Im Kino

Gedankenlosigkeit als Krone

Die Filmkolumne. Von Robert Wagner
28.12.2022. Rian Johnsons Whodunnit "Glass Onion: A Knives Out Mystery" schaut einer Handvoll Idioten bei der Selbstdemontage zu. Ein überdrehtes Melodrama mit Mord, das keine Fragen offen lässt, aber als Satire über eine dumme, reiche Elite Spaß macht: Edward Norton schafft eine wunderbare Aura aus Selbstherrlichkeit und Einfalt, Kate Hudson spielt, als bade sie täglich genussvoll in den Klatschspalten der Welt.

Mehrmals wird uns in "Glass Onion: A Knives Out Mystery" das zentrale Motiv erklärt: Der Blick auf das Zentrum einer gläsernen Zwiebel wird zwar durch nichts behindert, und doch ist dieses Zentrum leicht zu übersehen, weil das Drumherum durch die vielen Schichten komplex wirkt. Ihr Geheimnis ist direkt vor unseren Augen versteckt. Als Gebäude steht diese gläserne Zwiebel im Film, als optisches Gimmick befindet es sich nochmal in der Kuppel eben jenes Hauses, die optischen Spielereien des Films bauen immer wieder darauf auf, der Plot funktioniert nach dem Glaszwiebelprinzip und unsere Hauptfigur, "der beste Detektiv der Welt" Benoit Blanc (Daniel Craig), erklärt das Motiv nicht nur einmal: Wer vor dem Ansehen unsicher war, was der Titel bedeuten könnte, kann es hinterher im Schlaf herbeten.

Wenn sich auf einer Insel in der Ägäis der exzentrische Millionär Miles Bron (Edward Norton) mit seinen besten Freunden trifft, dann ist das Zentrum von "Glass Onion" von Idiotie erfüllt. Unter den Gästen finden sich eine progressive Politikerin (Kathryn Hahn), ein politisch unkorrektes Model (Kate Hudson) sowie ein Influencer und "Männerrechtler" (Dave Bautista). Nicht viel haben sie gemeinsam, außer ihre (finanzielle) Abhängigkeit von Bron und ihre Exzentrik. Nun ist es aber nicht der Film, der sonderlich idiotisch wäre, sondern die Figuren sind es. Beziehungsweise interessiert sich "Glass Onion" umso mehr für seine Figuren, je dümmer sie sich benehmen. Der von Leslie Odom Jr. gespielte Wissenschaftler wird nur pflichtschuldig für ein paar Plotpoints mitgeschleppt. Weil er nicht genug Blödsinn sagen und machen kann, bleibt er Randfigur. Weil er zwar ein Opportunist ist, aber kein Idiot.

Neben Brons Freunden ist noch seine vor kurzem geschasste Geschäftspartnerin Andi (Janelle Monáe) auf der Insel, sowie Detektiv Blanc, außerdem die Ankündigung, dass es einen Mord geben wird, und jede Menge Motive dafür, Bron und/oder Andi loswerden zu wollen. Womit "Glass Onion" wie sein Vorgänger "Knives Out" wieder ein klassischer Whodunit ist. Jedenfalls unter der überspannten, expressiven Oberfläche und den postmodernen Verbeugungen - vor allem vor den Hercule Poirot-Filmen mit Peter Ustinov.


Krankte der erste Fall Benoit Blancs noch daran, dass die Figuren wie bloße Dominosteine im verschnörkelten Plot wirkten, da gelingt es "Glass Onion", mit seinen Karikaturen etwas anzufangen in diesem überdrehten Melodrama mit Mord. Statt um leere Hülsen, die anderen Krimis entstammen, geht es um die grellen Charaktere unserer Welt, die sich in eine postmoderne Parallelwelt eingeschlossen haben. Vollgestellt ist diese mit Markern irrsinnigen Reichtums und sie sieht dabei aus wie eine geschmacklose Collage aus einem Museum oder einer Urlaubs- bzw. Einrichtungskatalogseite. An diesem begrenzten Ort verstehen sie sich als bedeutende, beeindruckende Elite einer langweiligen, gleichförmigen Welt.

