Sachbuch / Literatur

Kunst / Kulturgeschichte

Das am besten besprochene Sachbuch der Saison ist Anthony Graftons Biografie des Renaissance-Künstlers Leon Battista Alberti. Bei der Zeit ruft diese Biografie eines Universalgenies reinste Bewunderung hervor: "lebendig und vergnüglich" sei sie geschrieben. Die FAZ findet Graftons Darstellung besser als die Jacob Burckhardts: Gelehrt und witzig und vor allem nicht so harmonisch, Albertis Leben sei nämlich ein "Seiltanz über dem Haifischbassin" gewesen. Selbst die FR, die psychologische Biografien eher problematisch findet, empfand ein "uneingeschränktes intellektuelles Lesevergnügen". Sehr gelobt wird von der SZ auch Erik Orsennas "bezaubernde" Biografie des Gartenarchitekten von Versailles Andre Le Notre. Und die FAZ ist fasziniert von dem "konstruierten und exaltierten" Leben der Malerin Tamara de Lempicka, das Laura Claridge in ihrer Biografie beschreibt.

Was liebten die Europäer bloß so an England? Ian Buruma geht dieser Frage in "Anglomania" nach, indem er Anglomanen von Voltaire bis Wilhelm II. porträtiert, und wurde dafür von der Kritik überschwänglich gefeiert. Unterhaltsam, bewegend und, wie die Zeit schreibt, beeindruckend durch den "Reichtum einer Bildung, die es sich leisten kann, so leichten Tones wie Burumas Prosa daherzukommen".

Literaturwissenschaften

Aufsehen erregt hat hier vor allem Heinz Schlaffers Essay "Die kurze Geschichte der deutschen Literatur", der die Rezensenten mit seiner Eleganz und Geistesaristokratie bestach. Auch die Kürze (157 Seiten) wurde mit Begeisterung bedacht. Nur die FAZ war nicht zufrieden, auch wenn sie das Werk sprachlich "brillant" fand - inhaltlich geht es ihr zu sehr im Galopp durch die deutsche Literaturgeschichte. Noch zwei Bücher werden sehr empfohlen, nämlich Gotthard Erlers "Emilie Fontane"-Biografie, die die FAZ zwar streckenweise etwas spröde findet, die Emilie Fontane aber endlich vom Geruch der nörgelnden Gattin oder opferbringende Ehefrau "für immer befreit". Und Hans Ulrich Gumbrechts Essays über das "Leben und Sterben der großen Romanisten" Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer, Werner Krauss und Erich Auerbach und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus.

Geschichte

Großen Beifall gefunden hat das Buch der amerikanischen Journalistin Isabel Hilton über "Die Suche nach dem Panchen Lama", der 1995 von der Geheimpolizei aus Tibet verschleppt worden war. Die NZZ konnte nach der Lektüre ausführlich die "Heilsarbeitsteilung" zwischen Dalai Lama und Panchen Lama referieren. Die SZ findet es "spannend wie einen Krimi", und hält es für ein "Standardwerk", das die Konflikte zwischen China und Tibet anschaulich beleuchtet. Lob erhielten weiter Joachim Fest für sein Buch "Der Untergang", in dem er die letzten drei Wochen im Führerbunker rekonstruiert. Und Robert Gellatelys "gründliche" und "sorgfältig recherchierte" Arbeit (Zeit) über Hitler und sein Volk: "Hingeschaut und weggesehen". Als pures intellektuelles Vergnügen schließlich bezeichnen SZ und FAZ Marie Theres Fögens "Römische Rechtsgeschichten". Im Mittelpunkt des Buchs steht das nur als Legende auf die römische und nachrömische Nachwelt gekommene Zwölftafelgesetz und seine Überlieferung.

Philosophie

Sehr gut aufgenommen wurde Wolfgang Kerstings "Kritik der Gleichheit", eine Reihe von Aufsätzen zu Fragen wie "Was ist Recht?" "Was heißt Sozialstaat?" "Wer entscheidet eigentlich, was Moral ist?", die die FAZ wegen ihrer Klarheit und "hinreißend" gekonnten Polemiken feiert und die SZ als originell lobt. Viel besprochen wurden auch Giorgio Agambens "Homo sacer" und Karl Heinz Bohrers "Ästhetische Negativität". Letzterer stellt die Schriftsteller über die Philosophen, weil sie sich "dem Unausweichlichen, dem Nichts" gestellt hätten. Eine These, die von der Kritik eher abgelehnt wurde. Die SZ hat nicht recht verstanden, worauf Bohrer hinaus will. Die FR ist genervt von Bohrers "Rhetorik des Leidensstolzes". Die FAZ beklagt sich über endlos verschachtelte Sätze.

