Richard Flanagan

Goulds Buch der Fische

Ein Roman in zwölf Fischen
Cover: Goulds Buch der Fische
Berlin Verlag, Berlin 2002
ISBN 9783827004772
Gebunden, 459 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Peter Knecht. Mit 12 Abbildungen. "Es war einmal, es war einmal vor langer Zeit, da geschahen furchtbare Dinge, aber sie geschahen an einem fernen, vergessenen Ort, und der ist, wie wir alle wissen, nicht hier, nicht jetzt, nicht wir." Dieser ferne, furchtbare Ort ist Sarah Island, eine Gefängnisinsel vor der Küste Tasmaniens im 19. Jahrhundert, wo der Sträfling, der sich William Buelow Gould nennt, in einer Zelle auf seine Hinrichtung wartet. Dort schreibt er auf gehortetem Papier und mit der Tinte eines Tintenfisches, mit der Flüssigkeit aus dem Rückgrat eines Seeigels oder dem eigenen Blut seine Erinnerungen. Er war ein Fischer und Dieb in London und wurde zu lebenslanger Haft in Australien verurteilt, der Kontinent, auf den Britannien seine Schwerverbrecher verbannte. Der Gefängnisarzt Lempriere erkannte sein malerisches Talent, holte ihn aus der Zwangsarbeit heraus und übertrug ihm die Aufgabe, die vielen Fischspezies Tasmaniens zu malen - im Interesse der Wissenschaft ...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.07.2003

Martin Halter ist zwar durchaus beeindruckt von diesem dritten Buch des Australiers Richard Flanagan, aber für ein Meisterwerk hält er es, im Gegensatz zu einigen seiner begeisterten Kollegen, dann doch nicht. Dafür berührt es ihn einfach nicht genug. Die Figuren sind ihm "in ihrer Bizarrerie zu flach", die Orte des Geschehens zu "kulissenhaft" und das "postmodernen Brimborium" sei "oft nur ermüdend." Immerhin nennt er den Roman "eine ehrgeizige Reflexion über Aufgaben und Grenzen postkolonialer Literatur". Und ein Genuss ist die Lektüre nach Halters Meinung trotz dieses akademischen Anspruchs: "'Goulds Buch der Fische' ist als Fälschung getarnte Wahrheit, aus Abschaum destillierte barocke Schönheit". Das ist doch schon einmal etwas!
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.12.2002

Ganz offensichtlich: ein ambitioniertes Buch. In verschachtelter Weise erzählt es eine Geschichte vom Ende des 18., vom Beginn des 19. Jahrhunderts - und das ganze Zeitalter, das eines des technischen und naturwissenschaftlichen Aufbruchs ist, gleich mit. Im Zentrum steht dabei William Gould, Maler mit der Spezialisierung auf Meeresgetier aller Art, verurteilt als Mörder und Fälscher und in die Strafkolonie Van Diemen's Land geschickt, nach Tasmanien (wo auch der Autor herkommt). Gelehrt ist das Buch, stellt der Rezensent Kolja Mensing fest, voller Anspielungen literarischer Art - Laurence Sternes Tristram Shandy etwa dient erklärtermaßen als eine Art Vorbild -, aber auch mit einer Menge von Bezügen zu den technischen Fortschritten der Zeit. Zwar hat es diesen, oder jedenfalls: einen Maler Gould gegeben (die Fisch-Illustrationen des Buches stammen von ihm), aber mit ihm wie mit anderen Figuren hält sich Flanagan, so Mensing, "nicht an die Regeln des Archivs", erlaubt sich Anachronismen, verwandelt so entschieden Vergangenheitsbeschreibung in Literatur. Und zwar, meint Mensing, in die Sorte Literatur, in die man sich liebend gern hineinflüchtet. In diesem Fall kommt, fügt er hinzu, zum Lesegenuss die edle Aufmachung noch dazu.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.12.2002

Friedhelm Rathjen eröffnet seinen Verriss des Romans mit einem unbarmherzigen Urteil: Diese Buch komme glatte 250 Jahre zu spät, meint er. Sollte der australische Autor außerdem angestrebt haben, mit seinem Buch Rekorde zu brechen, so attestiert ihm der Rezensent, dass er in "keiner einzigen Disziplin als Erster ins Ziel" gekommen sei. Er versucht für die Leser der Kritik die Handlung des Buches aufzudröseln und erklärt, dass das Buch eine Rahmenhandlung hat, in der ein Kunstfälscher ein seltsames "Buch der Fische" findet, das sich vor der geplanten Veröffentlichung in Wasser auflöst, und mindestens vier Binnengeschichten um den Künstler Gould, der in einem Straflager vor der tasmanischen Küste interniert ist. Insgesamt, so der Rezensent schon ein bisschen erschöpft, ergibt sich daraus ein "wüstes Pandämonium" der unglaublichsten Begebenheiten, die in der Menge ermüdend seien. Rathjen sieht in dem Roman vor allem eine "literarische Trickkiste" und eine "monströse Fiktionsmaschine". Ihm scheint zudem, Flanagan versuche die Leser mit einer großen Zahl von literarischen Anspielungen und Zitaten von Melville bis Joyce zu blenden, wobei ihm dies in der Gesamtheit wie die "Verniedlichung der Moderne ins Karikaturistische" vorkommt. Leser, die "Leichtigkeit" und "Unverbindlichkeit" suchen, kommen durchaus auf ihre Kosten, so der Rezensent abschätzig, wer allerdings "das Unbedingte und das Exzessive" erhofft, wird nicht viel Freude haben. Zum Schluss lüftet Rathjen noch das Geheimnis, wie er auf die Verspätungszeit von einem Vierteljahrtausend für diesen Roman kommt: Er fühlt sich nicht nur durch die Abschweifungen und ihre Kommentierung an "Tristam Shandy" erinnert, und dieser Roman Sternes, so der Rezensent bissig, sei schon vor fast 250 Jahren entstanden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.11.2002

