David Grossman

Was Nina wusste

Roman
Cover: Was Nina wusste
Carl Hanser Verlag, München 2020
ISBN 9783446267527
Gebunden, 352 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Es gibt Entscheidungen, die ein Leben zerreißen - Wer könnte eindringlicher und zarter davon erzählen als David GrossmanDrei Frauen - Vera, ihre Tochter Nina und ihre Enkelin Gili - kämpfen mit einem alten Familiengeheimnis: An Veras 90. Geburtstag beschließt Gili, einen Film über ihre Großmutter zu drehen und mit ihr und Nina nach Kroatien, auf die frühere Gefängnisinsel Goli Otok zu reisen. Dort soll Vera ihre Lebensgeschichte endlich einmal vollständig erzählen. Was genau geschah damals, als sie von der jugoslawischen Geheimpolizei unter Tito verhaftet wurde? Warum war sie bereit, ihre sechseinhalbjährige Tochter wegzugeben und ins Lager zu gehen, anstatt sich durch ein Geständnis freizukaufen? "Was Nina wusste" beruht auf einer realen Geschichte. David Grossmans Meisterschaft macht daraus einen fesselnden Roman.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.11.2020

Etwas ambivalent ist diese Besprechung von Thomas E. Schmidt, der hier "Längen" entdeckt und sogar "Kitsch". Dass er trotzdem fasziniert ist: Ja. Aber begeistert? Der Kritiker schaut sich anhand der Geschichte das Verhältnis des Landes Israel zu seinen Menschen und der Menschen zu ihrem Land an. Er fragt, ob aus der "Ort- und Ruhelosigkeit" der Protagonistin Nina - und eigentlich wohl des Unabgegoltenen in der Geschichte - etwas anderen werden kann als der beständige Selbstzweifel - des Zionismus? Das Vexierspiel zwischen Dokumentation und Fiktion wird ihm durch diesen Roman zu einer "fiktionalen Zeugenschaft" des Lesers. Ob dies ein Lob ist, bleibt dem Publikum überlassen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 02.11.2020

Wie manch anderer Rezensent vor ihm - und er ist sich dessen bewusst - kritisiert Christoph Schröder diesen Roman wegen gewisser "Redundanzen", besonders in der Darstellung heftiger Gefühle beziehungsweise ihrer Kommentierung durch die Hauptfiguren. Dennoch ist er des Lobes voll für die Gestaltung der drei Generationen von Frauen umfassende Familiengeschichte und ihres sich darin fortschreibenden Traumas. Den Ausgangspunkt nahm der Roman von der Lebensgeschichte einer engen Freundin des Autors, einer alten jugoslawischen Partisanin, die aus politischer und menschlicher Treue zu ihrem toten Mann ihre Tochter schutzlos lässt, daraufhin selbst auf einer serbischen Gefängnisinsel im Gulag landet und ihre Tochter Nina der Eltern- und Obdachlosigkeit preisgibt. Was die Enkelin viele Jahrzehnte später von der gemeinsamen Reise zu dieser Insel filmisch aufzeichnet gibt Struktur und Erzählfaden, und genau dies, so der Kritiker, führte wohl zu jenen Redunanzen und Überdramatisierungen. Kein makelloses Werk, aber oftmals tief berührend und zudem großartig übersetzt, so sein Urteil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.10.2020

David Grossman ist nicht der erste Künstler, der sich der dramatischen Geschichte von Eva Panic-Nahir und ihrer Tochter angenommen hat, weiß Rezensent Martin Oehlen. Im Vergleich mit einschlägigen Dokumentationen und anderen literarischen Bearbeitungen dieser tragischen Biografie erkennt der Rezensent, dass Grossmann teilweise von der realen Geschichte abweicht beziehungsweise Handlung und Figuren ein wenig geschärft hat, was den Rezensenten jedoch nicht zu stören scheint. Im Roman etwa geht Evas Tochter, die hier Nina heißt, weniger kühl und beherrscht mit der Entscheidung ihrer Mutter um, die ihrer beider Leben geprägt hat: Als ihr Mann nämlich im Gefängnis Suizid beging, stand sie vor der Wahl, ihn als heimlichen Stalinisten auszugeben und damit sich und ihre Tochter zu schützen, oder seine Ehre zu bewahren und die Wahrheit zu sagen. Ihre Entscheidung für ihren Mann und gegen die Tochter wird von Grossman nicht verurteilt. Ja, am Ende empfindet Oehlen nicht nur Verständnis und Mitleid für beide Frauen, sondern auch Sympathie. Ein "großer Roman" ist Grossmans "Was Nina wusste", so der berührte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.08.2020

