Magazinrundschau

Barriere gegen das Draußen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
26.01.2021. GQ erzählt, wie der ruandische Kriegsverbrecher Félicien Kabuga jahrzehntelang der Justiz entkam. Im Merkur analysiert Christoph Möllers den Niedergang der SPD. Hlidacipes würdigt die deutsch-tschechischen Samstage für die Nachbarschaft. Eurozine erinnert an die Fotoschule Charkow, die den unperfekten sowjetischen Menschen zeigte. Wired erzählt, wie paramilitärische Waffenausbildung für Zivilisten in den USA zur Mode wurde. Die New York Times staunt über den neuen amerikanischen Wunsch zu verschwinden.

Gentlemen's Quarterly (USA), 01.02.2021

Sehr fesselnd liest sich Joshua Hammers Reportage über die Jagd des UN-Kriegsverbrechertribunals nach dem ruandischen Kriegsverbrecher Félicien Kabuga. Der schwerreiche Immobilientycoon war einer der Hauptverantwortlichen für den Völkermords an den Tutsi: Er betrieb das berüchtigte Radio Milles Collines und stattete die Hutu-Milizien mit Hunderttausenden von Macheten aus. Im Mai 2020 wurde er in Paris gefasst, vor allem dank der Arbeit des australischen Ermittlers Bob Reid. Aber trotzdem liest sich irritierend, wie naheliegend sein Versteck war: "Wie eine Handvoll weiterer hochrangiger Kriegsverbrecher schaffte es auch Kabuga zu entkommen. Er verschwand aus dem Gedächtnis. Menschen viel es zunehmend schwerer, sich an sein Äußeres zu erinnern. Einige hielten ihn für tot. Aber natürlich war Kabuga am Leben. Er wurde still und leise begünstigt von einem ausgeklügelten und achtsamen Kader von Unterstützern - einem Netzwerk, das einige seiner dreizehn Kinder umfasste. Über die Jahre hinweg manövrierten ihn seine Söhne und Töchter über Grenzen und hielten ihn immer seinen Verfolgern einen Schritt voraus. Dies erforderte permanente Konzentration, aber auch Ressourcen und die Verbindungen eines einst mächtigen Magnaten. Seine Kinder mieteten Wohnungen für ihn, verschafften ihm gefälschte  Pässe und schützen seine Identität. Als er älter wurde, sorgten sie für ihn. Zwangsläufig wurden sie in sein Lügengeweben hineingezogen. Einer dieser vertrauten Beschützer war Kabugas Sohn Donatien Nshimyumuremyi, der glaubte, er helfe einem unschuldigen Mann der unverdienten Verfolgung zu entkommen und möglicherweise auch den Tutsi-Feinden, die es darauf abgesehen hätten, seinen Vater zu ermorden. Vor nicht allzu langer Zeit traf ich Donatien in einer warmen Nacht in Paris in einem der Außenbezirke. Während wir draußen in einem Cafe saßen, erzählte er vorsichtig von den Täuschungsmanövern, die er und seine Familie zwei Jahrzehnte lang betrieben hatten. Am Ende würde er auch erklären, wie alles aufgeflogen war: 'Wir hatten niemals darauf vertraut, dass er in Sicherheit sein würde', erzählt Donatien. 'Es gab Momente, in denen man normal sein konnte und nicht dran denken musste. Es war nicht immer in unserem Kopf. Aber ich schwöre, wir waren niemals locker.'" 26 Jahre nach dem Völkermord war Hammer klar, dass "nichts, schon gar nicht ein Schuldspruch vor dem Tribunal in Arusha, den Glauben der Familie an die Unschuld ihres Vaters erschüttern würde. Sie lebten in einer Blase alternativer Fakten, unempfindlich gegen Skepsis, zusammengehalten von ethnischer Solidarität, unerbittlicher Propaganda, Leugnung und familiärer Liebe und Loyalität."

