Im Kino

Aus dem Off der Flüsterstimmen

Die Filmkolumne. Von Janis El-Bira, Nikolaus Perneczky
10.09.2015. Terrence Malick verlegt seine pantheistisch beseelte Lobpreis-Ästhetik in "Knight of Cups" nach Los Angeles. Michael Cuestas blutleerer Politthriller "Kill the Messenger" folgt verschwörungstheoretischen und hagiografischen Mustern.


Ein kümmerlicheres Erdbeben hat selten die Wände eines kalifornischen Films zum Wackeln gebracht: Hollywood-Drehbuchautor Rick (Christian Bale) treibt es zwar aus seinem Kingsize-Bett und hinaus auf die Straße, doch mit schwankenden Regalen und ein paar auf dem Asphalt zerberstenden Blumentöpfen hat sich der Spuk auch schon wieder erledigt. Als wolle er glauben, dass im Schoß der Erde doch noch erschütterndere Kräfte ruhen müssen, horcht der an allem übersatte, trotzdem dauerhungrige Karrierist in Terrence Malicks neuem Film "Knight of Cups" am heißen Beton von Los Angeles. Doch selbst die Natur verweigert den traumatischen Hieb, der das Leben vom Kopf auf die Füße stellen und das Bewusstsein zur Auseinandersetzung mit dem Sein zwingen könnte.
 
So bleibt alle Wirklichkeit ein einziges Verschleißangebot: Rick taumelt im Folgenden wie benommen aus den Schößen von Prostituierten in die Arme seiner Ex-Frau (Cate Blanchett) und anderer Gespielinnen, schleudert die Dollarscheine zum offenen Cabrio-Dach heraus, verfolgt beiläufig verdrogte Parties auf unwirklichen Landsitzen und lässt sich von einer Kartenlegerin das Tarot-Spiel ebenso unbeeindruckt erklären wie von einem Priester die Lehren der Kirche. Dazwischen rufen die Malick-typischen Stimmen aus dem Off den verlorenen Pilger auf den Weg der beharrlichen Sinnsuche zurück: Finde die Perle, komm ins Eigentliche. Doch vor allzu bohrenden Fragen und dem ewig ungelösten Konflikt mit Vater und Bruder flüchtet Rick sich lieber in die beengende Weite der Wüste. Als müsse er gelegentlich in jenes dornige Gestrüpp zurück, aus dem der sentimentale "Ritter der Kelche" auf der titelgebenden Tarot-Karte geritten kommt.
 


Rick und seine mondäne Welt beginnen in "Knight of Cups" schleichend und von innen wie Hülsenfrüchte zu verfaulen, während die Schale unter den zauberschönen lens flares der Sonne Kaliforniens noch ungebrochen glänzt. Terrence Malick, der viel verehrte, viel gehasste Chronist der (Selbst)Entfremdung des modernen Menschen, hat daraus einen verblüffenden Film im Modus permanenten Kippelns entworfen. Noch ist nicht alles verloren, doch längst ist kaum mehr etwas zu retten.

Die Dichtereinsicht indes, dass das Rettende vor allem dort wächst, wo auch Gefahr ist, dekliniert der Regisseur erstmals mit spürbar mehr Lust an der Gefahr durch: Ein süßlich-schwerer Duft, betörend wie Sirenen-Gesang, geht von diesem Film aus. Das entkernte Leben des Mannes im Designer-Sportsakko sieht zu gut aus, als dass es gänzlich verkehrt sein könnte. Alles lockt, alles bietet sich an. Die Wege zum Glück stehen offen und die gedealten Waren des entgrenzten Kapitalismus erfüllen, was sie versprechen: Die Drogen befeuern, die Autos sind schnell, die vielen, zur Rettung des Helden erneut vitalistisch herbeitanzenden Frauen aufreizend und / oder tiefgründig, ein süßlicher Spiritualitätscocktail soll die Seelenscham lindern. Da der existentielle Absturz ausbleibt und die nackten Mädchen immerfort durch champagnerfeuchte Hotelbetten tollen, wandert Christian Bale als Rick mit einem ataraktischen Dauerlächeln durch den Film: Es ist ein etwas schaler Spaß, aber dafür ein großer.
 


