Peter Richter

89/90

Roman
Cover: 89/90
Luchterhand Literaturverlag, München 2015
ISBN 9783630874623
Gebunden, 416 Seiten, 19,99 EUR

Klappentext

Sie sind der letzte Jahrgang, der noch alles mitmachen darf - damals in Dresden vom Sommer vor der Wende bis zur Wiedervereinigung: die Konzerte im FDJ-Jugendklub "X. Weltfestspiele" oder in der Kirche vom Plattenbaugebiet, wo ein Hippie, den sie "Kiste" nennen, weil er so dick ist, mit wachsamem Blick Suppe kocht für die Punks und ihre Pfarrerstöchter. Sie sind die Letzten, die noch "vormilitärischen Unterricht" haben. Und sie sind die Ersten, die das dort Erlernte dann im Herbst ྕ erst gegen die Staatsmacht anwenden. Und schließlich gegeneinander. Denn was bleibt dir denn, wenn du zum Fall der Mauer beiträgst, aber am nächsten Tag trotzdem eine Mathe-Arbeit schreiben musst, wenn deine Freundin eine gläubige Kommunistin ist und die Kumpels aus dem Freibad zu Neonazis werden? Peter Richter beschreibt in seinem autobiografischen Roman das chaotische Ende der DDR aus der Sicht eines damals Sechzehnjährigen. Coming of Age im Schatten von Weltgeschichte.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.10.2015

Mit merklicher Begeisterung bespricht Wolfgang Engler, der Rektor der Berliner Schauspielschule Ernst Busch, zwei Bücher mit "schnappschussartigen Rückblenden" in die Zeit der DDR und der Wende, die sich nur notdürftig als Roman kaschieren, nämlich Peter Richters "89/90" und André Herzbergs "Alle Nähe fern". Diese Bücher haben viel Gemeinsames, und viel Trennendes, so Engler. Am besten man liest man sie nacheinander. Beide versuchen in der persönlichen Erinnerung den "Aberwitz des Geschehens" zu spiegeln. Für Richter, der jünger ist, ging's dabei lustiger zu, so der Rezensent. Für ihn war die chaotische Wende "die beste Zeit: Jetzt nur nicht überstürzt erwachsen werden". Ganz anders Herzberg, ein Spross streng kommunistischer Eltern, die ihren jüdischen Ursprung eher verdrängt zu haben scheinen: Für Herzberg ist die ebenfalls in Bruchstücken gereichte Erinnerung dagegen schmerzhaft. Er hatte sich an der DDR mit seiner Punkband Pankow gerieben und hat ihren Verlust dann kaum verkraftet. Der Rezensent ist so bewegt, dass er Herzberg am Ende wünscht , dass dieses Buch - das er wie Richters Pendant wärmstens empfiehlt - therapeutische Dienste geleistet haben möge.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.05.2015

Was sich bereits im Titel als großer Wenderoman annonciert, liefert laut Rezensent Moritz Baßler zunächst einmal vor allem Erwartbares, nämlich übliche Stationen einer DDR-Jugend kurz vor dem Niedergang der Mauer. Autobiografisch eingefärbtes Material also, das der Kritiker in Romanen von Thomas Brussig, Clemens Meyer und Jochen Schmidt allerdings schon besser aufgearbeitet gesehen hat. Zwar lege Richter hier eine quantitativ neue, von vielen Fußnoten gestützte "enzyklopädische Ausführlichkeit" an den Tag, doch werden darin nach Ansicht des Kritikers eher ostalgische Interessen bedient als Erkenntnise geliefert. Heikel findet Baßler das Buch allerdings jenseits der bloßen Anekdotenwerte, wenn es um Aspekte von Gedächtnis und Erinnerung geht: "89/90" eigne hier etwas, von Richter womöglich gar nicht beabsichtigtes "unangenehm Legitimatorisches": Die streng subjektivierte Perspektive entwickle zwar eine erzählerisch intensive Qualität, scheitert aber Baßlers Meinung nach an einer politischen und gesellschaftlichen Erklärung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.03.2015

Ulrich Seidler nervt mitunter der protzig ausgestellte Erfahrungsvorsprung des Autors seinem kindlichen Erzähler-Ich gegenüber. Aber das scheint lässlich, ebenso der Umstand, dass im ganzen Wenderomantext keine einzige Sexszene vorkommt, angesichts von Peter Richters Fähigkeit, recht nüchtern, ironisch und mit melancholischer Grundierung vom Coming-of-Age in der untergehenden DDR zu erzählen. Zwischen Clemens Meyer und dem verschnörkelten Tellkamp ordnet Seidler den Autor und seinen Text ein, liest parallelisierte hormonelle Schübe, Scheitern und gesellschaftliche Brüche, Wehrlagererfahrungen und Gewaltsszenen mit wechselndem, schließlich nachhaltigem Vergnügen, auch wenn die lockere formale Gestalt des Textes ihm recht willkürlich erscheint.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 14.03.2015

Die DDR hat einen Platz in der Literatur gefunden, wenn sie dort auch bisher eher schlecht aufgehoben war, meint Michael Pilz, der mit Thomas Brussigs Büchern nichts anfangen kann, weil er sie hoffnungslos beschaulich findet, Tellkamp ist ihm zu bildungsbürgerlich und Alexander Osang zu lakonisch. Besser gefällt Pilz da schon Peter Richters Roman "89/90", der ohne "Distinktionsgehampel" auskomme und auch nicht gemütlich oder versöhnlich sein wolle. Der Autor erzählt die Geschichte eines jungen Anarchisten, seine eigene Geschichte, dem die "Gnade der gerade noch rechtzeitigen Geburt" zuteil geworden ist, wie es bei Richter heißt, der also beim Mauerfall schon siebzehn Jahre alt war und sich schon ein eigenes Bild von der DDR gemacht hat, das nicht gefilterten Erzählungen entstammt, berichtet der Rezensent. Mit den vielen Fußnoten wirkt Richters Roman zwar ein wenig wie eine Habilitationsschrift, warnt Pilz, aber die Erklärungen dürften den Ost-Leser freuen und für den West-Leser notwendig sein, vermutet der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2015

Oliver Jungen findet das Buch lesenswert. Allerdings hat er allerhand auszusetzen. Peter Richters Blick auf das Dresden von '89/'90, auf eine Jugend zwischen Neonazi-Chic und Jugend-Wehrlager, hat kein Sinn für Spannungsbögen, Figurenzeichnung oder Kohärenz, meint er. Dafür ist es detailversessen, pointilistisch, anekdotenreich und in seiner phänomenologisch interessierten Subjektivität auch unterhaltsam, findet der Rezensent. Als Dresdener Pendant zu Clemens Meyers unlängst verfilmtem Roman "Als wir träumten" taugt es aber nur äußerlich, erklärt Jungen.
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