Im Kino

Gegen die Ideologie vom Künstlergenie

Die Filmkolumne. Von Friederike Horstmann
19.04.2023. May Spils zehnminütiges Debüt "Das Portrait" von 1966 zeigt die Schwierigkeiten einer Malerin bei der Herstellung eines Selbstbildnisses. Lustvoll scheitert sie immer wieder an den Gebrauchsanweisungen aus dem Off - bis sie den Kurs wechselt.


Über einen Besuch in Oberhausen im Jahr 1965 gemeinsam mit Klaus Lemke sagt May Spils: "Ich habe mir alle Filme angesehen und gefunden: Das kann ich auch." Ein Jahr später realisiert sie ihren zehnminütigen Debütfilm und nennt ihn kurz: "Das Portrait" - ein Farbfilm über die Schwierigkeiten einer Malerin bei der Herstellung eines Selbstbildnisses. Sachlichkeit und Singular des Titels sind insofern Vorspiegelungen falscher Tatsachen, als "Das Portrait" mit optischer Opulenz in multimediale Metamorphosen gerät. Bücher und Bilder produzieren einen diskursiven Überschwang und dienen der von Spils selbst gespielten Künstlerin zur Inspiration und Imitation für die eigene Porträtproduktion. Ohne Rücksicht auf gängige Klassifizierungen verknüpft die Montage Frauenporträts aus der Geschichte von Malerei, Fotografie und Werbung. Temporeich springt sie zwischen den Zeiten, Medien, Genres. Damit verknüpfen sich Fragen nach der Konstituierung von Medien und Gender.

Die zeitgenössischen Kritiken attestieren dem Film ein narzisstisches Spiel mit hübschen Schauwerten: Sie beschreiben die Frauenfigur als "kapriziöse Dame" (National-Zeitung Basel), als "photogenes Figürchen" (Abendzeitung München), als "keck und in sich selbst verliebt" (Bayern-Kurier), als ein "um sich selbst kreisendes Schmalbeinmädchen" (Die Welt), als "intelligentes, selbstherrliches und originelles Narzißchen" (Spandauer Volksblatt), als "pfiffiges, dunkelstimmiges Mädchen im Minirock" (Abendzeitung München). Den Film selbst bezeichnen die Kritiken als "munteres Allotrion" (National-Zeitung Basel), als "kecken Versuch in Pop Art" (National-Zeitung Basel) und "autobiographisch getöntes, buntes, flottes, etwas kokettes, etwas niedliches Selbstporträt" (Abendzeitung München).



Abgesehen von der Historizität archivstaubiger Adjektive ist deren inflationärer Gebrauch auffallend. Roland Barthes hatte einmal für die Musikkritik festgestellt, dass das Werk in die ärmste linguistische Kategorie, das unvermeidliche Adjektiv übersetzt wird: Nicht nur Musik erhält mit Vorliebe ein Attribut. Frau und Film werden durch Adjektivakkumulationen be- und verurteilt: Die Frau wird durch den Gebrauch diverser Diminutive verharmlosend verniedlicht, der Film als "ein Versuch" marginalisiert. Als ein moralischer Fingerzeig gegen die Eitelkeit der Selbstliebe wird Spils' Selbstporträt mit dem Narziss-Mythos assoziiert. Im Gegensatz zu dessen tragischem Verlauf wird die Porträtproduktion in Spils' Film von heiterem Einfallsreichtum durchkreuzt. Die Künstlerin erprobt unterschiedliche Techniken, Materialien und Hilfsmittel zur Erstellung des eigenen Porträts: von expressiven Pinselbewegungen über gymnastische Übungen bis hin zu inspirierendem Konsum von Alkohol und Abbildungen.

Alle ihre Versuche begleitet eine nüchterne, männliche Stimme aus dem Off. Sie verkündet Gebrauchsanweisungen zur Malerei. Die essentialistischen Aussagen zu Kunst und Künstlertum sind den gesammelten Schriften "Farbe und Gleichnis" von Henri Matisse entnommen. Der Cut-up-Text reiht apodiktische Aussagen aneinander. Er erteilt der Künstlerin Ratschläge - Mansplaining im Jahre 1966, Sprache oder besser Voice-over als Herrschaftsinstrument hätte man im zeitgenössischen Politjargon damals dazu gesagt. Zum Voice-over schreibt der Filmkritiker Béla Balázs 1930: "Solche Stimmen aus der Luft bekommen aber irgendein Pathos, sie wirken manchmal unpersönlich, geisternd und orakelhaft, was auch nicht immer am Platze ist."

"Das Portrait" ironisiert die onkel- wie orakelhafte Autorität solch einer ins Bild hineinklingenden Stimme durch diverse Manöver. Vordergründig schlüpft Spils in die Rolle einer naiven Künstlerin, folgt den formelhaften Direktiven des Voice-overs und lebt die gedankliche Theorie als körperliche Praxis aus. Lösungen sind nicht über vertrackte Überlegungen zu haben, sondern vielmehr einfach und naheliegend. Dadurch werden humorvolle Effekte erzeugt und Pathos und Patriarchat Grenzen gesetzt. Einfallsreich opponiert die Malerin gegen verquaste Verbalunterweisungen, gegen angestrengtes Arbeitsethos, gegen die Ideologie vom Künstlergenie. Lustvoll scheitert sie an den Gebrauchsanweisungen aus dem Off. Zum Schluss wechselt sie den Kurs und findet so eine Möglichkeit, ein Selbstporträt zu realisieren.

Friederike Horstmann

Das Portrait - BRD 1966 - Regie: May Spils - Laufzeit: 10 Minuten.

"Das Portrait" ist bis zum 14.7.23 kostenlos im Streamingprogramm der Deutschen Kinemathek zu sehen, als Teil der Auswahl "Female Perspectives. Selects #4".