Außer Atem: Das Berlinale Blog

Gemacht, um umwerfend zu sein

Von Katrin Doerksen
09.02.2017. Die Hommage der Berlinale gilt in diesem Jahr der italienischen Kostümdesignerin Milena Canonero, die mit einem Ehrenbären ausgezeichnen wird. Canonero, berühmt für ihre farbintensiven Entwürfe, schuf unter anderem die Kostüme für Kubricks "Clockwork Orange", Pollacks "Out of Africa" und Coppolas "Marie Antoinette". Eine Würdigung
Dass sie das Angebot zu "Star Wars" ablehnte, ist die eine Karriereentscheidung, die Milena Canonero bis heute bereut. Ihr Stil ist in der Weltraumsaga nichtsdestotrotz präsent: die Armee des Imperiums ist eine plastoidgepanzerte Version der Droogs, für die sie 1971 die Unschuldsnichtfarbe Weiß umdeutete. In Stanley Kubricks "A Clockwork Orange" - Canoneros Durchbruch - kommt es den gewaltausübenden Kräften nicht darauf an, ungesehen in der Dunkelheit zu verschwinden. Sie sind von moralischen Skrupeln so unangefochten, dass selbst die strahlenden Hemden und Hosen die blutigen Spuren ihrer Taten abzuweisen scheinen. Bei Tag Wiedergänger der geschniegelten Teddy Boys, bei Nacht verzerren die über den Hosen getragenen Suspensorien, die phallischen Nasenaufsätze die Männlichkeit von Alex und seiner Kohorte ins Groteske.


Clockwork Orange

Milena Canonero, 1942 oder 46 in Turin geboren, studierte Kunst- und Designgeschichte, arbeitete für das Kino, Werbung, die Oper, sogar die Fernsehserie "Miami Vice". Vierfach oscarprämiert, neben vielen anderen Auszeichnungen. Die Berlinale widmet ihr in diesem Jahr die Hommage und zeichnet sie mit einem Goldenen Ehrenbären aus.

Mit der Zeit steht sie auf Kriegsfuß. Lange schwieg sie über ihr Alter. In einem Interview mit der New York Times stieß sie einst trotzig hervor: "Ich hasse die Zeit. Es gibt nie genug davon, um etwas wirklich richtig zu machen. Du hast nie genügend Zeit, um alle Leben zu leben, die du leben willst." Das war 1986, kurz nach ihrer Arbeit an "Out of Africa". Ihre ersten zwei Academy Awards hatte sie da schon gwonnen - 1975 für "Barry Lyndon" und 1981 für "Chariots of Fire", beide Historienfilme. Sie arbeite gern mit Originalkleidung aus vergangenen Jahrzehnten, erklärte die Kostümdesignerin einmal, die sei oft günstiger und von besserer Qualität. Doch gemein sind ihren Designs, dass sie eben nicht reine Reproduktionen vergangener Moden sind.


Chariots of Fire

Eine zweite Männergruppe in Weiß, zur Musik von Vangelis an einem Strand trainierend, eröffnete nur zehn Jahre nach "A Clockwork Orange" in Zeitlupe Hugh Hudsons "Chariots of Fire". Nur befleckten diesmal Sand und Meerwasser die helle Laufkleidung und obwohl die beiden zentralen Sportler in der Uniformität ihrer Gruppe aufgehen, ist ihr Heroismus, ihre hohen Ideale und Erwartungen allein in dieser kurzen Sequenz förmlich greifbar. Weiß und Schwarz, die beiden Nichtfarben an den Enden des Spektrums, sollten in Milena Canoneros Entwürfen stets den Höhepunkten vorbehalten bleiben, den Außenseiterfiguren und Schlüsselmomenten.

Später war da Madonna in der 1990er Comicverfilmung "Dick Tracy" - eine Art evil Marilyn, die auf die Frage, ob sie um ihren ermordeten Geliebten trauere, antwortete: "Ich trage schwarze Unterwäsche." Um dem Stil des zugrundeliegenden comic strip nahezukommen, hatte Regisseur und Hauptdarsteller Warren Beatty die Palette des Films auf sieben Farben beschränkt. Die Männer wurden zu wandelnden Karikaturen in ihren breitschultrigen Sakkos in hochgesättigtem Gelb, Türkis und Rot. Madonna verführerisch mittendrin, in einem leichten Negligé aus durchscheinendem schwarzen Mesh, zugleich verletzlich und unnahbar. Es war auch dieser transparenten Textilie zu verdanken, dass man es ihr sofort abnahm, wenn sie Beatty entgegen hauchte: "Ich bin auf der gleichen Seite wie immer - auf meiner."


Marie Antoinette

Sechzehn Jahre später waren es die schwarzen Kleider einer Königin, die die zweite große Erfolgsphase der Milena Canonero einleiteten. Aus Sofia Coppolas Popmärchen "Marie Antoinette" bleibt vor allem die Einstellung im kollektiven Gedächtnis, in der ein Paar Converse All Stars neben Manolo Blahniks Seidenpantöffelchen liegen. In ihren Recherchephasen betreibt Canonero ausführliche Studien, nur um die Originalteile anschließend zugunsten ihrer eigenen Ideen zu verwerfen. In "Marie Antoinette" stimmen die Schnitte der Kostüme mit den historischen Vorbildern überein. Dafür sind die dominierenden Bonbonfarben einer Box Macarons von Ladurée abgeschaut, die Canonero vor Beginn der Dreharbeiten von der Regisseurin erhalten haben will.