Die jeden Erdenwinkel pantheistisch beseelende Lobpreis-Ästhetik, von Malick und seinem großartigen Kameramann Emmanuel Lubezki seit "The New World" (2005) kontinuierlich entwickelt, erprobt sich erstmals an den opaken Texturen zeitgenössischer Urbanität - und wird ausgerechnet darin in ungeahnter Ambiguität bezwingend. "Knight of Cups" ist ein erratisch montierter Bilderstrom aus reflektierenden Glasfassaden, Sichtbeton, Infinity-Pools und riesigen LCD-Reklamen. Ein doppelzüngiges Hohe- und Spottlied auf Los Angeles als jenem Traumort, der seinem Protagonisten wohlständige Lebensfülle und depressive Leere gleichermaßen gegeben hat. In dieser reizvollen Unentschiedenheit entwirft Malick das genaue Gegenteil zu einer Verhöhnung des "schönen Scheins": Die Obdachlosen der Stadt setzt er ins hellste Licht des Films. Zugleich ist das Wasser in den Pools tatsächlich kristallklar, die Palmen sattgrün, der Blick über die Lichter von LA durch bodentiefe Fenster wirklich toll. Dass die Wohnungen dahinter so leer sind, dass selbst Einbrecher in Ricks Apartment sich wundern, weil das kühle Herz des Wanderers an nichts sich hängen möchte, gehört zur anderen Seite derselben Sache.
 
Die vielleicht faszinierendste Sequenz dieses an Faszinierendem reichen Films führt Rick an der Hand einer street-smarten Stripperin (Teresa Palmer) nach Las Vegas, von Malick gefilmt als gäbe es auf Erden keinen schöneren, poetischeren Ort. All die kitschigen Engelsfiguren, Hotelkasernen und Eiffelturm-Nachbauten scheinen in den Neonlichtfluten gen Himmel zu streben wie die geflügelten Platon-Seelen aus dem Off der Flüsterstimmen. Auf dem Höhepunkt dieses glücklichen Plastikzaubers wird der Tod selbst im Rahmen einer irren Party auf dem elektrischen Stuhl durchgebraten. Las Vegas als grandiose Kulturleistung, als Schlummertrunk gegen die Gewissheit, dass sterben muss, was da ist. In Malicks Bildern ist das qualitativ nicht verschieden von den feingeistigen Galerien, die Rick an anderer Stelle mit seiner Teilzeitgefährtin Elizabeth (Natalie Portman) besucht. Beides will gelebt und geliebt sein, kann Authentizität annehmen oder sich verbrauchen, abnutzen und leer werden.
 
Insofern ist "Knight of Cups" auch eine Wanderung durch den notwendigen Schlaf der Todesvergessenheit und das dazugehörige Traumreich. Der Kelchritter beim Tarot-Spiel ist schließlich mit träumerischen Attributen belegt, die Musik verweist immer wieder auf Peer Gynt, Ibsens ewigen Phantasten. Ob Rick wie Letzterem die Erlösung durch die Liebe einer Frau zuteil werden kann, lässt der Film offen. Das Erwachen ist schließlich eine eher einsame Angelegenheit und die Träume stemmen sich besonders in dieser Phase gegen ihr Verschwinden. Hier droht ihr Glanz bereits, dem Träumenden das Atmen schwer werden zu lassen. Kaum zumutbar eigentlich, dass erst am Anfang steht, wer damit durch ist.

Janis El-Bira

Knight of Cups - USA 2015 - Regie: Terrence Malick - Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Natalie Portman, Imogen Poots, Wes Bentley, Michael Wincott - Laufzeit: 118 Minuten.

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Mitten ins Sommerloch des Jahres 1996 platzt eine Reportage des amerikanischen Enthüllungsjournalisten Gary Webb. Die Crack-Epidemie, die in den 1980ern ausgehend von Los Angeles auf das ganze Land (und darin insbesondere auf schwarze Stadtbevölkerungen) übergegriffen hatte, führt Webb in seiner Artikelserie auf das Wirken nicaraguanischer Drogenkartelle zurück, die damals auf den amerikanischen Markt drängten und mit einem Teil ihrer Einnahmen die antisandinistischen Contras finanzierten - laut Webb unter Mitwirkung oder wenigstens unter Duldung des amerikanischen Auslandsgeheimdiensts CIA.

