Magazinrundschau
Anthropologen mögen an die Decke gehen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
26.09.2023. New Lines schildert das gigantische Ausmaß an Umweltverschmutzung, das zwanzig Jahre Krieg in Afghanistan hinterlassen haben. Vegan war gestern, Carnivore ist der neue Trend, lernt der New Yorker von Hoden verschlingenden Fleischfluencern. In HVG schreibt Péter Rácz über die Tücken des Übersetzens: Um in einem Nádas-Satz das Subjekt zu finden, braucht man mitunter vier Augen. Und in Gentlemen's Quarterly gibt Martin Scorsese die Hoffnung auf die Rettung des Kinos nicht auf.
Newlines Magazine (USA), 25.09.2023
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Männer in Schlaghosen, Frauen in kurzen Röcken - kein seltenes Bild im Afghanistan der Sechzigerjahre, das modische Einflüsse aus Russland, Amerika und Indien vereinte, erinnert die in Afghanistan geborene Autorin Sofia Mahfouz, die Afghanistans Geschichte anhand der Mode in drei Generationen erzählt. Trugen Frauen Kopftuch, bekundete man ihnen Beileid, denn das Kopftuch wurde nur zu Traueranlässen oder zu Ramadan getragen. Und auch in den Neunzigern, als die Taliban erstmals die Macht übernahmen, versuchten afghanische Frauen noch, irgendwie ihre modische Freiheit zu bewahren: "In den dunklen Jahren der Taliban, als ich geboren wurde, war Mode ein verbotenes Wort. Meine Familie war zu diesem Zeitpunkt bereits nach Kandahar gezogen. Frauen mussten sich mit formlosen Burkas bedecken und so ihre Schönheit und Identität verbergen. Doch schon damals erfreuten sie sich an den Farben ihrer Stickereien und stickten Muster aus Blumen und Vögeln auf ihre Kleidung. Meine Mutter war eine von ihnen. Da meine Mutter keine andere Möglichkeit hatte, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, musste sie sie auf eine neue Art und Weise entfalten. Einst Professorin, die Vorlesungen über organische Chemie hielt, musste sie nun ein neues Handwerk erlernen. Sie verwendete Seidengarn, das im Licht schimmerte, und verbrachte Stunden damit, die richtigen Farben und Muster auszuwählen. Wer Zugang nach Pakistan hatte, hatte Glück. Sie konnten sehen, was in der Modewelt passiert, und etwas davon mit nach Hause nehmen. (…) Die pakistanischen Kleider hatten raffiniertere Muster und Farben. Jeder, der nach Pakistan reiste, wurde daher mit der Aufgabe betraut, mit den gewünschten Stoffen und Stickmaterialien zurückzukehren."
Als Kind war der syrische Journalist Asser Katthab der einzige, der in der Schule Deutsch lernte. Hätte ihm jemand gesagt, dass ein paar Jahre später eine halbe Million syrische Menschen hier leben würden - er hätte es nicht geglaubt, schreibt er. Im Jahr 2017 floh auch er aus seiner Heimat, weil ihm wegen seiner Arbeit schwere Repressionen drohten. Ein französisches Asylvisum - sein Antrag in Deutschland wurde abgelehnt - erlaube ihm seitdem, nicht nur in Frieden zu leben, sondern auch frei reisen zu können. Kaum hatte er die Gelegenheit, reiste er nach Deutschland, nach Nürnberg um genau zu sein, um sich dort das Germanische Museum anzusehen. Die Begegnungen mit seinen Landsleuten waren nicht immer einfach, erzählt er, manchmal traf er auf Sympathisanten des Regimes oder konservative Syrer, die andere Mitglieder der Diaspora kontrollierten und sicherzustellen, dass sie keinen "westlichen" Gewohnheiten verfielen. Andere, so stellte er verblüfft fest, waren hundertfünfzigprozentige Bayern geworden. Vor allem aber konnte er beobachten, dass es eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Syrern gibt, auf die ihn seine eigenes Interesse für die deutsche Geschichte stieß: "Ich war mir bereits bewusst, dass die Deutschen angesichts dessen, was im vergangenen Jahrhundert geschehen ist, nicht sehr stolz auf die Vergangenheit ihrer Nation sind. Aber ich war überrascht, dass mein Interesse an der Geschichte des Landes - sogar vor der Vereinigung unter Kaiser Wilhelm I. und Bismarck in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ganz zu schweigen von den beiden Weltkriegen - fast jeden, den ich dort traf Unbehagen bereitete. Die meisten Deutschen, mit denen ich zu tun hatte, schienen darin übereinzustimmen, dass ihr Land sein Recht verloren hat, seine Kultur und sein Erbe zu feiern. Viele der Syrer, die nun schon seit Jahren hier sind, scheinen die gleiche Einstellung zum Rückblick auf die Vergangenheit zu haben. Diese Syrer waren schließlich unter einem Regime aufgewachsen, das in vielerlei Hinsicht dem Nationalsozialismus ähnelte. Sie wissen sehr gut, wie der Stolz auf die Geschichte dazu genutzt werden kann, gefährliche Ideen über Nationalismus und Macht zu schmieden."
