Norbert Gstrein

Die Winter im Süden

Roman
Cover: Die Winter im Süden
Carl Hanser Verlag, München 2008
ISBN 9783446230484
Gebunden, 288 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Ein Vater und seine Tochter. Er hat sie nach dem Krieg als Kind in Wien verlassen und ist nach Argentinien gegangen, wo er jeden Sinn für die Realität verloren hat. Sie hat jahrelang Abbitte dafür geleistet, dass er im Krieg auf der falschen Seite stand. Jetzt, fast ein halbes Jahrhundert später, kommen beide in ihre jugoslawische Heimat zurück und finden dort ihre Vergangenheit wieder - und die eines ganzen Landes.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.11.2008

Mit großem Interesse hat Rezensent Hans-Peter Kunisch Norbert Gstreins neuen Roman gelesen, den er als ”ungewöhnlichen Kriegsroman” beschreibt, da er als ”Bewusstseinsroman” abgefasst sei. Damit wagt sich Gstrein aus Kunischs Sicht noch näher an die Ursachen des Jugoslawien-Krieges heran als in seinem Buch ”Handwerk des Tötens”. Diesmal stehe jedoch ein Täter im Mittelpunkt, mit dem Gstrein sein ”subtiles aber auch riskantes Spiel” treibe. Als Leser werde man vom hartnäckigen Hang dieses Autors zu ”semantischen Leerstellen” geködert, der eine ebenso konstante wie vage bleibende bedrohliche Stimmung erzeuge. Drei abwechselnde Stimmen treiben Kunisch zufolge die Handlung voran: jener zwielichtige ehemalige Täter aus dem Zweiten Weltkrieg, der immer noch Hass und Ressentiment auf dem Balkan schürt, dessen totgeglaubte Tochter sowie ihr Ehemann, ein linksliberaler Wiener Journalist, der mitunter auch für die rechte Presse schreibt - unter Pseudonym. Das Besondere dieses Romans ist für den Rezensenten jedoch der ”herb-melancholische Sound”, der die Frage nach dem Grund für die Gewalt zwischen den Menschen für den Rezensenten im Verlauf der Lektüre immer dringlicher werden lässt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.09.2008

Ijoma Mangold feiert Norbert Gstreins neues Buch, das wie schon sein letzter Roman hauptsächlich im ehemaligen Jugoslawien spielt, als großen Wurf, der über die "Wirkkraft der Geschichtsbilder" in individuellen Biografien und die "Verlorenheit" des Einzelnen reflektiert. Im Mittelpunkt steht "der Alte", ein ehemaliger Ustascha-Kämpfer, der nach Argentinien geflohen war und nun, nach 1989, hofft, in Kroatien wieder an alte Zeiten anknüpfen zu können. Daneben gibt es seine Tochter Marija, die er als Sechsjährige in Wien bei seiner Flucht zurückgelassen hatte. Sie ist mit einem Alt-68er verheiratet, der ihr gern die Vergangenheit ihres Vaters vorhält. Schließlich kommt noch ein traumatisierter Polizist hinzu, der zum Adjutanten des "Alten" wird und mit ihm in den Kroatien-Krieg ziehen soll. Alle drei Biografien durchzieht eine "innere Leere", die durch die große Geschichte aufgefüllt werden soll, konstatiert der Rezensent gefesselt. Gstrein mache eindrucksvoll deutlich, dass hinter all der "geschichtsideologischen Existenzaufladung", wie es die drei Protagonisten betreiben, eine Leerstelle klafft, so Mangold tief beeindruckt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.08.2008

Keine leichte Kost, der neue Roman von Norbert Gstrein, auch in "Winter im Süden" bleiben die Figuren in ein "streng choreografiertes Seelenballett" eingebunden, aber den Rezensenten Andreas Breitenstein hat dies nicht weiter gestört: Er hat sich dem "grandiosen Sog" hingegeben, in den ihn Norbert Gstrein mit seiner "infinitesimalen Ästhetik" und seinen Figuren von "eigensinniger Eleganz" gezogen hat, von Wien bis Zagreb und Buenos Aires in Zeiten der jugoslawischen Sezessionskriege. Ein ganzes Panorama der weltpolitischen Zerrüttung und inneren Misere sieht Breitenstein von Gstrein aufgemacht: Die in Wien lebende Marija glaubt in einer Zeitungsannonce ihren Vater wiederentdeckt zu haben, einen alten Ustascha-Kämpfer, den sie 1945 auf der Flucht von Kroatien nach Österreich verloren und totgeglaubt hatte. Sie trennt sich von ihrem Freund, einem zynischen Kolumnisten und korrumpierten Alt-68er und macht sich auf nach Zagreb. Es ist tatsächlich der Vater, der mittlerweile in Buenos Aires zu einem Vermögen gekommen ist, aber wie wir Breitensteins Hinweisen entnehmen, nicht unbedingt zu Anstand. Er spielt ein "obszönes Spiel" mit seiner Tochter, allerdings findet sich Breitenstein hier auch vom Autor im Stich gelassen, der nie aufklärt, was es damit auf sich hat. Sehr intensiv findet der Rezensent jedoch die Schauplätze geschildert, das Zagreb des Sezessionskrieges erscheint ihm sehr unheilvoll zwischen "manischer Aufgekratzheit und Starre".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.08.2008

Hundert Seite lang ist dieser Roman, findet der Rezensent Christoph Schröder, "süffig wegzulesen". Und das dem Thema zum Trotz, schließlich geht es um nicht weniger als zwei furchtbare Kriege auf dem Balkan: den Zweiten Weltkrieg und die Jugoslawien-Kriege der Neunziger. Entwickelt wird das an einer Dreierkonstellation. Da gibt es zum einen das - wohl beabsichtigte, mutmaßt Schröder - "Klischee" eines am eigenen Heroismus sich festhaltenden alten Mannes (er heißt im Roman nur "Der Alte"), der nach Lateinamerika ausgewandert ist. Zum anderen ist da dessen Tochter Marija, die in Wien lebt, den Vater für tot hält und ihm in Zagreb begegnen wird. Der Dritte ist ein Ex-Polizist, der jetzt als Bodyguard des Alten tätig ist. Brillant findet der Rezensent, wie Gstrein seine Figuren einführt. Aber dann scheint dem Autor zu seinem Personal wenig eingefallen zu sein, denn: "Es geschieht nichts." Und so steuert, was vielversprechend begann, auf ein eher "banales" Ende zu.