Webbs Reportage, erschienen in einer Regionalzeitung mit überschaubarer Auflage, den San Jose Mercury News, löste in South Central Los Angeles, wo in dem Artikel namentlich genannte Zwischenmänner aktiv waren, einen Sturm der Empörung aus. Bald meldeten andere und angesehenere Zeitungen, allen voran die Washington Post, Vorbehalte an gegen Webbs Recherchemethoden und kritisierten sein Narrativ als vereinfachend und sensationalistisch. Wie immer man Webbs Aufdeckungen - und seinen beruflichen Niedergang infolge ihrer Anzweiflung - beurteilen mag: aus den diversen Untersuchungsberichten, die der CIA und unabhängige Gremien seither zu der Causa vorgelegt haben, geht hervor, dass seine Anschuldigungen wenn nicht in den Details, so doch in groben Zügen zutreffend waren ("There are instances where CIA did not […] cut off relationships with individuals supporting the Contra program who were alleged to have engaged in drug trafficking activity…").
 


Die Geschichte eines Journalisten, der womöglich - wahrscheinlich - Sorgfaltspflichten verletzt, dafür aber weiterführende Ermittlungen in einer Sache angeregt hat, für die sich zu diesem Zeitpunkt niemand außer ihm zu interessieren schien: ein spannender Ausgangspunkt, voller Widersprüche und doppelter Böden. Sollte man meinen. Dass es auch anders geht, zeigt "Kill the Messenger", der ganz der Ehrenrettung des großen kleinen Reporters verschriebene Film zum Fall. Regisseur Michael Cuesta legt ihn als eindimensionalen, fast kolportagehaften Enthüllungsplot an. Der hemdsärmelig-abgebrühte, im Innersten jedoch stets Idealist gebliebene Journalist, vertrauliche Dokumente in der ausgefransten Umhängetasche, beobachtet und bedroht von dunklen Mächten - ob auf lateinamerikanischen Schotterstraßen oder am Fuß des Kapitols - legt nach und nach die Puzzleteile frei, die sich am Ende zum nationalen Skandal fügen werden. Angereichert mit rührseligen Szenen aus Webbs zweitem Leben als Familienvater: ein rasender Reporter als Heldenfigur.
 
Zwar muss die Erzählung, um den wahren Begebenheiten, auf denen sie beruht, genüge zu tun, in Moll-Tonart verklingen: Webb kündigt seinen Job, hat Schwierigkeiten einen neuen zu finden und wird sich, einige Jahre später, das Leben nehmen. Vom persönlichen Scheitern abgesehen, bleibt die Figur jedoch vollkommen unversehrt, souverän und integer noch unter großem öffentlichen Druck. Jede Kritik, jeder Zweifel wird abgewehrt. Webb weiß was er weiß, und wir wissen es mit ihm: truth to power! Von der eingeborenen Erkenntnisskepsis nicht nur des postklassischen Verschwörungsthrillers distanziert sich Cuestas Film so weit, wie das im Rahmen des Genres irgend möglich ist, zuletzt lässt er das Genre hinter sich und wird ganz hagiografisches Biopic. Immer sind es die anderen, denen Zweifel kommen an Webbs Methoden und Zurechnungsfähigkeit, nie ist er es selbst, und nie der Zuschauer. Seine Ermittlungen verlaufen, einem akkumulativen Wahrheitsbegriff folgend, in gerader Linie von einem Indiz zum nächsten; mit den letzten Restbeständen unserer kritischen Vernunft macht ein unangekündigter Besucher kurzen Prozess, ein Kronzeuge-ex-machina, der den in Ungnade gefallenen Webb, von Familie und Kollegen ins Motelzimmer exiliert, eines Nachts aus dem Schlaf weckt, um ihn zu versichern, dass er in allem ganz genau richtig liege.

"Kill the Messenger" ist ein Film mit Programm. Er will Webb posthum recht geben, grundlegend und vollumfänglich, nicht nur in seinen Anschuldigungen gegen den CIA, sondern so ziemlich in allem, was er tut. Trotz des tollen Hauptdarstellers (Jeremy Renner als Fassbinder-Lookalike), vieler bekannter Gesichter in den Nebenrollen und schön körniger, teils auf Film gedrehter Neunzigerjahretexturen: eine flache, blutleere Angelegenheit.

Nikolaus Perneczky

Kill the Messenger - USA 2014 - Regie: Michael Cuesta - Darsteller: Jeremy Renner, Mary Elizabeth Winstead, Rosemarie DeWitt, Bary Pepper, Andy Garcia - Laufzeit: 112 Minuten.