Außer Atem: Das Berlinale Blog

Peter Kerns 'Glaube, Liebe, Tod' (Panorama)

Von Nikolaus Perneczky
15.02.2012. Die thomistische Trias christlicher Tugenden - Glaube, Liebe, Hoffnung – hat Pate gestanden für Peter Kerns neue filmische Selbstentäußerung. Allein Hoffnung mag in diesem Rundumschlag gegen die unchristlichen Zustände an der europäischen Außengrenze keine aufkommen. Darum folgt auf den Glauben und die Liebe... der Tod.


Die thomistische Trias christlicher Tugenden - Glaube, Liebe, Hoffnung – hat Pate gestanden für Peter Kerns neue filmische Selbstentäußerung. Allein Hoffnung mag in diesem Rundumschlag gegen die unchristlichen Zustände an der europäischen Außengrenze keine aufkommen. Darum folgt auf den Glauben und die Liebe... der Tod.

"Glaube, Liebe, Tod" ist das filmische Äquivalent einer Wellblechhütte, ein mit ärmlichen Mitteln aus schierer Notwendigkeit hastig zusammengezimmertes Provisorium, wackelig und schlecht abgedichtet, durch das der Wind pfeift. "Was machen wir eigentlich hier in Mecklenburg-Vorpommern?", fragt Kern seine Mutter (Traute Furthner), die auch keine gute Antwort darauf weiß. Ein Hausboot haben die beiden gemietet, auf dem sie, zu Filmmusik nach Bernard Herrmann, familiären Kleinkrieg spielen. Bis ein marokkanischer Bootsflüchtling als Fremdkörper - hier buchstäblich: als fremder, begehrlicher Körper - auftaucht und die libidinöse Ökonomie der Haus(boot)gemeinschaft nachhaltig aufrüttelt. An einen Sessel gefesselt erstattet der junge Mann Bericht, von seiner mittellosen Familie, von Ausbeutung und Prostitution, von seinem tollen Schwanz, dem eine deutsche Vorstandschefin einmal restlos verfallen gewesen sein soll. Aus der allgemeinen Ratlosigkeit, die weniger figurenpsychologisch als im behelfsmäßigen Drehbuch begründet sein dürfte, entwickelt sich ein sadistisches Spiel, an dessen Ende ein Messer im Rücken des Marokkaners steckt.

Wobei: von so etwas wie "Entwicklung" zu sprechen im Zusammenhang mit "Glaube, Liebe, Tod" ist fast schon dazu angetan, falsche Erwartungen zu wecken. Eher als um eine ursächlich verknüpfte Handlungsfolge handelt es sich um (höchstens chrono-logische) Variationen auf ein und denselben, vollkommen statischen Zustand. Eine wirre Szene weicht der nächsten, oft vorzeitig abgewürgt von antiklimaktischen Abblenden, mit denen auch der Ton samt atmosphärischem Hintergrundrauschen plötzlich ausfällt. "Glaube, Liebe, Tod" ist ein Plädoyer für einen engagierten Dilettantismus, der die Fäden aus den Nahtstellen patent-kompetenter Mediengestaltung* herausreißt, sodass die halb verheilten Narben wieder zu bluten (bleed) beginnen, wie man im englischen Mediengestaltersprech sagt, wenn das Bild oder der Klang über die ihm zugewiesenen Ränder tritt. Dazwischen eingefügt sind grob pixelierte Videoclips von Flüchtlingslagern, halbverwesten Leichen, nächtlichen Präzisionsschlägen gegen Aufständische irgendwo in der arabischen Welt (Irak?), laut Abspann entliehen bei Wikileaks, aber dem darf man hier auch nicht trauen: Die Namen einiger Mitwirkender sind, Peter Kern weiß, warum, zur Unkenntlichkeit entstellt, gebrauchte Musikstücke nur zum Teil ausgewiesen.



Schön anzusehen ist das die meiste Zeit zwar nicht, momentweise aber überaus beglückend, etwa wenn Peter Kern am Schluss auf dem Sonnendeck, angetan mit Palituch und Sprengstoffgürtel, um die eigene Achse rotiert und die Kamera um ihn - politisch ist der Film an diesem Punkt derart aus dem Ruder gelaufen, dass eine Stoßrichtung dieses delirierenden Schlussbilds kaum mehr auszumachen ist. Wenn das bescheidene Hausboot, auf dem Kerns religiöse Visionen (Glaube), die vergiftete Zuneigung seiner Mutter (Liebe) und die Ermordung eines marokkanischen Flüchtlings (Tod) zur beißenden Kritik eurozentrisch saturierter Umnachtung sich verdichten, eines Tages mit einem Felsen kollidiert und leck schlägt, wird keine Zeitung dieser Welt davon berichten. Es ist eben keine Costa Concordia, und "Glaube, Liebe, Hoffnung" will alles mögliche sein, aber sicher kein "Film Socialisme". In ihrer allegorischen Konturierung des Projekts Europa unterscheiden sich Kerns Hausboot und Godards Kreuzfahrtschiff - von all den anderen, offensichtlichen Differenzen in der ästhetischen Anlage einmal großzügig abgesehen - vor allem darin, dass dieses noch unterwegs ist, während der marode Kahn auf der brandenburgischen Seenplatte noch in Rufweite des Ufers zum Stillstand kommt: ein Motorschaden.

Nikolaus Perneczky

*Dank an Maximilian Linz für diesen trefflichen Begriff

"Glaube, Liebe, Tod". Regie: Peter Kern. Mit Traute Furthner, Peter Kern, Joao Moreira Pedrosa u.a., Österreich 2011, 64 Minuten. (Vorführtermine)