168 ora (Ungarn), 23.01.2021

Der Sturm auf das Kapitol in Washington sind auch in Ungarn ein Thema, zumal die Staatsmedien und Regierungspresse in Ungarn bis heute die Verantwortung für die Ereignisse den Demokraten und dem Umfeld des neuen Präsidenten Joe Biden zuschreiben. Für den Staatsrechtler und Publizisten Richárd Szentpéteri Nagy mag diese Darstellung im Interesse des ungarischen Ministerpräsidenten liegen, aber nicht im Interesse Ungarns: "Auf die Frage, warum die Regierungspresse ihre Darstellung, die nichts mit der Wahrheit zu tun hat, mantrahaft wiederholt, bleibt eine Antwort übrig: weil der ungarische Machtapparat dies im Einklang stehend mit den Interessen des Ministerpräsidenten betrachtet. (...) Das heißt, das Zielpublikum der öffentlich-rechtlichen Medien ist eine einzige Person."
Archiv: 168 ora

Merkur (Deutschland), 25.01.2021

Der SPD ist ihr Niedergang nicht unbedingt nur selbst zuzuschreiben, meint der Jurist Christoph Möllers. Überall in Europa seien sozialdemokratische Parteien im Niedergang, und so wenig hole die SPD in der Regierung gar nicht mal heraus. Aber es wird der Partei nichts nützen, denen gegenüber Recht behalten zu haben, die sie eh nicht wählen, erkennt Möllers und macht einige zentrale Schwachpunkte der Partei auf: "Eine Partei, die für Gewerkschafter und Schriftsteller erste Wahl war, konnte viel von sich selbst lernen. Nicht zufällig ging beides parallel verloren. Nicht nur ist das klassische Arbeitnehmermilieu der SPD geschrumpft, die SPD hat auch noch Anteile innerhalb des verbliebenen Milieus verloren - zugleich ist sie für Intellektuelle keine interessante Wahl mehr. Die Partei wirkt heute an geistigem Austausch außerhalb der Parteigrenzen weitgehend desinteressiert. Die Grundwertekommission ist ein überaltertes Gremium, die Debattenlage tendiert zur Selbstvergewisserung. Man versichert sich, es immer schon gut gemeint zu haben, und solche Feststellungen werden natürlich nicht dadurch interessanter, dass sie zutreffen. Natürlich wäre es eine Professorenfantasie zu glauben, Parteien bedürften einer nennenswerten intellektuellen Entourage, um erfolgreich Politik zu machen. Die CDU beweist das Gegenteil. Für ihren politischen Erfolg war es nicht entscheidend, ob sie sich wie in der frühen Kohl-Zeit um die Intellektuellen bemühte oder gerade nicht, wie sonst fast immer. Aber vielleicht gilt für die SPD eben anderes, vielleicht war sie auf die Kombination von Hand- und Kopfarbeit besonders angewiesen. Diese versprach einen geerdeten Avantgardismus, der auch jenseits beider Milieus noch ein interessiertes Publikum mitnehmen konnte."

Weiteres: Katharina Teutsch nimmt sich noch einmal Thomas Hettches Roman "Herzfaden" vor, der bei seinem Erscheinen durchweg positiv besprochen worden war, ihr allerdings als preziöser "Entnazifierungskitsch" erscheint.
Archiv: Merkur

Aktualne (Tschechien), 24.01.2021

Jan Blažek vom Projekt Paměť národa (Gedächtnis der Nation, mehr Infos bei Wikipedia) erinnert in einem Artikel an die erste Welle der Vertreibung der Sudetendeutschen vor 75 Jahren. "Während die ersten Monate nach dem Zweiten Weltkrieg als 'wilde Vertreibung' der Deutschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet in die Geschichte eingingen, gilt die zweite Phase ihrer Abschiebung dann als 'geordneter' Transfer. Was nicht bedeutet, dass diese Vorgänge ohne menschliches Leid vonstatten gegangen wären, sie verursachten Wunden, die bis heute nicht geheilt sind." Und Blažek zitiert aus zahlreichen persönlichen Berichten von Zeitzeugen, darunter etwa die heute 92-jährige Margarete Koppe aus Opava (Troppau), die sich erinnert: "Erst einmal mussten wir eine weiße Binde mit einem schwarzen N darauf tragen. [N für Němec = Deutscher]. Manche trugen auch so etwas auf der Brust. Man durfte nicht auf dem Gehweg gehen, nur auf der Straße. So war die Anordnung, auch wenn sich nicht jeder daran gehalten hat." Die diskriminierenden Maßnahmen gegen die Deutschen, so Blažek, hätten zwar von Region zu Region variiert, doch viele der Verbote, Befehle und Einschränkungen hätten paradoxerweise, wenn auch nicht zufällig, an die antijüdischen Maßnahmen der Nationalsozialisten erinnert. Die Webseite von Paměť národa ist übrigens zugleich ein Oral-History-Archiv und enthält viele persönliche Erinnerungen und Videos von Zeitzeugen.
Archiv: Aktualne

