Im Kino
Bewegtbilddreschflegelei
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
04.09.2007. "Das Bourne Ultimatum", der dritte Teil der Bourne-Saga, verbreitet virtuos, aber wenig originell, viel Hektik und Lärm. In Erica von Moellers "Hannah" geht es in sehr viel ruhigerer Gangart um Nina Hoss als schöne Frau mit rätselhafter Vergangenheit.![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K3/T73/A4135/bourneult.jpg)
Klingt nach einem Ödipus unserer Tage, ist aber, wenn Regisseur Paul Greengrass das ganze in Szene setzt, nur ein Schnittgewitter und Handkameraspektakel der atemlosen und unkoordinierten Art. Im fortwährenden medias in res, im Immerzu des Fortmüssens und Weiterspringens, des Hin von Verfolgung, des Her von Flucht, verliert der Film Mitte und Ziel, verliert Jason Bourne das ihm auferlegte Schicksal schnell aus den Augen. Es bleiben, immerhin, Virtuosenstücke des Orientierungsverlusts, früh im Film als von Bourne live choreografierter
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K3/T73/A4135/bournewaterloo.jpg)
Es korrespondieren in "The Bourne Ultimatum" wiederum zwei Grundbewegungen, aufgelöst ins rasante Szenengewühl: die der Suche nach der eigenen Vergangenheit, mittlerweile kompliziert dadurch, dass Bourne für den Mord an seiner Freundin Marie Kreutz (Franka Potente) Vergeltung sucht, die den Film gelegentlich als eine Art Geist in Erinnerungen und Fotografien heimsucht; und als zweite Bewegung, in Fortsetzung und Wiederholung der Teile eins und zwei, die der Flucht vor den technisch und personell beängstigend gut, was moralische Bedenken angeht dagegen beängstigend schlecht ausgestatteten CIA-Bossen.
Die haben zu verbergen, dass sie etwas zu verbergen haben, und natürlich kommt ihnen Jason Bourne dann drauf. Er ist denen, die ihn verfolgen, immer einen Schritt, einen Blick, einen Gedanken voraus und noch die Fallen, die sie ihm stellen, hat er ihnen selbst suggeriert. An dieser Plotmechanik ist nichts verkehrt, im Gegenteil. Sie böte viele spannende Möglichkeiten zu retardierenden Momenten, Parallelmontagen der atemlosen Art, zu Beinahe-Konfrontationen und Manipulationen des Betrachters, der mal weiß, was gespielt wird und wenig später dann nicht mehr.
An dergleichen Raffinessen aber haben Tony Gilroys Drehbuch, vor allem aber Paul Greengrass' Regie wenig Interesse. Greengrass, der mit dem Nordirlandfilm "Bloody Sunday" vor ein paar Jahren den Goldenen Bären gewann und zuletzt mit "United 93" die erste große 9/11-Rekonstruktion vorlegte, inszeniert, worum immer es geht, immer im selben Stil. Er ist ein Manierist, also einer, der sein Können nicht im Funktionalen aufgehen lässt, sondern die Form um der Form willen forciert. Nur besteht seine Manier nicht, wie von Manieristen gewohnt, darin, dass er sich ins Künstliche, den einfachen Formen Ferne verliert. Seine Manier besteht vielmehr in der Mimikry ans Dokumentarische und damit in einer künstlich produzierten Form von Einfachheit.
In "The Bourne Ultimatum" ist diese Manier ausgeprägter denn je. Abgesehen von Totalen auf große Städte, die meist mit einem rasenden Zoom ins Getümmel enden, tut die Kamera immer so, als wäre sie mittendrin und live dabei. Forciert wird der Eindruck durch Handkameraeinsatz, hektische Schnitte, das
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K3/T73/A4135/bournedach2.jpg)
Man wird von den Bildern abgewatscht wie ein heillos überforderter Boxer, Schlag folgt auf Schlag. Je länger dies Bilder-Stakkato auf einen niedergeht, desto klarer wird aber eine fatale Inkongruenz. Es ist ein Mangel an innovativen oder originellen Ideen, der hier verdeckt wird von der Mimikry ans Dokumentarische. Hinter der aufgewühlten Bildproduktion liegen die üblichen Versatzstücke von Liebe und Verrat, Abziehbilder böser Geheimdienstaktionen und noch an der Amnesie des Helden ist nichts, das aus unzähligen anderen Geschichten nicht längst vertraut wäre. So tut dieser Film auf höchst künstliche Weise einfach und haspelt sich orientierungslos durch Raum und Aktion. Die hinter der Action gähnende Leere frisst sich aber, je länger das dauert, hinein in die Bilder, in die Figuren und zuletzt auch ins Hirn des Betrachters. "Das Bourne Ultimatum" ist Kino als Bewegtbilddreschflegelei - Zuschauen auf eigene Gefahr.
***
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K3/T73/A4135/hannah.jpg)
Hannah ist schön und sie ist rätselhaft. Sie hat Angst, sie hat ein Geheimnis. Nina Hoss macht, im Auftrag von Drehbuch (Sönke Lars Neuwöhner) und Regie (Erica von Möller), aus der Andeutung dieses Geheimnisses eine Schau. Rückblenden-Flashs in bleichen Farben helfen auf die Sprünge. Fotografien tauchen auf, Gegenwartsfotos, Vergangenheitsfotos, von beiden ist Hannah konsterniert. In den Rückblenden knirscht Eis, das Hannah im Glas zerstößt. Hannah sperrt sich ein, sie sperrt die Welt aus. An der Tür ein Riegel, an der Wand die Vasarely-Tapete.
Und dann geht sie doch hinaus, in die Stadt, in die Welt. Die Rückblenden, die Tochter, die Fotografien, ein Rätsel, ein Mann. Jan, der Hannah nicht zu helfen weiß, telefoniert mit einem Freund, der sich mit
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K3/T73/A4135/hannah2.jpg)
Hannah trifft eine Freundin aus ihrer Vergangenheit. Sie wird gespielt von Marie-Lou Sellem, die hier Theater spielt, es klingt nach Tschechow. Zuletzt haben wir Marie-Lou Sellem in Angela Schanelecs "Marseille" gesehen, da spielte sie Theater, es war Tschechow. Nina Hoss werden wir nächste Woche in Christian Petzolds "Yella" sehen, als eine rätselhafte Frau, deren Leben endet und neu beginnt. Wer "Marseille" gesehen hat und "Yella", für den ist "Hannah" immer wieder ein deja-vu, aber als Abklatsch. Das ist natürlich kein Plagiatsvorwurf ("Yella" ist erst nach "Hannah" entstanden), sondern nur das Konstatieren eines Klassenunterschieds. Das Problem ist: In "Hannah" lösen sich alle Rätsel, der Familienknoten geht auf. Das Problem ist: Vom ersten Bild an läuft der Film auf sein Ende hinaus.
Das Bourne Ultimatum. Regie: Paul Greengrass. Mit Matt Damon, Julia Stiles, David Strathairn, Al und anderen. bert Finney, Joan Allen, Daniel Brühl, USA 2007, 115 Minuten
Hannah. Regie: Erica von Moeller. Mit Nina Hoss, Isabell Bongard, Wolfram Koch, Matthias Brandt, Marie-Lou Sellem und anderen. Deutschland 2006, 90 Minuten