Essay
Glücksversprechen
Von Stefanie Diekmann
08.12.2019. Nicht nur, dass es in vielen dieser Geschichten schneit. Bei Posy Simmonds, Chris Ware, Max Cabanes und Riad Sattouf mischen sich einige Welten, die allesamt eines gemeinsam haben: Sie können dazu beitragen, das Weihnachtsfest unterhaltsamer zu gestalten. Eine Comic-Kolumne
Für alle auf der Suche nach einem Comic, der zu Weihnachten passt und trotzdem biestig ist: "Cassandra Darke" (bestellen), deutsch bei Reprodukt, eröffnet mit einem Wimmelbild aus der Hochphase des Weihnachtseinkaufs und bleibt auch danach auf die Zeit der Lichter und der Familienfeste konzentriert. Was beinahe zwangsläufig bedeutet, dass der Plot der neuen Graphic Novel von Posy Simmonds mit Licht, Friedfertigkeit, familialer Nähe, aber auch mit Schutz und Sicherheit von Seite zu Seite weniger zu tun haben wird. Wenn Simmonds nach "Gemma Bovery" und "Tamara Drewe" mit "Cassandra Darke" ein weiteres Mal Kontakt zur Literatur des 19. Jahrhunderts aufnimmt, dann gestaltet sie den Kontakt zugleich unverbindlich, das heißt: motivisch, episodisch, ohne Interesse an der Erbaulichkeit von Dickens' "A Christmas Carol", an dem ihr Comic punktuell orientiert ist.
Die Kunsthändlerin Cassandra Darke: Betrügerin, Snob, Misanthropin, ist ein Miststück (Simmonds im Guardian: "Women in books aren't allowed to be total rotters", mehr hier). Aber was ihr an Heimsuchung widerfährt, hat mit ihrer Mistigkeit immer nur bedingt zu tun, so wie in Simmonds' Universum die Figuren und die Plots meist auf eine Weise zusammenkommen, die für die Figuren etwas überraschend bleibt. Gezeichnet ist dies auch in "Cassandra Darke" sehr sorgfältig: fein liniiert, mit klaren Konturen und dezenter Kolorierung, übersichtlich auf den Seiten angeordnet und zu einem Szenario gefügt, dessen artige Gestaltung im Gegensatz nicht alleine zur Unartigkeit der Titelfigur steht, sondern auch zu der abgründigen Weltsicht, von der Simmonds' Erzählung grundiert ist. Indes: Erlösung, mag sie unverdient sein oder nicht, bleibt in dieser Weihnachts-geschichte nicht ausgeklammert. Und die Galerie der Comic-Figuren belibt mit Ms. Darke aus Chelsea um ein Wesentliches bereichert.

An der Beschaffenheit der Wareschen Welt hat sich seit "Jimmy Corrigan" (Pantheon Books 1995, Reprodukt 2013) nicht viel verändert. Immer noch ist die Architektur der Seiten kompliziert, ist die Blickführung eine Sache des zweiten und dritten Versuchs; die Panels sind klein und noch kleiner, und jede Seite ist ein Gefängnis, das aus Horizontalen und Vertikalen besteht, zwischen denen die Figuren verharren, als wüssten sie nicht, wohin mit sich, und als wäre an ein Außerhalb nicht einmal zu denken. Die Schönheit dieser Welt ist von ihrem zwanghaften Charakter nicht zu trennen, der Zauber ihrer Farben und Architekturen nicht von ihrer Tristesse. Aber wenn "Rusty Brown", wie bislang jeder Comic von Chris Ware, von traurigen Figuren bevölkert ist, ist er zugleich der erste, der ein Glücksversprechen etabliert, ohne es sofort zurück zu nehmen.

Die destruktiven Energien in "Nada" sind beachtlich, gleich ob es sich um politische, polizeiliche, institutionelle oder um individuelle handelt, was dazu führt, dass der Coup, auf den andere Erzählungen zulaufen, hier eher als der Anfang eines sehr langen Endes figuriert. Cabanes, vielfach ausgezeichnet, hat vor zehn Jahren bereits Manchettes "La Princesse du sang" in einen Comic verwandelt und behandelt die aktuelle Adaption als einen Crossover seiner verstörenden Fantasiewelten aus "Dans les villages" (1976 ff.) und seiner Erinnerungen an die 1960er und -70er Jahre, die Gegenstand anderer Alben sind. "Der Verlag Splitter, sonst auf die Genres Fantasy und Science Fiction konzentriert, hat in diesem Jahr eine Übersetzung von "Nada" publiziert: der versöhnlichen Stimmung gewiss nicht zuträglich, aber eine kluge Adaption, ein schönes Buch und vielleicht die beste Story der Serie noire, die aus dem französischen Krimi einen anderen gemacht hat.

Die Bestandteile dieser Welt sind generisch (Familie, Schule, Freund- und Feindschaften, Turnschuhe, Smartphone etc.), aber wer sich mit den "Tagebüchern" befasst, wird bald feststellen, dass es sich dennoch um eine sehr französische Kindheit handelt, in der die Routinen, Codes, Koordinaten durchaus eigene sind und eine Figur auf spezifische Weise formatiert wird. Französische Kinder lieben Esther, ihre Eltern hätten sie gerne pädagogisch etwas wertvoller, während Sattouf unbeirrt weiter zuhört und zeichnet und in fünf Jahren, wenn er mit "Histoire de mes dix-huit ans" den letzten Band publiziert, die Chronik einer Pariser Jugend fertiggestellt haben wird.
Stefanie Diekmann
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