Naturwissenschaften

Hier gibt es wenig Neues zu vermelden. Hinweisen wollen wir aber doch auf Dieter Kühns Biografie der Malerin und Botanikerin Maria Sibylla Merian. "Ein wunderbares Buch", versichert die Zeit, und die FAZ nennt es voll Sympathie "hoch gescheit und hoch gescheitert", weil Kühn zwar ein großartiges Panorama der Barockzeit des 17. und frühen 18. Jahrhunderts liefere, aber aufgrund der wenigen Quellen über die Merian ein zuweilen ausuferndes Analogieverfahren mit anderen Zeitdokumenten betreibe.

Politik

Dies ist eine eminent politsche Saison: Die Nachwirkungen des 11. September, die Nahostkrise und der kommende Bundestagswahlkampf dürften auf das größte Interesse stoßen, und auch die Globalisierungsdebatte geht weiter. Zu allen Themen hat der Markt wichtige Neuerscheinungen zu bieten.

Zum 11. September: Gilles Kepels "Das Schwarzbuch des Dschihad" gilt als eine der besten Einführungen in die Geschichte des Islamismus, und es vertritt die auf den ersten Blick überraschende These vom Niedergang der Bewegung. Die Zeit besprach das Buch als "facettenreich" und ausgeprochen "profund". Und auch die taz bewundert bei mancher Kritik im Detail die ausgesprochen informative und instruktive Aufarbeitung der islamistischen Bewegung. Arno Widmann hatte für den Perlentaucher schon die französische Originalausgabe besprochen.

Zur Nahostkrise: Bisher wurde Bernard Wassersteins "Jerusalem"-Buch nur von der SZ besprochen. Gustav Seibt legte es den Lesern allerdings mit solcher Dringlichkeit ans Herz, dass man nach der Lektüre gleich in die Buchhandlung rennen wollte. Wasserstein erzählt de Geschichte dieses "goldenen Bassins voller Skorpione" seit dem 19. Jahrhundert und benennt mit "unerschütterliche Trockenheit" die kaum mehr lösbaren Status-Probleme dieser Stadt. Die New York Review hatte das Originals besprochen. Letzter Satz der Kritik: "The only reaction that seems appropriate now is despair."

Zum Bundestagswahlkampf: Allenthalben sehr gelobt wurde Frank Böschs "Macht und Machtverlust", eine Geschichte der CDU von Adenauer bis Kohl. Trotz kleiner Fehler und einiger Versäumnisse "werden sich künftige Veröffentlichungen an dieser Parteigeschichte messen lassen müssen", schreibt zum Beispiel Giselher Schmidt in der FAZ. Und auch die Zeit meint, dass man sich den Namen des 1969 geborenen Historikers "wird merken müssen" und lobt neben der wissenschaftlichen Tiefe des Buchs auch seine eingängige Sprache. Auch der SPD - von Bebel bis Schröder - ist eine neue Darstellung gewidmet: Franz Walters "Die SPD - Vom Proletariat zur Neuen Mitte", das bisher nur von der taz besprochen wurde. Sie lobte die große Perspektive des Buchs, fand die Beschreibung der aktuellen Situation allerdings ein wenig oberflächlich.

Zur Globalisierung: Eine ganze Flut von Neuerscheinungen ist hier zu annoncieren. Die wichtigste ist die (Anti-)Globalisierungsbibel "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt. Es handelt sich allerdings um einen schweren Brocken, eher eine philosophische als eine direkt politische Lektüre und schon gar keine Handlungsanweisung. Die Referenzen lassen sich in den Kritiken kaum zählen: Marx, Nietzsche, Heidegger, Foucault. Viel Spaß beim Begreifen der Weltlage! Direkter ist da schon der Zugriff bei dem Buch über die Organisation "Attac" der Journalisten Christiane Grefe, Matthias Greffrath und Harald Schumann.

Sachbuch / Literatur

Alle Rezensionsnotizen zu den Literaturbeilagen - aufgelistet nach Zeitungen und Themen - finden Sie hier.