Rest of World (USA), 19.01.2021

In der aktuellen Ausgabe des Magazins berichtet Madeleine Wattenbarger aus Mexiko City, wo es ein perfektes Video-Überwachungssystem namens C5 gibt, aber kaum Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung, weil die Aufzeichnungen von der Polizei oft vernichtet werden, wenn niemand sie dafür bezahlt: "Einige bekannte Kriminalfälle wurden dank C5 gelöst, aber es kommt öfter vor, dass die Polizei etwaigen Opfern mitteilt, die entsprechende Kamera hätte nicht funktioniert oder das Material sei nicht verfügbar. Nach einer Untersuchung des Thinktanks 'Data Civica' geschehen 60 Prozent aller Verbrechen im Umkreis von 200 Metern einer C5-Kamera, aber die Polizei nutzt das Videomaterial in weniger als einem Prozent der Fälle. Das ist keine technische Frage, die allermeisten Kameras funktionieren. Auch die Speicherung ist nicht das Problem, die Kameras löschen die Aufzeichnungen nur alle sieben Tage, und offiziell ist es Gesetz, dass Aufnahmen, die mit einem Verbrechen in Zusammenhang stehen, gespeichert werden, sobald ein Verbrechensbericht vorliegt. C5 ist ein machtvolles Instrument, doch kann es nur so nützlich sein, wie die Person, die es verwendet. Ebenso wie C5 Untersuchungen stützen kann, kann es auch dazu verwendet werden, Kriminalität zu stützen, Erpressung etwa. Die Polizei hat schon vertrauliches Bildmaterial an die Presse weitergegeben. 'Wenn ein Video der Polizei nützlich ist, wird es an die Medien durchgereicht', sagt Alejandro Jimenez, ein Strafverteidiger, der mit dem System Erfahrung hat. 'Zeigt das Video die Polizei in einem schlechten Licht, lässt sie es verschwinden.' … Juan Manuel Garcia Ortegon, Chef des Überwachungssystems, gibt zu, dass die Kameras eine Sicherheit suggerieren, die sie gar nicht bieten. 'Wenn es um Budgets geht, stehen die Kameras und Outdoor-Fitness-Anlagen immer ganz oben auf der Liste", meint er. Die Leute fühlen sich einfach sicherer mit den Kameras. Allerdings gibt es keinen Nachweis, dass dem wirklich so ist. Was die Kameras dagegen typischerweise machen, erklärt Steve Trush, Fachmann für Überwachung und Menschenrechte: Sie kriminalisieren bestimmte Verhaltensweisen und treffen auf überproportionale Weise arme Menschen.'
Archiv: Rest of World

Eurozine (Österreich), 18.01.2021

Der heute berühmte Fotograf Boris Mikhailov war zunächst mal ein Amateur. Und er konnte nur als Amateur, hervorgegangen aus der "Fotoschule Charkow", überhaupt seine ganz und gar nicht konformen Fotos in der Sowjetzeit realisieren. Bohdan Shumylovych blickt auf die Arbeit diese Fotoschule zurück, die in Deutschland mit ihren höchst expressiven Fotos und an die Zwanziger erinnernden Experimenten noch zu entdecken ist. Die Amateure verkehrten in Clubs und geschlossenen Kreisen, erzählt Shumylovych, in der offiziellen professionellen Fotografie dominierte dagegen noch der sozialistische Realismus. So gehörte diese Amateurfotografie zu den Kräften, die im Untergrund am Selbstbild der Sowjetunion nagten - bis es zerfiel: "Die offizielle sowjetische Fotografie war paradox. Sie sollte um die sozialistische Welt auf 'objektive Weise' darstellen, erarbeitete aber eine idealisierte Vorstellung. In diesem Modus der Visualität wurden die sowjetischen Menschen aus der Perspektive einer idealen Zukunft gezeigt: Sie hatten keine Makel. Die inoffizielle Amateurfotografie sah die sowjetischen Subjekte jedoch aus einem ganz anderen Blickwinkel. Forscher, die sich mit der Charkower Fotografie beschäftigen, stellen oft fest, dass viele Vertreter dieser 'Schule' zu Innovatoren wurden, die zum Niedergang der etablierten sowjetischen Bildästhetik beitrugen." Die Fotoschule hat übrigens ihr eigenes, offenbar sehr aktives Museum.
Archiv: Eurozine

