Magazinrundschau - Archiv

Res Publica Nowa

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 08.06.2010 - Res Publica Nowa

Titelthema dieser Ausgabe ist der Zustand der Buchkultur in Polen, um die es aktuellsten Umfragen zufolge nicht so gut steht. Der Autor Lukasz Golebiewski, ein Experte für den polnischen Buchmarkt, grübelt derweil über die digitale Herausforderung: "Ich denke lieber nicht daran, was passieren wird, weil es mir etwas Angst macht", sagt dieser. "Wir wissen ja nicht, ob die neuen Technologien uns schaden werden, ob wir sie zähmen und zu Gunsten von Kultur und Wissenschaft anwenden können. Sehr gut wäre es, wenn wir, statt Angst vor der Technik zu haben, sie für Kultur- und Bildungszwecke anwenden könnten. So muss es nicht kommen, aber das ist noch kein Grund, Entwicklungen zu fürchten, die so oder so unsere Kultur dominieren werden. Wir sollten eher versuchen, uns in der neuen Realität wiederzufinden, statt uns in der Analogkultur zu verschanzen. Ich möchte optimistisch in die Zukunft schauen, aber sicher bin ich nicht".

Henryk Wozniakowski vom Verlag "Znak" repräsentiert eine ältere Generation. Für ihn zählt etwas anderes: "Es geht nicht um die Dankbarkeit der Nation gegenüber dem Großen Verleger, sondern um die Freude, wenn wir im Zug jemanden treffen, der in 'unser' Buch so vertieft ist, dass er von der Außenwelt abgeschottet erscheint. Was zählt, ist der Funke im Auge des Gesprächspartners, wenn er von seinen literarischen Entdeckungen erzählt, oder die Stimme des Kritikers, der ein Buch wirklich verstanden hat und dies auch weitergeben kann. Mit einem Wort: Was am meisten zählt, ist der einzelne Leser und seine Reaktion. Natürlich weiß ich, dass das Verlagsgeschäft Tausende von solchen einzelnen Lesern braucht."

Befragt nach dem Buch, auf das er wartet, antwortet der Literaturkritiker Przemyslaw Czaplinski: "Ich warte auf ein Buch, von dem ich nicht weiß, dass ich darauf warte. Es wird, ungefragt und unerwartet, von irgendwo auftauchen, zu früh oder zu spät, immer zur unrechten Zeit, und wird mich davon überzeugen, dass meine ganze bisherige Lektüreerfahrung ein Warten auf dieses Buch war. Und wenn ich es lese, werde ich diese Erfahrung über Bord werfen, um zu verstehen, was ich nicht verstehe."

Magazinrundschau vom 29.12.2009 - Res Publica Nowa

Nach jahrelangen Diskussionen hat das Museum für Moderne Kunst seine Arbeit aufgenommen. Bezeichnenderweise versuchte man mit dem Projekt "Warschau im Entstehen" eine Verbindung zur sich im ständigen Wandel befindenden Stadt herzustellen. "Gut so!", meint die Kunstkritikerin Anda Rottenberg. Nur sollte man es dabei nicht belassen: "Ohne solche Instrumente wie dieses Museum, Fernsehbeiträge, Schulunterricht, ohne Bildungskontext wird unsere Gesellschaft weiterhin negativ auf moderne Kunst reagieren, und nur durch Errichten von neuen Häusern kommen wir nicht weiter. Übrigens sind diese Häuser, wie sie sind, weil wir eine Architektur akzeptieren, die woanders auf der Welt nicht mehr gebaut wird. Warschau wurde zu einer Art Abwurfstelle für veraltete Ideen, und alle glauben, das wäre sehr schön, oder sie sagen es wenigstens so. Andernfalls würden sie etwas dagegen unternehmen. Leider reflektiert ganz Polen diesen Geschmack, der aus Komplexen und Ressentiments entstanden ist. Natürlich wird sich das nicht von einen Tag auf den anderen ändern, aber alles ändert sich so langsam."

Der viel diskutierte Beitrag Timothy Snyders bei der "Eurozine"-Konferenz im Mai (hier die im New York Review of Books publizierte Fassung) kann den westlichen Blick auf den Holocaust beeinflussen, meint Jaroslaw Kuisz. "Ohne Zweifel wendet sich der Text gegen eine Geschichtsschreibung allein aus dieser Perspektive. Das 'Zentrum' schreibt eine populäre Weltgeschichte, und ignoriert dabei stur die Stimmen aus der 'Provinz'." So weit, so gut, nur "werden wir wieder ausschließlich als Opfer präsentiert. Snyders Erzählung, so edel sie gemeint ist, ist nichts Anderes, als eine Fortsetzung der Geschichtsschreibung aus Sicht des Westens. Die Opfer früherer Verbrechen bleiben passive 'Provinz'", schreibt Kuisz. Die Freude über die Anerkennung der polnischen Opfer beider Totalitarismen, die Synders Text leistet, solle daher nicht ganz so enthusiastisch ausfallen.

Den schönsten Beitrag in der Zeitschrift - aber auch nicht online - stellt die Analyse des Deutschlandbildes in der polnischen Literatur der letzten dreißig Jahre dar. Przemyslaw Czaplinski (hier ein älterer Beitrag und eine thematische Rezension) konstatiert dabei vor allem eine "bezeichnende Verschiebung", weg von nationalen Opferdiskursen. "Die Darstellung der Deutschen dient der Erfindung eines neuen Polen. Ohne die Veränderung des Denkens über fremde Identitäten ist eine Veränderung der polnischen Identität nicht möglich. Die Darstellung des Anderen ist eine Projektion der eigenen Identität. Je weniger Nationalismus im germanischen Porträt, desto schwieriger ist es, nationale Kategorien für Polen und die Polen aufrecht zu erhalten". Gerade in der Figur des Vertriebenen/ Neuankömmlings habe eine neue Beschreibung von menschlichen Schicksalen jenseits nationaler Stereotypen einen Ausdruck gefunden. Diese Loslösung von ethnischen Zuschreibungen mache erst den Weg frei für eine neue Definition der polnischen Identität. "Wir brauchen Deutschland als Herausforderung für eine neue Art, Geschichte zu schreiben", konstatiert Czaplinski.