Bei ihrer Übergabe an Frankreich wird die entgeisterte Prinzessin von Bediensteten all ihrer Kleider und Habseligkeiten entledigt und von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, die riesige babyblaue Schleife um den Hals ein Symbol ihres Warenstatus. Die ausladende Krinoline ihres Hochzeitskleides verhindert von vornherein jede körperliche Nähe zwischen Braut und Bräutigam und als sie bald darauf in einem Brief von der Schwangerschaft ihrer Schwester erfährt, während der französische Thronfolger quälend lange auf sich warten lässt, bricht sie, an eine Wand gelehnt, deren Blumenmuster nahtlos mit den millefleurs ihres Kleides verschmilzt, zusammen. Es scheint, als löse sich die jugendliche Marie Antoinette in ihrem eigenen Image auf, erst dem der verschüchterten l'Autrichienne, schließlich dem der verhassten Madame Déficit.


Marie Antoinette

Während die inzwischen pompös gekrönte Königin an ihren Aufgaben wächst, kleidet Canonero sie in immer gedecktere, unauffälligere Farben, weniger Manifestation ihres Innenlebens als vielmehr Ausdruck ihrer Selbstermächtigung. Durch die bewusste Wahl ihrer Garderobe gewinnt Marie Antoinette Kontrolle zurück, Kontrolle über ihren Körper, ihre Außenwirkung. Einen schwarzen Tüllrock trägt sie zum Kostümball, auf dem sie die Liebe ihres Lebens trifft. Und schwarz bemalte Lippen formen in einer Traumszene schließlich lasziv die berüchtigten, fälschlicherweise der Königin zugeschrieben Worte: "Sollen sie doch Kuchen essen" - da ist ihr Schicksal bereits besiegelt.

Trotz ihres Erfolges hält Canonero nicht hinterm Berg, wenn es darum geht, dass sie ihre Profession nach wie vor für unterschätzt hält. "Heutzutage sind wir bei unseren Budgets für Kostüme auf den großzügigen Beitrag von Förderern aus der Modewelt angewiesen," belehrt sie Matt Zoller Seitz in einem Interview für den Band "The Wes Anderson Collection: Grand Budapest Hotel" mehr als dass sie sich beklagt. Die Uniformen - die tatsächlichen wie auch die sinnbildlichen - geben dem Film seinen Look. Einem Deal mit Fendi verdankt der Film den Pelz: Edward Nortons Astrachan-Mantel, der Nerzmuff, in den Tilda Swinton als Madame D ihre geriatrischen Hände steckt. Noch so eine unabwendbar schicksalsgebeutelte Canonero-Figur: Madame D trauert längst vergangenen Zeiten hinterher. Der Belle Époque, deren Grandezza noch in ihrem delikaten Schmuck mitschwingt, der sorgfältig aufgetürmten Frisur, den Zwanzigern, aus denen sie das goldene Kleid mit dem von Gustav Klimt inspirierten Muster herübergerettet hat.


Grand Hotel Budapest

Viel stärker als in "Grand Budapest Hotel", diesem stilistischen Konglomerat aus Erinnerungen und freien Assoziationen, war Milena Canonero in "Barry Lyndon" an die von Kubrick vorgegebene historische Glaubwürdigkeit gebunden. Aber selbst in die Rokoko-Roben der anämischen Lady Lyndon - eine fiktionale Zeitgenossin Marie Antoinettes - flocht sie noch Anklänge an den punk style Vivienne Westwoods, ahnte in der spinnwebfeinen Spitze die Opulenz des Gothic-Trends voraus. Für seine Frühling/Sommer-Kollektion 2007 ließ Alexander McQueen schließlich zu Händels Sarabande bleiche Models in Haut-Tönen den Laufsteg entlang schweben, voluminöse Röcke und überbordende Frisuren präsentierend. Für seine Herbst/Winter-Kollektion 1999/2000 hatte er schon einmal das Duo Canonero/Kubrick zitiert: in einer Schau unter dem Titel "The Overlook" steigerten grobe Strickkapuzen und Glockenröcke Shelley Duvalls zugeknöpft-verbürgerlichten Althippiestil aus "The Shining" ins Extrem und paarweise auftretende Models in identischen grauen Kleidern beschworen den Geist der falschen Zwillinge.


Out of Africa

Die Liste der modischen Wechselwirkungen ist lang: die Droogs spiegeln sich in der Londoner Punk- und New Wave-Szene der 1970er Jahre, Mitte der Achtziger konnte sich die damals auf Reisekleidung spezialisierte Modekette Banana Republic kaum vor Kundinnen retten, die den Safari-Look à la "Out of Africa" imitieren wollten. Dior beging 2007 seine Sechzigjahrfeier in Versailles, Juicy Couture warb für ein Parfüm mit einem Model in pastellenem Marie Antoinette-Look und Chanel schickte 2009 in einer Reminiszenz an den Petit Trianon Models in luftig elfenbeinernen Kleidchen und Leinenschürzen über den heubedeckten Boden eines Farmhauses. Die französische Obsession mit dem ancien régime, die 2006 neu aufbrach - die Königin landete auf Zeitungscovern, ihre Privatgemächer wurden für die Öffentlichkeit neu zugänglich und natürlich warb auch der Konditor Ladurée mit ihrem Namen - war in erster Linie von Sofia Coppolas und Milena Canoneros Vision geprägt, weniger von Marie Antoinettes historischem Abbild.

Canoneros Entwürfe werden vielleicht mal altmodisch erscheinen, aber obsolet ganz sicher nie. Im steten Austausch der Inspirationen sind ihre Impulse und sorgfältigen Neuinterpretationen ebenso eine Konstante wie ihre hinreißenden Form- und Farbexzesse: Bow Wow Wow singen "I Want Candy" zur Shoppingorgie und Karen Blixen legte keinen Wert auf den praktischen Nutzen ihres Hochzeitshutes: "Nun, er ist gemacht, um umwerfend zu sein."