Hlidaci pes (Tschechien), 22.01.2021

Als im vergangenen Frühling an vielen Orten entlang der deutsch-tschechischen Grenze sich Spaziergänger beider Länder zu "Samstagen für die Nachbarschaft" trafen, um auf friedliche Weise gegen die pandemiebedingt geschlossene Landesgrenze zu protestieren, wurden Mitarbeiter des Prager Nationalmuseums auf diese Happenings aufmerksam, wie Hlidaci Pes berichtet. Und so habe die Abteilung neuerer tschechischer Geschichte des Národní Muzeum "Artefakte" dieser tschechisch-deutschen Begegnungen in ihre Sammlung aufgenommen, erzählt Robert Malecky, darunter handbemalte Transparente mit der Aufschrift "Wir sind sousedé/ My jsme Nachbarn", persönliche Zettelbotschaften sowie eine hölzerne "Handschüttelwippe", die von beiden Seiten betätigt werden konnte, ohne dass man die Grenze überschreiten musste. Wie einer der deutschen Teilnehmer der Begegnungen sagte: "Für mich gab es diese Grenze lange Zeit gar nicht mehr, und auf einmal ist sie wieder da. Das schockiert mich, damit kann ich mich nicht abfinden." Auch wenn die Treffen an der grünen Grenze momentan wegen der jeweiligen Lockdowns nicht mehr stattfinden - die Prager Museumsmitarbeiter möchten sie als wichtige Äußerung gesellschaftlichen Lebens in Zeiten der Pandemie dokumentieren.
Archiv: Hlidaci pes

Wired (USA), 15.01.2021

Bei Rachel Monroes im Modus teilnehmender Beobachtung verfasster Reportage über die paramilitärische Waffenausbildung für zivile US-Bürger wird einem ganz anders - zumal wenn man sich vor Augen hält, dass die Zahl der Waffenträger in den USA trotz enorm sinkender Verbrechensrate in den letzten 30 Jahren rapide zugenommen hat. Für die Ausbilder ist es ein florierendes Geschäftsmodell: "Viele Ausbilder im taktischen Training nutzen ihre Kampferfahrung als Werbemittel, was nur eine weitere Art und Weise ist, wie unsere Kriege nicht in Übersee bleiben. Die Historikerin Kathleen Belew schreibt über die Nebenwirkungen des Vietnamkriegs auf die US-Kultur in den 80ern und 90ern: Es war die Zeit des Magazins Soldier of Fortune, von Rambo, Paintball, von Kriegsneurosen - aber auch der widerspenstigen, gewalttätigen Milizbewegungen. 'Es gab einen Punkt, an dem die Leute, die sich in paramilitärischen Orten einfach nur zum Spaß austobten, auf jene radikalen Elemente trafen, die diese Orte mutwillig nutzen, um gewalttätigen Aktivismus zu fördern', erzählt mir Belew. Nach dem Anschlag in Oklahoma City im Jahr 1995 geriet die paramilitärische Kultur zwar außer Mode. Doch in jüngsten Jahren ist eine aufs Neue militarisierte Ästhetik und das Weltbild gleich dazu in unsere Popkultur eingesickert, ein Folgeeffekt der Konflikte in Irak und Afghanistan. ... Und wenn ganz normale Leute Militär- und Polizeitaktiken von eben jenen Leuten lernen, die auch die Profis im Feld - mitunter gleichzeitig - ausbilden, dann liegt es auch für die ganz normalen Leute zunehmend nahe, dass auch sie sich damit beauftragt sehen, die gesellschaftliche Ordung - oder was sie darunter verstehen - aufrecht zu erhalten. Die Gefahr, die in der Ausbildung zum Kampf liegt, ist die, dass sie einen Feind voraussetzt und dass militarisierte Bürger, genau wie die militärisierte Ordnungskräfte, diesen Feind zunehmend unter ihren amerikanischen Mitbürgern verorten."
Archiv: Wired

