Heute in den Feuilletons

Draußen bleiben, Protest fortsetzen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.06.2009. Die Feuilletons blicken weiter gespannt auf Teheran. In der FAZ erklärt eine iranische Journalistin klar, dass es der Jugend im Land nicht ums Kopftuch geht, sondern um Leben, Freude, Freiheit. Die Welt porträtiert Hussein Mussawi als schlau und authentisch. Die SZ untersucht, wie sich Revolution und Diktatur im Netz organisieren. Die Zeit besucht die gebeutelte New York Times. Und alle feiern Habermas 8.0: "Ein genialer Einfall der Öffentlichkeit." Die Blogs verteidigen die Freiheit gegen Herfried Münkler.

Aus den Blogs, 18.06.2009

"Thursday is gearing up to be a hugely significant day for the Green Uprising", schreibt Nico Pitney in Huffington Post. Für heute ist eine Trauerumzug für die bei den Demonstrationen Getöteten angesagt. Das Guardian-Blog zum Iran verlinkt auf folgendes Video von den gestrigen Demos in Teheran:



Mehr Links zum Iran im Ententeich.

Vielleicht hat Achmadinedschad ja noch einen Beraterposten frei? Der Politologe Herfried Münkler hatte sich gestern in der Frankfurter Rundschau gegen Freiheit im Netz ausgesprochen (leider hatten wir seinen Kommentar übersehen). Unter anderem schreibt er: "Es ist eine eigentümliche Schar, die sich unter dem Banner der Netzfreiheit versammelt hat. Einerseits kriminelle Geschäftemacher, die das Internet benutzen, um verbotene Produkte an den Mann zu bringen, und andererseits ein Ensemble von Freiheitskämpfern, die ihre anarchistischen (kein Staat!) oder kommunistischen Ideen (kein Eigentum) in der virtuellen Welt des Internets realisieren wollen." Markus Beckedahl möchte in Netzpolitik "nur noch mit dem Kopf gegen den Tisch schlagen".

(Via f!xmbr). In der Wirtschaftswoche nennt Mehmet Toprak acht Gründe, warum er beim nächsten Mal die Piratenpartei wählen wird. Hier einer davon: "Wenn es richtig ist, dass die Internet-Ära mit all ihren fantastischen Möglichkeiten die Gesellschaft total verändert - das sagen ja alle - dann ist es auch richtig, die alten Vorstellungen zu Themen wie Urheberrecht, Bürgerrecht oder Privatsphäre zu hinterfragen. Genau das leistet das Manifest der Piratenpartei."

Netzpolitik weist noch einmal auf die von der Piratenpartei organisierten Demonstrationen gegen die geplanten Internetsperren in Deutschland hin. Sie finden am Samstag, den 20. Juni in verschiedenen Städten statt. Mehr hier.

FR, 18.06.2009

Habermas-Fest in der FR! Heute wird er 80 und es gratulieren: Zygmunt Bauman und Arno Widmann. Der polnische Philosoph Zygmunt Bauman weitet in seinem Geburtstagsartikel Milan Kunderas Geschichtsbegriff für die Literatur auf die Philosophie aus und landet bei Habermas' Auffassung vom Verhältnis zwischen Nation und Demokratie: "Die Zugehörigkeit zu einer Nation ist keine notwendige Bedingung für die Legitimation der staatlichen Autorität, wenn der Staat ein wirklich demokratisches Gebilde ist: 'Die Bürger eines demokratischen Rechtsstaates verstehen sich als die Autoren der Gesetze, denen sie als Adressaten zu Gehorsam verpflichtet sind.' Man kann sagen, dass der Nationalismus die fehlende Legitimation ausnutzt, die durch ein Defizit in der demokratischen Partizipation der Bürger entsteht. Wenn die politische Partizipation seiner Bürger ausbleibt, bleibt dem Staat nichts anderes übrig, als die nationalistische Gesinnung wieder zu propagieren. Das ist nur einer der vielen Vorhänge, die Habermas aufgerissen hat und uns damit den freien Blick und unsere Stimme wieder gab. Dafür sind wir ihm dankbar - und warten gespannt auf mehr."

