Außer Atem: Das Berlinale Blog

Frauen sind keine Steine: Aminatou Echards "Djamilia" (Forum)

Von Lara Ladik
20.02.2018.


In manch abgeschiedenen Regionen unserer Erde gibt es sie noch, die Ikonen der Literatur, an die sich  noch jeder erinnert, als seien es alte Bekannte. Die selbstbestimmte junge Djamilia lebt als genau so eine Figur im heutigen Kirgistan weiter, obwohl Tschingis Aitmatow sie bereits vor sechzig Jahren mit seiner gleichnamigen, preisgekrönten Erzählung erschuf. Kann eine fiktive Romanfigur den Frauen der heutigen kirgisischen Gesellschaft Mut und Orientierung geben? Dieser Frage geht Regisseurin Aminatou Echard in ihrem Dokumentarfilm nach - und stellt fest, dass der Mythos um Djamilia mit den Jahrzehnten kaum verblasst ist. Es ist eine einfache Geschichte: Während ihr Mann im Zweiten Weltkrieg an der Front kämpft, verliebt sich eine junge Frau in den hinreißend schön singenden Daniar, mit dem sie als Landarbeiterin erst über die Felder zieht und am Ende durchbrennt.

Echards mit Super-8 gedrehten Film durchziehen ästhetische Langzeit-Porträtaufnahmen von Frauen verschiedenen Alters, deren Stimmen erst nachträglich unterlegt wurden und die uns erzählen: Seit Djamilia müssen sich kirgisische Frauen nicht mehr ganz machtlos fühlen. In Kirgistan ist es Brauch, und damit als legitim akzeptiert, dass der zukünftige Ehemann seine auserwählte Braut kidnappt, ohne dass diese Einspruch erheben dürfte. Sie fallen wie stumme Steine. Das ist seit Djamilia anders, nicht für alle, aber doch für viele Frauen. Der Film zeigt sehr reflektiert, wie jede Frau ihren eigenen Sinn in der Erzählung findet, ohne in einer Geschichte zu schwelgen, deren Umstände heute nicht mehr die gleichen sind. So überlebt eine Djamilia, die willensstark und den Konventionen zum Trotz eine Entscheidung trifft, indem sie zu ihren eigenen Werten steht. Echards Frauenporträts verkörpern die Zeitlosigkeit der Protagonistin: angeregt durch Djamilia, ermutigt eine junge Lehrerin ihre Schülerinnen dazu, nicht nur "vom Lieben zu träumen", sondern auch auszusprechen, was sie wollen und was nicht. Während ein junges Mädchen, deren langes Haar lose über die Gitarre fällt,  ihre Wünsche selbstbewusst vorsingt, sagen andere ganz direkt heraus: "Ich will mich selbst haben" oder stellen ihrem Ehemann sogar das Ultimatum: "Entweder ich gehe arbeiten, oder ich lebe nicht mehr länger mit dir."

Dass Aitmatows Protagonisten nicht nur Konventionen brechen, sondern auch die Künste für sich entdecken, lässt der Film nur anhand der Auswahl an kirgisischen Motiven erahnen, die wie ein visuelles Mosaik leise schillernd die Frauengesichter umrahmen. So wie Djamilia in den kirgisischen Köpfen omnipräsent zu sein scheint, so ist sie es auch auf der Leinwand, als eine leichtfüßig tänzelnde junge Frau mit langem schwarzen Haar, die unbeirrt durch wiederkehrende Bilder weiter Landschaften hüpft, immer weiter, ohne sich umzudrehen. Diese und andere farblich gesättigte Aufnahmen über das kirgisische Leben und seiner Bräuche, die sich wie ein Gegenpol zu den Porträts durch den Film ziehen, könnten als eine poetische Adaption zu Daniars Gesang gelesen werden, der mit seiner Stimme das damalige Leben einfing. Die Aufnahmen wirken zeitlos, sie hätten ebenso gut vor fünfzig Jahren gedreht werden können. Damit hat Echards Inszenierung zweifelsohne eine romantisierende Komponente, denn das gegenwärtige Leben in Kirgistans, oder irgendetwas, das auf unsere heutige Zeit schließen lassen würde, lässt Echard - mit Ausnahme der Schulklasse am Ende - fast vollständig aus.



Doch verklärt Echard die Realität auch nicht. Denn es wird auch jenen Stimmen kirgisischer Frauen Raum gegeben, die in Djamilia kein Vorbild sehen. Nicht selten wird die Volksheroin für schlichtweg dumm oder nicht mehr zeitgemäß gehalten. Emanzipation, hält uns Echard vor Augen, ist eben kein ein für allemal errungener Zustand.

Djamilia - Jamila. Regie: Aminatou Echard. Frankreich 2018, 84 Minuten. (Vorführtermine)