New Yorker (USA), 25.09.2023
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Weitere Artikel: Ian Johnson liest Ian Johnsons superbes Buch über chinesische Undergroundhistoriker "Sparks: China's Underground Historians and Their Battle for the Future". Missbrauch in österreichischen Kinderheimen nimmt Margaret Talbot unter die Lupe. Jennifer Wilson liest J. M. Coetzees Roman "Der Pole". Amanda Petrusich trifft sich mit Joan Baez, um über neuen Dokufilm über ihr Leben (unsere Besprechung) zu sprechen - und natürlich über Bob Dylan. Außerdem unterhält sich Petrusich mit dem Elektromusiker Daniel Lopatich.
The Insider (Russland), 19.09.2023
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London Review of Books (UK), 25.09.2023
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Francis Gooding berichtet Erstaunliches aus der Welt der Schwertwale aka Orkas. Seit ein paar Jahren greifen die Tiere bei der Straße von Gibraltar immer wieder Schiffe an - oder wollen sie nur spielen? Wie Gooding darlegt, sind Mensch-Orka-Interaktionen historisch betrachtet keine Seltenheit. Und wenn man in der Erdgeschichte noch etwas weiter zurückgeht, wächst die Bedeutung der Schwertwale ins Unermessliche: "Es ist möglich, dass die Orkas das Meer in ähnlicher Weise beeinflusst haben wie die frühen Menschen das Land, und es ist zumindest denkbar, dass das ökologisch zerstörerische übermäßige Töten anderer Spezies eine weitere Parallele zwischen der Frühgeschichte der Orkas und der Menschen ist. Das Auftauchen der Orkas vor ungefähr zehn Millionen Jahren korreliert mit dem plötzlichen und mysteriösen Verschwinden von mehr als der Hälfte der bekannten Arten an Walen, Robben und Seekühen (Dugongs und Manatees) aus den fossilen Funden. Ähnlich wie im Fall des weit verbreiteten Ausdünnung terrestrischer Fauna in Gegenden, die im Pleistozän von Menschen kolonisiert wurden, könnten die Orkas, das ist eine Hypothese, im Zuge ihrer Verbreitung im maritimen Ökosystem andere Seesäugetiere gejagt und ausgerottet haben." Überraschend fände Gooding das nicht: "Orkas sind ausgesprochen intelligente Wesen. Zu sagen, dass Tiere 'Kultur' besitzen, sorgt hier und da immer noch für Stirnrunzeln, aber das meiste von dem, was das Leben der Orka ausmacht, ist nicht genetisch vorprogrammiert, sondern wird individuell oder in Gruppen gelernt. Anthropologen mögen an die Decke gehen, wenn man so etwas Kultur nennt, aber es fällt schwer, ein Wort zu finden, das besser passt, um lokale Verhaltenstraditionen zu beschreiben, die durch soziales Lernen weitergegeben werden."
HVG (Ungarn), 25.09.2023
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La regle du jeu (Frankreich), 25.09.2023
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Elet es Irodalom (Ungarn), 25.09.2023
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Africa is a Country (USA), 22.09.2023
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Himal (Nepal), 26.09.2023
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Gentlemen's Quarterly (USA), 25.09.2023
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Tablet (USA), 20.09.2023
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