Anschlussfähigkeit - ganz was anderes als Anpassungsfähigkeit - ist für Arno Widmann der Schlüssel zu Habermas' Philosophie: "Man hat ihm seine Rede vom Verfassungspatriotismus angekreidet und ihm vorgeworfen, dergleichen rationalistische Gemütskälte tauge nicht als Kitt einer zerbrechenden Gesellschaft. Der Vorwurf vergisst, dass Habermas gegen den Kitt ist. Er ist dafür, dass die Einzelnen sich verständigen. Er sucht nicht etwas von ihnen Unabhängiges, durch das sie aneinander geklebt werden."

Weitere Artikel: Christian Schlüter besucht die Habermas-"Werkschau" in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt. Mely Kiyak schickt eine Post aus Istanbul, in der weder Klaus Wowereit noch Kadir Topbas bella figura machen. In Times Mager assoziiert Harry Nutt zum Amphitheater vor der Berliner Volksbühne, den iranischen Demonstranten und dem Ende der DDR.

Besprochen werden Maren Ades Film "Alle anderen" (Daniel Kothenschulte kennt ein ganz anderes Ende), Kevin Macdonalds Film "State of Play - Stand der Dinge" ("feiert den klassischen Journalismus als heroischen Akt in schwerer Zeit und qualifiziert sich auch sonst als feuchter Traum eines gebeutelten Berufsstands", schreibt Michael Kohler), Michael Glawoggers Komödie "Contact High", eine leidenschaftliche "West Side Story" in Bad Hersfeld, ein Konzert der dreißig Jahre alten kalifornischen Punkband "Social Distortion" in Offenbach und Mohammed Hanifs Roman "Eine Kiste explodierender Mangos" (Sigrid Löffler feiert den Autor als neuen Konkurrenten für John le Carre, mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 18.06.2009

Auf den Forumsseiten fragt Mariam Lau, wofür eigentlich Hussein Mussawi steht. Durchaus für moderate Positionen in Sachen Pluralismus, Frauenrechte oder Israel: "Sicher ist: Dieser grauhaarige, leise sprechende, freundlich-langweilige Mann ist kein Chatami. Chatami, in den vor allem die Studenten enorme Hoffnungen gesetzt hatten, blies zum Rückzug, als die Milizen in den Studentenwohnheimen den Aufständischen die Köpfe einschlugen. Ein Wort von ihm hätte vermutlich genügt, und es wäre schon 1999 anders gelaufen. Die Wut und Enttäuschung der Wähler aber - von denen viele gar nicht unbedingt Mussawi und durchaus weiter in einer Islamischen Republik leben wollen - hat Khomeinis Ziehsohn zum Aufbruch gedrängt. Generalstreik, draußen bleiben, Protest fortsetzen! Wie gewieft er ist, hat Mussawi erst gestern unter Beweis gestellt: In der Sprache der Religion rief er auf zu einem Tag der Trauer für 'die vielen unserer Landsleute, die verletzt worden oder zum Märtyrer geworden sind...' Schlau und authentisch."

Im Feuilleton wird natürlich dem Weltphilosophen Jürgen Habermas gratuliert, der heute achtzig wird. Wolf Lepenies übernimmt dies: "Die große Wirkung von Jürgen Habermas erklärt sich aus seiner Fähigkeit, die Emphase gesellschaftlichen Engagements jederzeit mit der Präzision wissenschaftlicher Analysen zu untermauern."

Weiteres: Im Randkommentar sorgt sich Hendrik Werner mit 90 Prozent der Deutschen ums Deutsche. Besprochen werden Maren Ades preisgekrönter Beziehungsfilm "Alle anderen" ("atemberaubend" fand Matthias Heine die "Wahrhaftigkeit dieser allmählichen Beziehungserschlaffung"), der Kannibalenfilm "Rohtenburg", Michael Glawoggers Komödie "Contact High", eine Pariser Ausstellung zum Mythos Tarzan und das Comeback-Konzert von Faith No More in der Berliner Wuhlheide.

Das Wattenmeer soll von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt werden. Im Magazin weist Ulli Kulke darauf hin, dass das Watt an sich dem Untergang ausgeliefert ist - und das nicht nur zweimal am Tag.

