Essay

Das Zaudernde der Sprache

Von Katharina Hacker
19.11.2015. Wir sollten daran festhalten, die vielfältigen, oft zumindest funktionierenden Formen des Zusammenlebens offenen Auges zu beschreiben, denn diese Beschreibung ist vielleicht, was den gemeinsamen Grund schafft, gegen die Schnelligkeiten des Tötens aufzustehen. Eine Antwort auf Necla Kelek.
Necla Kelek behauptet in der NZZ vom 17. November, der Islam könne nur Religion werden, wenn er sich säkularisiere, die zu Grunde liegenden brutalen Herrschaftsansprüche trenne von dem originär Religösen, das privat bleiben müsse. Ich finde die Gedankenwendung elegant und bedenkenswert, aber ich möchte ihr doch etwas entgegensetzen, nicht auf Grund weiter gehender Kenntnisse oder Einsichten, die ich nicht habe, sondern aus folgender Idee heraus.

Während wir jetzt voller Anspannung darüber debattieren, schreiben, nachdenken, was die Terroranschläge mit dem Islam zu tun haben, sollten wir eines im Kopf behalten.

Von unserer Beschreibung, der schieren Beschreibung dessen, was wir wahrnehmen, hängt weitgehend ab, was wir denken. Fokussiere ich auf die ideologisch-brutalen Elemente des Korans oder der Geschichte, komme ich zu dem Ergebnis, dies, der Islam, Religion oder Ideologie, sei die Ursache politisch brutaler Systeme.

Fokussiere ich auf ökonomische Zusammenhänge, auf Lebensbedingungen von Menschen in sogenannten Parallelgesellschaften oder Gettos, komme ich zu dem Schluss, dass Chancenlosigkeit und beständige Demütigung gepaart mit Ausschluss Menschen zu erschütternder Aggression bringen kann, die sich dann willig mit den Gegenfiguren unserer westlichen Lebensweise verbinden, zumal sie historisch Anlass dazu finden. Man würde auch nachzeichnen, was der ökonomische Gewinn der westlichen Länder aus den Waffenverkäufen an Saudi-Arabien etwa ist.

Meine Argumentation ist offenkundig eine der Relativierung. Wir sollten versuchen, sorgsam unsere Beschreibung zu wählen, im Bewusstsein, dass darin viele Entscheidungen enthalten sind, und aus ihr kenntlich ableiten, was wir allenfalls denken. Diese jeweilige Beschreibung wird uns immer als ein Teil eines größeren Bildes im Bewusstsein bleiben.

Die Vorsicht, das Zaudernde der Sprache ist, glaube ich, was wir der Brutalität entgegensetzen sollten. Jede gute Beschreibung braucht Zeit: Das ist der absolute Gegensatz zu Terror, der Leben auslöscht.

Es gibt in unseren Gesellschaften Organisationsformen, die erlauben, in drängenden Situationen sorgsam zu agieren, nämlich die Gesetze und die Instanzen, die sie anwenden und durchsetzen. Deswegen hat, finde ich, Gustav Seibt recht, wenn er in der SZ schreibt, es gehe überhaupt nicht um Werte im Kontext solcher Anschläge, sondern um Gesetze, die - womöglich rascher und klarer - durchgesetzt werden müssten.

Was die angenommene originäre Gefährlichkeit des Islams angeht, kann ich keine Position beziehen und will es nicht. Die Mehrheit der Menschen, die sich als Muslime bezeichnen, sind indes Menschen, die in Frieden leben wollen, wage ich zu behaupten, nicht nur an wechselseitigem Respekt ein Interesse haben, vielleicht in westlichen Ländern ein besonderes daran, dass sie einmal respektiert werden, sondern auch an Barmherzigkeit.

Wir sollten daran festhalten, Straßen und Wohnhäuser und Schulen und das Verhalten der Menschen miteinander, die vielfältigen, oft zumindest funktionierenden Formen des Zusammenlebens offenen Auges zu beschreiben, denn diese Beschreibung ist vielleicht, was den gemeinsamen Grund schafft, gegen die Schnelligkeiten des Tötens aufzustehen. Das wenn nicht gelingende, so doch vielfach funktionierende Zusammenleben ist, angesichts einer Unzahl alltäglicher, kleiner Zurücksetzungen und Demütigungen etwa von Muslimen, die in Deutschland leben, erstaunlich. Die harschen, rücksichtslosen Rhetoriken sind oft genug ideologisch und gewissenlos.

Katharina Hacker

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Necla Keleks Kommentar in der NZZ zu den Anschlägen in Paris, "Der Islam: Gewalt oder Reform" finden Sie hier.