Elet es Irodalom (Ungarn), 22.01.2021

Die Literaturkritikerin und Übersetzerin und ehemalige Vorsitzende der ungarischen Belletristen Anna Gács (Universität BME, Budapest) spricht im Interview mit Erika Csontos u.a. über verschiedene überlieferte und neuere Formen der Erinnerungsüberlieferung - ausgehend von den Erfahrungen beim Holocaust bis zu den heutigen sogenannten Booktubern. "Wenn wir akzeptieren, dass eine Autobiografie von anderer Natur ist als ein fiktionaler Text, dann ist es auch eine spannende Frage, was mit dem auf erlebter Erfahrung basierenden Text während und durch die Adaption geschieht. (...) Die Erzählweise von Nádas zum Beispiel ist eine Art des Zeugnisablegens, bei dem die Erzählung von jenen wenigen, die etwas erlebt haben, gleichzeitig die Wahrheit von allen ist, ist eine Art universelle Wahrheit. (...) Aber es gibt viele Arten des Zeugnisablegens", meint Cacs. Bei den Booktubern zum Beispiel, "jungen Menschen am Anfang ihrer zwanziger Jahren, die sich entschieden haben, dass Lesen ein identitätsstiftender Teil ihres Lebens ist und sie durch die geteilten Videos sich selbst zelebrieren, während sie sich aber mit einer virtuellen Gemeinschaft im Internet verbinden. Sie verwenden diese Videoerzählungen mit autobiografischen Zügen dafür, dass sie vom Leserdasein Zeugnis ablegen. (...) Ob dies eine Art 'Einstiegsdroge' Richtung Eliteliteratur sei, kann bezweifelt werden. Die Booktuber beziehen Informationen grundsätzlich voneinander; mit einem Kanon haben sie nicht viel zu tun."
Stichwörter: Caceres, Kanon, Booktube

New York Times (USA), 24.01.2021

In einem Beitrag für das neue Heft macht Kyle Chayka eine beunruhigende Entdeckung: Der Wunsch zu verschwinden greift um sich, und zwar nicht erst seit Covid, meint sie: "Diese Form des Nihilismus hat seine deutlichste Ausprägung in der Masche des sensorischen Entzugs, findet sich auf subtilere Art aber auch anderswo: Die omnipäsenten dekorativen Sukkulenten, die kaum Pflege brauchen. Die sanft texturierten Wabi-Sabi Keramiken, ein bevorzugtes Hobby der Instagram-Generation. Monochrome Funktionskleidung von Everlane oder Uniqlo und die anschmiegsame Weichheit von Kaschmir-Trainingshosen, die in der Pandemie ausverkauft waren. Raffinierte Hautschutztechniken, die eine buchstäbliche Barriere gegen das Draußen bilden: Wir siegeln uns nach außen ab … Niemand scheint mehr irgendwas zu wollen. Es gibt keinen Enthusiasmus mehr für Verlangen in dieser Kultur, nur den Wunsch sich und alles aufzugeben. Ein fast buddhidistischer Aufbruch in die Selbstlosigkeit mit einer Spur des amerikanischen Konkurrenzdenkens und unserer Neigung zur Übertreibung: so viel Obliteration wie möglich. Oder wie ein Graffito, das ich in Philadelphia sah, es treffend ausdrückt: 'Make America nothing again.'

Außerdem: Im Interview erklärt Gaming-Star Ninja, wie man das Wesen seines Kind kennenlernt: beim Gaming. In einem Archivtext erinnert Mark Leibovich an den vor drei Tagen verstorbenen Larry King. Und Moises Velasquez-Manoff untersucht die Langzeitfolgen der Covid-Infektion: Sie könnten uns lange begleiten.
Archiv: New York Times