Weitere Medien, 18.06.2009

Die iranische Autorin Chahdortt Djavann fordert in Le Monde die Weltöffentlicheit zur Unterstützung der Proteste im Iran auf: "Die iranische Jugend hat keine Rolle beim Aufkommen des theokratischen Regimes im Iran gespielt. Diese Jugend, die unter dem Regime geboren ist, dem finsteren Erbe der Irrtümer ihrer Vorfahren, lässt heute ihre Stimme hören. Sie sagt laut und deutlich dass sie den Wandel will, dass sie die Freiheit will. Die iranische Jugend sagt, dass sie nicht an den Fatalismus glaubt und Besseres verdient als dieses Regime."

Im Guardian schreibt Timothy Garton Ash über die Twitter-Revolution, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Vorsicht. Natürlich warnt er vor äußeren Einmischungen, was die westlichen Regierungen aber tun könnten sei: "Die globale Informationsstruktur des 21. Jahrhundert aufrechtzuerhalten und zu befördern, die den Iranern erlaubt - welchen Kandidaten auch immer sie unterstützen -, miteinander in Kontakt zu bleiben und herauszufinden, was wirklich in ihrem Land passiert. Am Anfang der Woche verbrachte ich einige Zeit beim persischen Dienst der BBC und beobachtete, wie sie Videos, Blogeinträge, Kurznachrichten von Iranern hochluden und verbreiteten. Vielleicht die wichtigste Sache, die das amerikanische Außenministerium für den Iran unternommen hat, war, bei Twitter darauf zu dringen, ihre geplanten Wartungen zu verschieben. Die Arbeiten hätten den Service für einige entscheidende Stunden des Protestes lahmlegen können. Willkommen in der Politik des 21. Jahrhundert."

TAZ, 18.06.2009

Eine ganze Fußballmannschaft von taz-Autoren schießt auf die Torwand Habermas 8.0. Das Konzept des Dossiers erklärt Christian Semler so: "Mal in weiter Distanz, mal in großer Annäherung, so umkreisen wir kleinsten Himmelspartikel auf unserer elliptischen Bahn den Fixstern Jürgen Habermas." Und Isolde Charim fragt: "Wie nähert man sich einem Giganten? Wie wird man ihm gerecht?" Stephan Wackwitz bringt ein Bukett knallroter Rosen dar: "Habermas verkörpert etwas positiv Väterliches im Reich des deutschen Gedankens." Saskia Sassen erinnert sich persönlich: "Mit Ute Habermas und meinem Mann Richard Sennett hatten wir uns gegen Mittag vor deren Haus in der Provence zu Tisch gesetzt." Und es schreiben außerdem Cord Riechelman (hier), Hilal Sezgin (hier), Michael Rutschky (hier), Norbert Bolz (hier), Robert Misik (hier), Antonia Grunenberg (hier) und Wang Ge (hier).

Auf den Kuturseiten unterhält sich Claudia Lenssen mit dem Filmarchivar und -restaurator Martin Koerber. Jenni Zylka porträtiert die Berliner Musikerin Masha Qrella, die ein Album mit Weill- und Gershwin-Songs aufgenommen hat. Besprochen werden außerdem ein Konzert der wiedervereinigten Truppe Faith No More und Michael Glawoggers Film "Contact High". Auf tazzwei schreibt Ben Schwan über die Bedeutung von Twitter in den iranischen Protesten.

Und Tom.

NZZ, 18.06.2009

Uwe Justus Wenzel gratuliert Jürgen Habermas: "Das Kontrafaktische wäre also ein Faktum. Das mag in manchen Ohren wie Pfingsten klingen und in manchen Augen als hoffnungslos utopisch erscheinen. Es ist jedoch in nachmetaphysischen Zeiten, in multikulturellen Gesellschaften und in einem pluralistischen Universum... 'die Ressource der einzig verbliebenen Gemeinsamkeit' zwischen den Individuen."

Weiteres: Jürg Zbinden schreibt zum 100. Geburtstag von Errol Flynn. Besprochen werden ein Londoner "Hamlet" mit Jude Law in der Regie Michael Grandages, Kevin Macdonalds Journalismus-Thriller "State of Play" (dazu gibt's auch ein Interview mit dem Regisseur) und Bücher, darunter Oleg Jurjews Roman "Die russische Fracht" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr.)