Der barocke, exaltierte Stil von Regisseur Rian Johnson überzeichnet diesen idiotischen Spielplatz der selbsternannten Elite, die gar nicht weiß, was sie mit ihrem Geld alles machen soll und deshalb nur Quatsch anstellt, gnadenlos. Er packt nicht einfach Pointe an Pointe, sondern macht den Film selbst zur Spielwiese aus exzentrisch eingefangener Exzentrik, in deren gläsernem Kern eben Dummheit lauert. Die Bilder, der Schnitt, der Plot sind voller Schnörkel und der zwischenzeitlich in Sekundentakt eingebaute Running Gag eines sich mit Knall schließenden Schutzkastens, in dem die Mona Lisa vor Umwelteinflüssen geschützt wird, sobald auch nur ein Geräusch zu hören ist, wird zur symbolischen Schnappatmung, zum Dong auf den bis zum Zerreißen gespannten Saiten einer Welt, die dem Untergang geweiht ist.

Mit dem Thema der Idiotie schafft es Johnson, die selbstzweckhafte und ins Leere laufende Exzentrik des Vorgängers anzureichern und die kruden, skizzenhaften Figuren mit Leben zu füllen. Womit er an Potenziale anknüpft, die schon sein vorletzter Film "Star Wars: The Last Jedi" aufzeigte: ein Film, der seinem Franchise eine nie dagewesene Schönheit schenkte und gleichzeitig deren heilige Kühe mutig zu schlachten begann.

"Glass Onion" funktioniert nicht zuletzt wegen des Castings so gut. Vor allem Edward Norton schafft eine wunderbare Aura aus Selbstherrlichkeit und Einfalt - was bei ihm einen Hauch von Selbstdemontage mit sich führt - und Kate Hudson, deren Model die eigene Gedankenlosigkeit als Krone trägt, spielt, als bade sie täglich genussvoll in den Klatschspalten der Welt. Hinzukommen kleine, trocken eingebaute Cameos und selbst Daniel Craig schafft es diesmal, seinen Benoit Blanc etwas weniger als Fahne im Wind zwischen Genie und sozialer Unbedarftheit zu verorten. Sprich: sein Charakter funktioniert besser, weil er ein solcher ist und sich nicht mehr nur nach den Bedürfnissen des Plots ändert.


Alles könnte ziemlich schön sein, würde eine andere Marotte Johnsons nicht wieder überhandnehmen. Schon in "Knives Out" schien er mehr als an allem anderen an der Mechanik eines Krimiplots interessiert. Und auch diesmal kommt es nach der ersten Hälfte zu einem harten Cut, der die Inszenierungslust wegfegt und alles Bisherige noch einmal aufrollt. Lose Enden werden umsichtig zusammengeschnürt, jeder Winkel der Geschichte auserzählt und wirklich nichts der Fantasie überlassen. Bis zum wieder etwas lustvolleren Finale steckt ein bis dahin durchgedrehter Film plötzlich in neurotischer Sachlichkeit fest.

Was uns wieder zur Idiotie bringt. Funktioniert die erste Hälfte zuvorderst als Satire über dumme, reiche Leute, kennt die zweite Hälfte nichts als Krimi und Erklärungen. Wenn immer wieder doppelt und dreifach durchkaut wird, was geschieht, dann haben wir es bestenfalls mit einem sehr gründlichen Film zu tun, der aus einem reißenden Strom gerissen wird und in vergleichsweiser Ödnis strandet. Schlimmstenfalls offenbart sich aber, dass nicht nur die Figuren ihr Fett wegkriegen, sondern dass die Meinung des Films vom Zuschauer, dem alles hinterhergetragen werden muss, auch nicht das Beste ist.

Nichtsdestotrotz ist "Glass Onions" eine deutliche Steigerung zum Vorgänger, auch aufgrund eines unbeabsichtigten Nebeneffekts. Denn dass der Film just in jenen Wochen seine Veröffentlichung erfährt, in dem die Selbstdemontage Elon Musks - der sichtlich eines der Vorbilder für Miles Bron ist - ihrem Höhepunkt zustrebt, unterstreicht nachdrücklich: Die Filmfiguren mögen vielleicht überzeichnet sein, von ihren realen Widerparts sind sie allerdings vielleicht gerade deshalb nicht allzu weit entfernt.

Robert Wagner

Glass Onion - Regie: Rian Johnson - Darsteller: Daniel Craig, Edward Norton, Kate Hudson, Dave Bautista, Janelle Monáe, Kathryn Hahn - Laufzeit: 139 Minute.

"Glass Onion" ist seit dem 23.12. auf netflix verfügbar.