Im Kino

Spielarten des Fun

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
06.06.2007. "Ocean's 13", die zweite Fortsetzung des überflüssigen Remakes eines überflüssigen Films, ist ein lässiges Vergnügen. In Todd Verows Provinz-Drama "Vacationland" begegnet der Held in der Schwulenklappe ausgerechnet dem verhassten Französischlehrer.
Diesen Film braucht kein Mensch - aber das macht er zu seiner Stärke. "Ocean's 13" ist die zweite Fortsetzung eines Films, den auch schon keiner brauchte, der das Remake eines Films mit Frank Sinatra und seinem Ratpack war, den bereits im Jahr 1960 alle Welt für überflüssig hielt. Und doch ist in diesem Sommer unseres Blockbuster-Missvergnügens Steven Soderberghs Film eine der angenehmeren unter allen zweiten Fortsetzungen, die die Leinwände derzeit bevölkern. Denn weder neigt er, wie Teil drei der Karibikpiraten, zur alle Feinheiten ersäufenden Monumentalisierung noch zum Auseinanderfall in die beliebig-synkretistische Nummernrevue (vgl. "Shrek der Dritte", dazu demnächst mehr). Vielmehr macht er aus dem äußersten Mangel an innerer Notwendigkeit so wenig ein Geheimnis, dass es schon wieder eine Lust ist. Samuel Taylor Coleridges Definition unseres Vergnügens an der Fiktion als "bereitwillige Suspendierung des Unglaubens" stellt "Ocean's 13" einfach auf den Kopf: Der Genuss daran stellt sich erst unter der Voraussetzung ein, dass man den Blödsinn bereitwillig akzeptiert, den das Drehbuch hier veranstaltet, und zwar als den Blödsinn, den alle Beteiligten - Darsteller, Macher und Zuschauer - von Herzen wollen.

Den Plot zieht der Film natürlich an den Haaren herbei. In luftigen Höhen legt ein Ganove einen anderen herein. Was nur funktioniert, weil der eine - Al Pacino als Hotel- und Casinobesitzer Willy Bank - keine Ehre im Leib hat, während der andere - Elliott Gould als Reuben Tishkoff, Mitglied von Danny Oceans Bande - glaubt, die Tatsache, dass beide noch Frank Sinatra die Hand geschüttelt haben, mache sie schon zu demselben Kodex verpflichteten Spießgesellen. Da hat er sich böse getäuscht, muss, von Bank genötigt, alle Ansprüche aufgeben, erleidet noch an Ort und Stelle einen Herzinfarkt und liegt gleich darauf und dann auch für einen guten Teil des Films im Koma. Dies vergleichsweise unverdiente Schicksal ruft Danny Ocean (George Clooney) und seine Leute (Brad Pitt, Matt Damon, Casey Affleck etc. pp.) auf den Plan. Ihr ganzes Trachten geht danach, Willy Bank ins Hotel- und Casino-Handwerk zu pfuschen, koste es, was es wolle. Das Gesetz dieser Rache ist - Schnitt auf Ärmelkanaltunnelbohrmaschine im Untergrund von Las Vegas - von Anfang an der Exzess, so dass also der Überflüssigkeit der ganzen Filmunternehmung eine Überschüssigkeit des Vernichtungswillens korrespondiert. Folglich geht es immerzu und immer wieder ganz ausdrücklich um Unsummen, eben jene fantastische und fantastillionenhafte Potenzierung von Einsatz und Geld, die sich an den Tischen der Casinos von Las Vegas tagtäglich ereignet.

"Ocean's 13" kehrt nach dem Europa-Ausflug des zweiten Teils in die Wüste Nevadas zurück - und bleibt dann ganz konsequent auch vor Ort. Das ist keine schlechte Idee, die Konzentration auf den einen Schauplatz tut dem Film angesichts der sonst vorherrschenden Zentrifugalkräfte der Verschwendung - von Geld, Stars, filmischen Mitteln - nur gut. Zur Einheit des Ortes kommt, in allerdings komplett vorgetäuschtem Klassizismus, wieder einmal die Fokussierung auf einen grotesk engen Zeitrahmen, der für die Ausführung des raffiniert ausgedachten Racheplans bleibt. An der Stelle bringt das Drehbuch zum einen Menschen mit Schwächen ins Spiel - darunter als allzu verführbare rechte Hand von Willy Bank auch Ellen Barkin -, erfindet vor allem aber mit einer kaum zu überlistenden Überwachungsmaschine ein Quasi-Science-Fiction-Element.