SZ, 18.06.2009

Auf den vorderen Seiten dreht sich heute (fast) alles ums Netz. Christiane Schlötzer und Julia Amalia Heyer berichten, wie sich die Opposition im Iran in Blogs und Twitter organisiert. Aber das Netz kann auch der Unterdrückung dienen, berichtet Henrik Bork aus China: "Sei es das Netz als solches oder der Twitter-Dienst - alle neuen Medien werden von der Diktatur genauso geschickt genutzt wie von ihren Gegnern. Mit einer Mischung aus technischer Raffinesse, Druck auf Internet-Dienstleister und Computerfirmen schafft es das Regime, zwar nicht alle, aber die meisten Bürger von politisch sensiblen Inhalten fernzuhalten - zumindest die meiste Zeit."

Druck auf Internet-Dienstleister ist auch bei uns nicht unbekannt! Johannes Boie berichtet über den Widerstand gegen das Gesetz zur Sperrung von Internetseiten in Deutschland: "Beim Kampf gegen die Internetsperren stellen Blogger, Twitter-Benutzer und Forenbetreiber ihr Können als Gegenöffentlichkeit erstmals in Deutschland erfolgreich unter Beweis."

Mit vielen Stimmen gratuliert das SZ-Feuilleton dem Soziologen und Philosophen Jürgen Habermas zum Achtzigsten. Andreas Zielcke zitiert zustimmend Jürgen Fohrmann: "'Die Öffentlichkeit wollte wissen, wie sie aussieht - und erschuf Jürgen Habermas.' Ein genialer Einfall der Öffentlichkeit." Der Philosoph Charles Taylor würdigt den Denker, aber auch den Intellektuellen: "Wir müssen uns heutzutage wohl längst Sorgen um den öffentlichen Intellektuellen machen. Er scheint eine gefährdete Spezies zu sein. ... In einer solchen Welt bleibt Jürgen Habermas das leuchtende Beispiel eines Mannes, der die Rolle des Bürgers und die des Philosophen in überragender Weise vereint." Alexander Kissler untersucht Habermas' gewandelte Einstellung zur Religion. Und der Autor und Verleger Michael Krüger isst, trinkt und lacht mit Jürgen Habermas.

Weitere Artikel: Mit beträchtlicher Skepsis beobachtet Gerhard Matzig, wie die Klimaprobleme nun durch technische Aufrüstung der Architektur gelöst werden sollen - und nicht durch Verhaltensänderungen. Michael Stallknecht referiert eine Podiumsdiskussion, auf der der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering und der Pharmakologe Martin Lohse über das Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaften sprachen. Karl Bruckmaier porträtiert den Singer/Songwriter Brett Dennen, in dem er einen ganz Großen seiner Zunft heranwachsen sieht. "Provinziell" fand Wolfgang Schreiber einen Auftritt in der Bayerischen Vertretung in Berlin, bei dem es um die Zukunft der Wagner-Festspiele in Bayreuth ging. Alexander Kissler kommentiert ein Verfassungsgerichtsurteil, das festhält, dass jüdische Gemeinden, die nicht vom Zentralrat vertreten werden, an Fördermaßnahmen paritätisch beteiligt werden müssen.

Besprochen werden der Thriller "State of Play" und der Kannibalenfilm "Rohtenburg".

FAZ, 18.06.2009

Eine iranische Journalistin, die ihren Namen nicht nennen möchte, berichtet aus dem Iran vor, während und nach der Wahl. Worum es bei den Reformhoffnungen der Demonstranten geht, beschreibt sie so: "Am Wahltag stehen die Menschen ab acht Uhr Schlange, um ihre Stimme abzugeben. Vor allem junge Leute warten darauf. Es dauert Stunden. Als es vorbei ist, sind sie sicher, dass es vorbei ist. Die Scham, die sie spürten, wenn in den letzten Jahren, wenn ihr Präsident im Ausland sprach. Es geht der Jugend nicht darum, ob sie ab morgen kein Kopftuch mehr tragen muss. Es geht um ihr Recht auf Leben, auf Freude, Freiheit."

