Post aus Prag

Stellvertreterkrieg

Von Hans-Jörg Schmidt
29.10.2008. Das tschechische Magazin Respekt bleibt bei seinen Vorwürfen gegen Milan Kundera. Bei Kundera entschuldigen will es sich nicht.
Die Wochenzeitung Respekt sieht derzeit keinen Anlass, sich bei Milan Kundera zu entschuldigen. Das für seine investigative Arbeit auch international angesehene Prager Magazin hatte im Verein mit dem Institut für das Studium totalitärer Regime (Ustr), dem tschechischen Pendant der Birthler-Behörde, dem in Frankreich lebenden, kommerziell erfolgreichsten Autor tschechischer Herkunft vorgeworfen, 1950 im stalinistischen Prag den Westagenten Miroslav Dvoracek bei der Polizei verraten zu haben. Kundera bestreitet dies vehement und verlangte von Respekt eine Entschuldigung auf der Titelseite. (siehe unser "Link des Tages" zum Thema.)

"In unseren nächsten Ausgabe wird sich unser Herausgeber zu dem Fall äußern", sagt Chefredakteur Martin M. Simecka am Mittwoch gegenüber Perlentaucher.de. Und er fügt hinzu: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir uns nicht entschuldigen." Diese Forumlierung wählt er, um seinem Herausgeber Zdenek Bakala nicht vorzugreifen. Man sehe auch "sehr gelassen" einem möglichen, von Kundera angedrohten Prozess entgegen. Die nächste Ausgabe von Respekt erscheint am Montag.

Simecka besteht darauf, dass das Dokument der tschechoslowakischen Polizei, das Kundera belastet, echt sei. "Daran gibt es keinen Zweifel. Die Echtheit ist uns per Expertisen bestätigt worden." Das erwähnte Dokument sagt aus, dass Kundera bei der Polizei vorsprach um zu melden, dass sich der in der Tschechoslowakei gesuchte Westagent Dvoracek in einem Studenteninternat in Prag aufhalte. In der Folge wurde Dvoracek dort verhaftet, später vor Gericht gestellt und musste 14 Jahre als Zwangsarbeiter in einem Uranbergwerk schuften.

Simecka zeigt sich überrascht von Kunderas Reaktion auf den schweren Vorwurf: "Ich dachte, Kundera wird schweigen, wie fast immer. Oder er würde einräumen, dass da etwas vor vielen Jahren gewesen sei, an das er sich aber nicht mehr richtig erinnern könne. Und dass es ihm leid täte, wenn er sich damals falsch verhalten habe. Doch seine Aussagen im Interview mit der Nachrichtenagentur CTK waren sehr dürftig." Kundera hatte in jenem Interview von einem "Attentat auf einen Autor" gesprochen und jeden gegen ihn geäußerten Verdacht als Lüge zurück gewiesen. Er sei zudem völlig von den Vorwürfen überrascht worden.

Letzteres weist Simecka zurück. "Wir wissen, dass Kundera ein Fax mit Fragen zu dem Fall empfangen hat. Und ich denke auch, dass er weiß, was damals war. Aber er schweigt im Grundsatz noch immer." Zu dem in Tschechien mehrfach vorgebrachten Vorwurf, Respekt habe Kundera zwar Fragen per Fax geschickt, ihn aber nicht mit dem Ergebnis der Recherche konfrontiert, äußerte sich Simecka nicht.

Dass sich die tschechische Debatte jetzt gegen Respekt und die Prager Gauck-Behörde wendet, verwundert den Chefredakteur von Respekt nicht sonderlich: "Hier wird jetzt ein Stellvertreterkrieg geführt gegen uns. Wir werden zum Feind abgestempelt.. Und im selben Zug ergreift man Partei für Kundera." In der Debatte meldeten sich vor allem solche Leute zu Wort, die in der Zeit des Stalinismus nicht sauber geblieben seien, die später zu den tschechischen 68-ern gehörten und teilweise zu Dissidenten wurden und meinen, damit ihre früheren möglichen Vefehlungen wiedergutgemacht zu haben. "Das hat nicht nur mit Kundera zu tun, sondern ist eine generelle Verteidigungsstrategie unserer betroffenen Intelektuellen", fügt Simecka hinzu.

Besteht die Gefahr, dass die Debatte dazu führt, prinzipiell die Aufarbeitung der eigenen Geschichte infrage zu stellen, und das nicht nur in Tschechien, sondern in allen postkommunistischen Ländern? Simecka sieht dies differenziert: "Anders als man im Westen meint, ist die Lage in Mittel- Osteuropa unterschiedlich. In Polen ist die Debatte über die eigene Geschichte sehr politisiert. In der Slowakei gab und gibt es Versuche, die dortige Gauck-Behörde zu stoppen. In Tschechien ist die Bereitschaft höher, sich den Spiegel vorzuhalten. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen etwa leistet hier Beispielhaftes. Das stößt bei den Zuschauern auch auf reges Interesse. Bei den Politikern sieht es ein bisschen anders aus. Vor allem dann, wenn es um heikle Dinge im Zusammenhang mit wichtigen Persönlichkeiten geht, wie Kundera." Es drohe tatsächlich, dass sich die Angriffe der in Tschechien oppositionellen Linken gegen die Prager Gauck-Behörde verstärken. Gefährlich werde es, wenn sich auch Leute aus dem Regierungslager dieser Meinung anschlössen. "Doch diese Angriffe sind nicht neu. Und die Behörde wird dies hoffentlich überleben", gibt sich Simecka optimistisch.

Hans-Jörg Schmidt


Nachtrag vom 4.11.2008: Respect hat inzwischen erklärt, es werde sich nicht entschuldigen. Und in der tschechischen Zeitung Pravo berichtet der Schriftsteller Petr Prouza von einem Besuch bei Kundera, der anders als angedroht, doch nicht gegen Respekt klagen wolle. Kundera sei "nicht mehr 60 oder 70, seine Zeit ist knapp bemessen und er möchte (lieber) noch einen großen Roman schreiben".