Daniel Blatman

Die Todesmärsche 1944/45

Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords
Cover: Die Todesmärsche 1944/45
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
ISBN 9783498021276
Gebunden, 860 Seiten, 34,95 EUR

Klappentext

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Im Winter 1944/45 lässt die SS alle Konzentrationslager evakuieren, die den alliierten Truppen in die Hände zu fallen drohen. Schwache und kranke Insassen werden zurückgelassen oder getötet, alle anderen zu Fuß oder per Eisenbahn in Lager innerhalb des Reichsgebiets gebracht. Wer unterwegs zusammenbricht oder zu fliehen versucht, wird auf der Stelle ermordet; viele erfrieren oder verhungern. Von den über 700.000 Häftlingen, die Anfang Januar 1945 registriert sind, kommen bei den Todesmärschen mindestens 250.000 ums Leben. Der israelische Historiker Daniel Blatman stellt dieses letzte Kapitel der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zum ersten Mal umfassend dar.
Anders als zuvor spielten sich die Ereignisse nicht mehr im fernen Osteuropa ab, sondern auf deutschen Straßen und Feldern. Und die Mörder stammten nicht mehr nur aus den Reihen der SS. Brutalisiert durch den Krieg und die NS-Propaganda beteiligten sich nunmehr auch Zivilisten an Massakern und der erbarmungslosen Hatz auf flüchtende "Volksfeinde". So ist dieses Werk auch ein erschreckendes Porträt der deutschen Gesellschaft am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.07.2011

Daniel Blatmans Werk "Die Todesmärsche 1944/45" hat Rezensent Michael Wildt tief beeindruckt. Noch nie wurden seines Erachtens die Wochen, in denen die KZs angesichts des Ansturms der Roten Armee aufgelöst wurden, derart eingehend, genau und mit vielen Fallstudien dargestellt. Wildt attestiert dem Historiker, anhand zahlreicher Quellen zu zeigen, dass an den Grausamkeiten gegen die Häftlinge keineswegs nur die SS beteiligt war. Deutlich wird für ihn vielmehr die Zusammenarbeit zwischen Lager-SS, örtlicher NSDAP, Wehrmachts- und Volkssturmstellen und zahlreichen 'normalen Volksgenossen'. Ein Werk, das sich für Wildt liest wie ein "Panoptikum des Grauens".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.06.2011

Klaus Dietmar Henke verhehlt sein Entsetzen nicht angesichts des vom Autor mit Hilfe von amtlichen Dokumenten, Akten und Erlebnisberichten eröffneten eigenständigen Horror-Kapitels des nationalsozialistischen Genozids. Es geht um die massenhafte Tötung von Gefangenen aller Herkunft und jeden Alters und Geschlechts durch die deutsche Zivilbevölkerung auf den sogenannten Todesmärschen 1944/45. Nicht nur dass Daniel Blatman die These von Daniel Goldhagen über die Fortsetzung des Judenmords mit anderen Mitteln widerlegt, der Autor zeigt auch, so Henke, wie wenig die grausame Motivation der Deutschen zu diesem Schlachten auf einen Nenner zu bringen ist. Es als volksgemeinschaftliches Morden zu beschreiben, klingt ungeheuerlich. Genau das unternimmt der Autor aber und zeigt dem entsetzten Rezensenten, dass kein eindeutiger Mordbefehl bestanden hat, sondern Beweggründe wie Rachegefühle, Angst und Klischees nationalistischer Art die Menschen dazu getrieben haben.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.02.2011

Als höchst verdienstvoll würdigt Rezensent Rudolf Walther dieses Buch über die Todesmärsche von KZ-Häftlingen in den letzten beiden Kriegsjahren, das der Historiker Daniel Blatman vorgelegt hat. Er sieht darin eine große "Pionierarbeit", wurde dieses grausame Kapitel nationalsozialistischer Herrschaft aus verschiedenen Gründen doch bislang kaum erforscht. Beeindruckt zeigt sich Walther von den umfangreichen Recherchen des Autors, der in Archiven in Europa, in den USA und in Israel zehn Jahre lang sämtliche Quellen über Todesmärsche bei Kriegsende ausgewertet hat. Zwar entsteht für ihn am Ende kein "vollständiges Bild" - es bleiben einige "Leerstellen und Grauzonen". Aber das mindert in seinen Augen die Leistung des Autors in keiner Weise, denn seine Studie bietet erstmals eine ausführliche, gründliche und genau belegte Untersuchung der Todesmärsche, bei denen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs Hunderttausende von Menschen an Unterernährung, Erfrierung, Erschöpfung und brutaler Bewachung starben.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.01.2011

Mit großer Erschütterung hat Rezensent Volker Ullrich diese Studie des israelischen Historikers Daniel Blatman gelesen, der darin erstmals die Todesmärsche als Gesamtkomplex untersucht und nach Einschätzung des Rezensenten zu sehr klaren Erkenntnissen kommt. Am bemerkenswertesten erscheint Ullrich, dass die Todesmärsche, auf denen in den letzten Tagen des Krieges noch einmal 250.000 Menschen ihr Leben verloren, nicht Ergebnis einer von oben gesteuerten Politik waren, sondern von Chaos, Verrohung und Brutalität. Um sich vor der anrückenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen, lösten die Wachmannschaften die Konzentrationslager auf und trieben die Gefangenen ziellos und ohne Nahrung und Kleidung durch den Winter. Als besonders eindrücklich, aber auch erschreckend hebt Ullrich ein Massaker in Gardelegen hervor, wo noch am 13. April 1945 über eintausend Überlebende eines Todesmarsches in eine Scheune gesperrt verbrannt wurden. Wer zu entkommen versuchte, wurde von Maschinengewehren niedergeschossen. Blatman weise nach, dass dieses Massaker von dem örtlichen NSDAP-Gauleiter Gerhard Thiele verantwortet wurde, der sich einbildete, die Überlebenden würden Rache nehmen. Diese Beispiele zeigen dem Rezensenten sehr eindrücklich, dass sich bei den Todesmärschen eine entfesselte Gewalt zeigte, die von unten kam, nicht von oben.