Weitere Artikel: Jürgen Kaube gratuliert dem Soziologen und Philosophen Jürgen Habermas zum Achtzigsten. Abgedruckt werden daneben frühe, feuilletonistische Texte, die Habermas in den fünfziger Jahren für die FAZ schrieb. In der Glosse kommentiert Felicitas von Lovenberg eine Begegnung Goethes mit der Deutschen Bank. Wenig ergiebig fand Julia Spinola eine Pressekonferenz mit Katharina Wagner zur Zukunft Bayreuths. Den Tänzer und Choreografen Heinz Spoerli, der jetzt den Preis des Verbands der deutschen Kritiker in der Sparte Tanz erhielt, porträtiert Wiebke Hüster. Andreas Rosenfelder hat sich im "Umsonstladen" in Berlin Mitte umgesehen, der hält, was sein Name verspricht. Einen kurzen Nachruf auf den britischen Juristen und Sonderling Charles Arnold-Baker hat Gina Thomas verfasst. Wolfgang Sandner schreibt zum Tod des Jazz-Saxofonisten Charlie Mariano.

Auf der Kinoseite würdigt Bert Rebhandl anlässlich des Abschlusses ihrer Werkausgabe die Filmkritikerin Frieda Grafe. Auf der Medienseite weist Oliver Jungen nachdrücklich auf ein heute Abend auf Arte zu sehendes Porträt der Schriftstellerin Kathy Acker hin.

Besprochen werden ein Konzert der wiedervereinigten Band "Faith No More" in Berlin, der Thriller "State of Play", und Bücher, darunter jede Menge Filmbücher und Amelie Nothombs neuer Roman "Biographie des Hungers" sowie jede Menge Filmbücher (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Zeit, 18.06.2009

Michael Naumann besucht für das Dossier die ums Überleben kämpfende New York Times und erlebt, wie boshaft New York sein kann: "'Als ich vor mehr als 50 Jahren bei der New York Times anfing, gab es in dem Haus weniger Lügner pro Quadratmeter als im Rest der Stadt', erinnert sich der viel gerühmte Chronist des Blattes, Gay Talese. Heute sei das anders, glaubt der adrett gekleidete Herr, der vor vier Jahrzehnten mit 'The Kingdom and the Power' die Geschichte der NYT als tragisch-komisches Drama eines kleines Königreichs voller Intrigen und Liebesgeschichten, aber auch brillanter journalistischer Leistungen geschildert hatte. Über Arthur Ochs-Sulzberger jr. urteilt er unbarmherzig: 'Hin und wieder kommt ein falscher König an die Macht.'"

Im Feuilleton betrachtet Ursula März, wie unterschiedlich - und unterschiedlich gelungen - Natascha Wodin über ihren Mann Wolfgang Hilbig und Ursula Priess über ihren Vater Max Frisch schreiben. Thomas Groß porträtiert die Sängerin Beth Ditto, deren Stimme ihn im Interview - bei 95 Kilo auf 1,55 Meter - wie eine "vokale Druckwelle" umwarf. Jochen Jung empört sich über das in seinen Augen "skandalöse" Förderprogramm "Stadtumbau Ost", dem bereits mehrere tausend denkmalgeschützte Bauten zum Opfer gefallen sind. Michael Naumann hat für Mathias Döpfners Forderung, die 68er sollten sich beim Springer Verlag entschuldigen, nur Spott übrig. Volker Ullrich sichtet Gerd Bucerius' Nachlass, um festzustellen, dass der Verleger die Studenten aus voller liberaler Überzeugung unterstützte, und zwar sehr großzügig. Karin Schick, Direktorin des Kirchner Museums in Davos, rekonstruiert den letzten Tag im Leben des Künstlers, der sich am 15. Juni 1918 das Leben nahm. Tobias Timm entdeckt einen "neuen Sinn für Qualität" auf der Art Basel. Peter Kümmel verabschiedet den Regisseur Jürgen Gosch.

Besprochen werden die Werner-Tübke-Schau in Leipzigs Museum der bildenden Künste, Maren Ades Film über die Liebe 2009 "Alle anderen" ("Unterm Strich zähl ich") und Peter Sellars multikultureller "Othello" in Wien.

Auf den Literaturseiten singt Eberhard Falcke ein Loblied auf Mahmud Doulatabadis Roman "Der Colonel" (Leseprobe).

Der Aufstand im Iran findet nur auf den vorderen Seiten statt. Jan Ross schreibt, ohne Pathos zu scheuen: "Ein Volk, das um seine Freiheit kämpft, ist ein bewegender, majestätischer Anblick, vielleicht der größte überhaupt in Politik und Geschichte."