Mehr als ein McGuffin zur Plotkonstruktion ist das wiederum nicht. Was im einzelnen abläuft, sollte man dennoch nicht genauer erläutern, da der Film einen Großteil seines Reizes den Vorbereitungen des ausgetüftelten Überfalls verdankt. Allerdings keineswegs deshalb, weil irgendetwas an diesem Plan sonderlich plausibel wäre, eher im Gegenteil. Spaß bereitet gerade der Kontrast von endlosem Hin und Her aus Koalitionsbildungen, Zwischenfällen und Ausweichmanövern und der bedenkenlosen Hirnrissigkeit des Gesamtszenarios. Je weniger Sinn das macht, mit desto größerem Ernst wird es entwickelt. Komödie ist "Ocean's 13" nicht nur darin, dass es zwischendurch immer wieder sehr lässige Scherze gibt, sondern auch darin, dass alle Handlungs- und Charakter-Seriosität bei gleichzeitig weiterlaufender Spannungsplotentwicklung immerzu unterlaufen wird.

Mit augenzwinkernd-wissender postmoderner Ironie hat das nicht unbedingt etwas zu tun. Es geht nur um Spielarten des fun, um post-pathetischen Wiedergewinn kindlicher Freude am Exzess. Am deutlichsten wird das vielleicht auf der rein filmischen Ebene. Steven Soderberghs Kamera-Ökonomie aus Schwenks und Zooms und Oberflächenfaszination bewegt sich wie alles an diesem Film weit jenseits reiner Funktionalitäten. Die reizendsten Bildeinfälle macht er dem Betrachter wie nebenbei zum Geschenk. Und wenn "Ocean's 13" dann einmal zeigt, wie Brad Pitt und George Clooney von Oprah Winfreys Tränendrüsen-Show tatsächlich gerührt sind, dann präsentiert der Film die beiden gar nicht wirklich als lächerliche Figuren. Eher denkt man, dass hier die freundlich-spöttische Metrosexualisierung gestandener Mannsbilder vorgeführt wird. Und es gelingt, denn diese Jungs sind verdammt cool noch da, wo sie total uncool sind.

Auf ähnliche Weise ist auch der Umgang dieses Films mit den eigenen Genrevoraussetzungen - zu denen von Rechts wegen die Erzeugung von Spannung gehört - maßlos entspannt. Mehr als einen Jux will "Ocean's 13" sich und auch uns nicht machen. Eben darum sollte man das, was hier gelingt, nicht unterschätzen. Kein Mensch braucht diesen Film. Nur gilt dasselbe für all die Spidermans, Piraten und grünen Oger der Welt. Danny Ocean und seine Gang verkörpern nichts als die reine Lust an der Verschwendung. Im Vergleich mit den hart erarbeiteten Scherzen und Schlachten anderer aktueller Hollywood-Produktionen erweist sich diese Lust, post-pathetisch, albern, verspielt und entspannt wie sie ist, als echte und ehrliche Alternative.

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Wer das perfekte Gegenstück zu Steven Soderberghs jüngster Extravaganza sucht, dürfte ziemlich genau bei einem Werk wie Todd Verows Film "Vacationland" landen. Verow ist ein schwuler Underground-Filmemacher, aufgewachsen im eher trostlosen Bangor im US-Bundesstaat Maine, dessen Beiname Vacationland auf allen Auto-Nummernschildern nachzulesen ist. Er hat dann an der angesehenen Kunsthochschule "Rhode Island School of Design" studiert wie, unter anderen, auch der zu sehr viel größeren Ehren gelangte Regisseur Gus van Sant. Mit extrem wenig Geld dreht Verow seit Jahren nun seine Filme und macht, was er selbst machen kann (Buch, Schnitt, Kamera, Regie), selbst, regelmäßig unterstützt von seinem Kumpel Jim Dwyer. Er arbeitet stets mit einer digitalen Videokamera, seine Geschichten sind mal mehr, mal weniger autobiografisch, und immerhin bekommt Verow Einladungen zu Festivals, zum Beispiel in die Panorama-Sektion der Berlinale. Ab und an gibt's auch mal einen kleinen Verriss in der New York Times.

