Bücher der Saison

Krimis

Eine Auswahl der interessantesten, umstrittensten und meist besprochenen Bücher der Saison.
13.11.2019. Mick Herron gibt uns einen Mistkerl vom britischen Geheimdienst, John le Carré und Adam Brookes legen nach. Dror Mishani führt uns und drei Frauen hinters Licht. Selim Özdogan zeigt, dass auch Drogendealer nur dazugehören wollen und Max Annas beweist ein feines Gespür für die Nuancen der Mörder in der DDR.
Unsere Bestelllinks führen auf eichendorff21, den neuen Buchladen des Perlentauchers. Bestellen Sie dort und unterstützen Sie damit den Perlentaucher. Auch bei einer Bestellung über buecher.de bekommt der Perlentaucher eine Umsatzprovision!

Für Krimis und Thriller war dies eine gute Saison! Kann sein, dass es auch an den Rezensenten liegt. Krimis wurden früher kaum besprochen, nun bekommen sie von den Zeitungen eine Vorzugsbehandlung - und eine Krimibestenliste siebt fürs informierte Publikum. Auch der Perlentaucher mischt mit: Wieviele Bücher Perlentaucherin Thekla Dannenberg nach Hause schleppen muss, bevor sie in einer harten darwinistischen Entscheidung nur die fittesten passieren lässt, wissen all ihre Kollegen, die den rückenkranken Postboten - von der Last der Krimisendungen - die täglichen Lieferungen abnehmen. So sieht Heroismus aus!

Sie wird aber auch belohnt, etwa von Mick Herrons Jackson Lamb, selbstverständlich ein unflätiger Mistkerl, der in "Dead Lions" (Bestellen) von seinen Vorgesetzten ins "Slough House" versetzt wird, eine Außenstelle des Geheimdienstes, die passenderweise nach Slow Horse klingt, denn hier sollen die lahmen Gäule vergammeln: die Trottel, die Alkoholikerinnen, die Soziopathen, die Depressiven. So viel vorweg: Keiner sitzt hier zu Unrecht, und niemand wird über sich hinauswachsen. Verspricht also ein interessanter Fall zu werden, bestätigt auch Hannes Hintermeier in der FAZ. Gegen die Droge britischer Geheimdienstromane hilft dann selbstverständlich nur ein weiterer britischer Geheimdienstroman, in diesem Fall "Federball" (Bestellen) des 88-jährigen John Le Carré. Überall wurde er gefeiert. Und überall wurde seine herrliches Gegrantel gegen den Brexit zitiert. Und sein "Federball", eine  Story um einen Oligarchen und einen mutmaßlichen Spion in höchsten Geheimdienstkreisen, ist außerdem noch hoch elegant, versichern die Kritiker.

Nochmal britischer Geheimdienst, aber mit düsterer Färbung: Gefangener 5995 schafft es in "Der chinesische Verräter" (Bestellen), aus einem chinesischen Straflager auszubrechen, wo er als dissidenter Intellektueller fast zwanzig Jahre weggesperrt war. Auf seiner Flucht versucht er, seine alten Kontakte zum britischen MI6 wiederzubeleben. Für Marten Hahn (dlf kultur) gehört Adam Brookes' Thriller zum Besten, was das Genre derzeit hergibt. SZ-Rezensent Felix Stephan lobt die erstaunliche Aktualität, den Whistleblower-Hintergrund, die Schnörkellosigkeit der Erzählung und die Präsenz des Themas Überwachung.