Georg Sütterlins Eindruck von diesem Buch ist zwiespältig. Zunächst ist er sehr beeindruckt, ja fast erschlagen von der Menge der Einfälle, der "fulminanten" Sprache und dem "furiosen Phantasieren und Collagieren", die der australische Autor zu bieten hat. Auch die sehr ungewöhnliche und prächtige Aufmachung des Romans, der auf verschiedenfarbigem Papier gedruckt ist, einen grünglitzernden Einband und ein unübliches Hochformat bietet, weckt sein Interesse. Ihm fällt auf, dass sich Flanagan bei seiner Geschichte vom Aquarellmaler Gould, der in einer Strafkolonie in Tasmanien auf seine Hinrichtung wartet, reichlich bei den phantastischen Einfällen lateinamerikanischer Schriftsteller bedient hat. Das ist nicht verwerflich, so Sütterlin, allerdings müsse sich der Autor dann auch an den Werken, aus denen er zitiert, "messen lassen". Seiner Ansicht nach schneidet Flanagan im Vergleich nicht allzu gut ab. Zwar lobt er die "Sprachkraft" des Autors, aber er sieht das Buch in Gefahr, am "Übermaß der kunterbunten Episoden" und am "Mangel an gedanklicher und emotionaler Substanz" zu "scheitern". Vieles werde lediglich "angetippt", und was der Autor mit seinen Ausführungen eigentlich wolle, sei nicht recht auszumachen, so der Rezensent irritiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

Ulrich Sonnenschein hält Richard Flanagans Roman ebenso für ein literarisches Ereignis wie eines der Buchkunst, schließlich sind jedem Kapitel aufwendig illustrierte Fische zugeordnet, diese wiederum in verschiedenen, den Fischen zuzuordnenden Farben gedruckt. Der Buchdeckel sei seegrün und glitzere in fahlem Licht, schwärmt der Rezensent. Flanagan stammt von der australischen Insel Tasmanien, berichtet Sonnenschein, einer ehemals britischen Sträflingskolonie, in der wüste und rasant wechselnde Verhältnisse geherrscht haben. Von einem ihrer Sträflinge, der jenes Fischjournal angelegt haben soll, handelt der Roman, William Gould alias Sid Hammett und einiger anderer Pseudonyme. Flanagan treibe sein postmodernes literarisches Spiel mit der Erzählerperspektive, seiner Erzählfigur, letztlich auch mit seinem Erzählstoff, meint Sonnenschein; "Goulds Buch der Fische" sei ein Roman konstruiert "wie ein potemkinsches Dorf", der immer neue Wahrheiten und Unwahrheiten zu Tage fördere, keiner linearen Handlung folge, schlichtweg unerzählbar und ganz fantastisch sei.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2002

"Was für ein Buch!", beginnt Burkhard Spinnen seine Rezension. Er ist schon von der Aufmachung des Romans, der mit zwölf Aquarellen, einem grün-schimmernden Einband und verschiedenen Druckfarben aufwartet, ziemlich beeindruckt. Die Geschichte scheint ziemlich verwickelt zu sein. Den Hauptstrang bildet die Geschichte des Gefangenen Gould, der auf der Sträflingsinsel "Sarah Island" vom Gefängnisarzt beauftragt wird, ein Buch über der australischen Gewässer zu zeichnen. Goulds - und damit auch Flanagans - Buch enthält jedoch darüber hinaus einen "naturphilosophischen Subtext" der "Entstehungsgeschichte der australischen Kultur aus dem Geiste einer von vertierten Gefängnisaufsehern und ihren Opfern betriebenen Verklärung jenes nachaufklärerisch-industriellen Europas, das sie zuvor ausgespieen und erniedrigt hat", schreibt Spinnen. Das ganze Romanunternehmen ringt ihm einige Bewunderung ab, wollte Richard Flanagan, wie er meint, doch sowohl Schelmenroman als auch ein Stück Geschichte Australiens und eine "Parabel" schreiben. Hier allerdings erkennt Spinnen auch das Hauptproblem des Romans. Der auf Tasmanien geborene Autor wolle einfach "zu viel" und in der ganzen Fülle seiner Einfälle und Reflexionen komme es schließlich zur "wechselseitigen Neutralisierung" der verschiedenen Schichten dieses komplexen Buches. Der Rezensent findet, dass dadurch die Darstellung australischer Geschichte ins "Philosophisch-Allegorische" kippt, die Allegorie dagegen immer wieder in den krassen Realismus "sich überbietender Grausamkeiten". Aber immer noch besser, zuviel zu wollen, meint Spinnen abschließend, als von vorn herein im allzu Seichten zu dümpeln. Und so weiß er es zu würdigen, dass sich der Autor mit diesem Roman vielleicht einfach zuviel vorgenommen hat.
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