation in Washington. Besucher des Vergnügungsparks Elitch Gardens in Denver können sich mit Meow Wolf auf einen Trip mit Laserpistolen und animierten Kreaturen einlassen. Und bald wird man im 400 Zimmer zählenden Meow Wolf Hotel in Phoenix übernachten können. Das Unternehmen produziert Musikvideos, veranstaltet ein jährliches Festival und eröffnete gerade ein Produktionsstudio, das TV-Sendungen und Podcasts herstellt. Es produziert und verkauft den 'Experience Tube', einen fünf Fuß langen, dehnbaren Stoff, der das menschliche Miteinander fördern soll: Steckt man den Kopf in den Schlauch, ist man gezwungen, in das Gesicht der Person am anderen Ende zu schauen anstatt auf sein Smartphone. Tausende der Schläuche wurden inzwischen verkauft - für je 29,95 Dollar, was vielleicht die eigentliche Pointe des gesamten Meow-Wolf-Mikrokosmos ist: Bastle etwas für deine Freunde, entdecke, dass es den Zeitgeist antizipiert, werde sehr, sehr erfolgreich. Nach dem letzten Crowdfunding Anfang des Jahres ist aus dem losen Verband rauflustiger Punks ein Konzern mit neunstelliger Bewertung geworden."

Außerdem: Latoya Ruby Frazier und Dan Kaufman berichten, was die Schließung von G.M. in einer Stadt in Ohio anrichtet. Jesse Barron erzählt, wie Remington, älteste Waffenschmiede der USA, bankrott gehen konnte.
Archiv: New York Times