Cover: Wenn Engel brennenCover: Auf einem einsamen WegGut angekommen ist auch Tawni O'Dells Pennsylvania-Roman "Wenn Engel Brennen" (Bestellen), in dem untergründige Feuer nicht nur ein Problem der Kohleflöze sind. In der FR gibt Silvia Staude zu, dass O'Dell harte Kost serviert, versichert aber, dass die Menschen bei allem Elend - Abgehängtheit, Alkoholismus, Missbrauch - auch einfach mal ein Bier trinken gehen. Perlentaucherin Thekla Dannenberg war begeistert vom unsentimentalen Stil der Autorin. In der FAZ schwärmte Hannes Hintermeier von Polizeichefin Dove Carnahan, die versucht, den Hinterwäldlers ein paar Umgangsformen beizubringen. Und in der SZ frohlockt Fritz Göttler über den geheimen Herrschaft der Polizeichefin: "Es ist ein Matriarchat." FR-Kritikerin Sylvia Staude empfahl auch nachdrücklich Louise Pennys Roman "Auf einem einsamen Weg" (Bestellen), dessen Figuren so herrlich verschroben seien wie bei Fred Vargas.

Kaum ein Krimi wurde in dieser Saison häufiger besprochen als Dror Mishanis "Drei" (Bestellen). Aber zunächst ist es kein Krimi, oder er wirkt jedenfalls nicht so. Bis sich herausstellt, dass mehr Frauen als die erste Protagonistin den selben Mann lieben. So wie die Frauen sich auf Gil verlassen, verlässt der Leser sich auf den Autor und wird von seinen raffinierten Manövern hinters Licht geführt, erzählt Alexander Camman in der Zeit. Alle Kritiker kämpften mit der selben Schwierigkeit, keine Pointen zu verraten. Man wird das Buch selber lesen müssen. Obwohl Paulus Hochgatterer eigentlich kein Krimi-Autor ist, weiß taz-Rezensentin Katharina Granzin seinen Roman "Fliege fort, fliege fort" (Bestellen) über die Misshandlung dreier alter Leute und die Entführung eines Kindes in einer beschaulichen Kleinstadt nicht anders zu benennen. Es hanndelt sich wohl auch um eine Milieustudie, Hochgatterer ist im Hauptberuf Psychiater. Für NZZ-Kritiker Paul Jandl entsteht hier "ein kleinstädtisches Gesellschaftspanorama feinster Brutalität", das sich nach und nach zu einem düsteren Bild zusammenfügt.

Ein Krimi im Milieu deutsch-türkischer Jugendlicher, die versuchen, auf schiefer Bahn das Gleichgewicht zu halten. Taz-Rezensentin Rezensentin Julia Wasenmüller ist hin und weg von diesem Roman und vor allem tief bewegt: Wie Selim Özdogan in "Der die Träume hört" (Bestellen) das harte Leben der "Migrant*innen" in Deutschland beschreibt, ihre Träume und Wünsche, hat sie berührt. Die Drogendealer, die hier beschrieben werden, sind gar nicht so unnahbar und gefährlich, wie man glaubt, lernt sie. Sie würden einfach nur gern dazugehören. Thekla Dannenberg freut sich im Perlentaucher, dass sich der Autor von der Drogen und Rap-Ästhetik des Genres nicht einfangen lässt: "Er macht sich die Härte, an die hier alle glauben, nie zu eigen." Max Annas' Krimi "Morduntersuchungskommission" (Bestellen) schließlich muss lesen, wer sich in die Urgeschichte des Rechtsextremismus in Ostdeutschland begeben will: An einer Bahnstrecke nahe Jena wird 1983 eine entstellte Leiche gefunden. Wie ist der junge Mosambikaner zu Tode gekommen? Der Roman basiert auf einer wahren Geschichte, erzählt Perlentaucherin Thekla Danneberg. Sie beschreibt die Schwierigkeit einen Krimi in einer nicht demokratischen Gesellschaft anzusiedeln. Überzeugt hat sie am Ende Annas' feines Gespür für Nuancen, für Tonfälle, für all die Grautöne, die ein realistisches Bild der DDR ergeben: dieses ständige Bemühen, die hehren Ansprüche nicht hohl werden zu lassen, die gezwungene Kollegialität, den mit kleinen Fiesheiten durchsetzten Idealismus. Taz, Zeit, FR, Deutschlandfunk - die Reaktion der Kritiker war insgesamt einhellig positiv.