Kunst im engeren Sinne sind Verows Filme keineswegs. Und kommerziell vielversprechend schon mal gleich gar nicht. Dass einer von ihnen in Deutschland im Kino landet, und sei es, wie jetzt im Fall von "Vacationland", als digitale Begleit-Auswertung zur bereits erschienenen DVD (hier zu erwerben), ist schon ein mittleres Wunder. Die Zielgruppe ist überschaubar, das juste milieu des deutschen Arthouse-Publikums dürfte mit der immer etwas kruden Rohheit des Verowschen Schaffens wenig anfangen können. Mit süffigem Qualitäts- oder gut konsumierbar aufbereitetem Problemkino hat das nichts zu tun; unter rein handwerklichen Gesichtspunkten bewegt es sich stets am oberen Rand des Amateurhaften, das gilt für die Darstellerleistungen, den Umgang mit den Mitteln der Montage, den Einsatz der Musik und nicht zuletzt die sprunghafte Entfaltung der Handlung.

Aber gerade die Abwesenheit der Kunst macht Verows Kino - ebenso wie das manch anderen Undergroundfilmers - interessant. Auch hier ist kein größerer Gegensatz denkbar als zu einem Film wie "Ocean's 13". Wo dieser nichts anderes ist - und zu sein behauptet - als Jux und Geldmacherei, steht hinter "Vacationland" der dringliche Wunsch, eigenes Erleben und vor allem Erleiden zum Ausdruck zu bringen, dem Mangel an allen Ecken und Enden zum Trotz. Der Film spielt in Bangor, Maine, also dem Herkunftsort seines Regisseurs. Sein Alter Ego Joe (Greg Halloway) ist in einer White-Trash-Siedlung aufgewachsen, achtzehn Jahre alt und verliebt in seinen besten Kumpel, den lokalen Footballstar Andrew (Gregory J. Lucas), den er allerdings für hoffnungslos heterosexuell hält. Nach einer Weile stellt sich heraus: Andrew ist genauso schwul wie er selbst, schwupps landen die beiden miteinander im Bett, von den desillusionierten Feigenblatt-Freundinnen gar noch dazu animiert.

Joes sehnlichster Wunsch ist die Flucht aus Bangor, am besten zum Studium an der "Rhode Island School of Design" (vgl. wieder des Regisseurs eigene Biografie). Das Fluchtbegehren teilt er mit seiner Schwester, die, von der Beförderung zur stellvertretenden Leiterin im Supermarkt konsterniert, ihren Job an der Kasse schmeißt, diese vorher noch ausräumt und vom gestohlenen Geld in eine Zukunft in Los Angeles fliegt. Das ist noch lange nicht alles, was in "Vacationland" so passiert. Ob all die Traumata (Vergewaltigung, Mord, Selbstmord), von denen Verow im weiteren noch erzählt, auf wahren Begebenheiten beruhen, steht dahin. Der Film aber, den er daraus gemacht hat, wirkt auf seltsame Weise authentisch.

Nicht, weil das, was man da sieht, auch nur im mindesten den Eindruck von Realismus macht. Ganz im Gegenteil kommt keine Sekunde lang die wohlige Kino-Illusion auf, man könne hier in eine andere Welt eintauchen. Aber gerade weil man auf Abstand bleibt und neben der Darstellung zugleich auch immer ihre Mittel wahrnimmt, ist der Film sehr unprätentiös und auch ehrlich. Gerade dadurch, dass Wollen und Können nicht rückstandslos ineinander aufgehen, gewinnt das Spiel der Darsteller eine ganz eigene Überzeugungskraft. Man bekommt einen ziemlich genauen Eindruck davon, was es heißt, in einer amerikanischen Kleinstadt wie Bangor aufzuwachsen; davon, wie es sich anfühlt, dort schwul zu sein und auf der zur provisorischen Schwulenklappe umfunktionierten Schultoilette ausgerechnet vom verhassten Französischlehrer gestreichelt zu werden; und auch davon, wie wichtig es sein kann, das alles zu zeigen und zu erzählen, mit den Mitteln, die man hat. Angesichts all dessen wird man sie nicht einmal unzureichend nennen dürfen.


Ocean's 13
. USA 2007 Regie: Steven Soderbergh - Darsteller: George Clooney, Brad Pitt, Matt Damon, Andy Garcia, Don Cheadle, Ellen Barkin, Al Pacino - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 122 min

Vacationland. USA 2006 - Regie: Todd Verow - Darsteller: Brad Hallowell, Greg Lucas, Jennifer Stackpole, Mindy Hofman, Charles Ard, Theodore Bouloukos, Michael John Dion, Hilary Mann, Nathan Johnson, Jennifer Mallett - FSK: ab 16 - Länge: 104 min.