In diesem Roman reisen einige kompliziert miteinander verbandelte Familienangehörige zusammen auf die ehemalige Gefangeneninsel Goli Otok, um einen Film über die Eckpfeiler der Biografie Ninas zu drehen, deren Mutter früher auf Goli Otok inhaftiert war und die nun viel zu früh an Demenz erkrankt ist, erklärt Rezensentin Eva Behrendt. Feinsinnig erzählt Grossmann ihr zufolge von den Schockmomenten und dem plötzlichen gegenseitigen Begreifen, die die Erkundung der Familiengeschichte bei Nina, ihrer Mutter Vera und ihrer Tochter Gili bewirkt. Ihr Fazit: ein virtuoses Buch über Traumata.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.08.2020

Rezensent Alex Rühle hätte sich weniger Drama gewünscht in David Grossmans Roman über die Geschichte der jüdischen Jugoslawin Eva Panic-Nahir. Deren Leben unter Tito und das ihrer Tochter und ihrer Enkelin wäre auch so spannend genug, meint er. Zumal der Autor gekonnt Fakten und Fiktion mischt, Privates und Geschichte, wie Rühle anerkennt. Auch Grossmans "wunderbare Bilder" für  das Leid und das Trauma der Figuren brauchen laut Rezensent eines ganz bestimmt nicht: Hollywood-Effekte wie die Rühle auf den Nerv gehende Spannungsdramaturgie. Anna Birkenhauers Übersetzung scheint Rühle mitunter besser als das Original, weil der Autor den Ton immer wieder solchen Effekten opfert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.08.2020

Rezensent Andreas Platthaus empfiehlt David Grossmans neuen Roman, um das Unbegreifliche kennenzulernen. Das besteht für ihn etwa in Grossmans Fähigkeit, seine Figuren mit "liebender Härte" zu erfassen, allen voran die starke, witzige Großmutter, laut Platthaus das Herz des Buches, das die Geschichte einer Familie zwischen Kroatien und Israel erzählt, zwischen "jugoslawischer Tragödie" und Besatzungspolitik. Drei Frauengenerationen, ein Schicksal, fasst Platthaus begeistert die Handlung zusammen und weiß nicht, wem er mehr danken soll, dem Autor oder der Übersetzerin Anna Birkenhauer.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 17.08.2020

Carsten Hueck folgt David Grossmans Geschichte dreier Frauen zwischen Israel und Kroatien durch die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Es geht um Liebe, Krieg, Shoah, Kommunismus, Gulag, Hoffnung und Verrat und die Vererbung solcher Erfahrungen durch die Generationen, erklärt der Rezensent. Ein weiter Bogen, den der Autor psychologisch in die Tiefe erweitert, so Hueck. Wie das Ungesagte in der Familie im Verlauf einer gemeinsamen Reise ans Licht kommt, wie Grossman außerdem die Geschichte der kroatischen Kommunistin Eva Panic-Nahir erzählt, feinfühlig und empathisch und in "humorvollen Dialogen", findet Hueck gelungen, zumal in der "kunstvollen" Übersetzung von Anne Birkenhauer.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.08.2020

Dies ist eine Hymne, die Rezensentin Julia Encke auf David Grossmann singt, den sie am Ende ihrer Besprechung den "größten lebenden Schriftsteller" nennt. Die Struktur der Erzählung sei eine ähnliche wie in seinem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht". Wieder spielen Krieg, Liebe und Tod die Hauptrollen, dieses Mal in Jugoslawiens Gulag, und Encke gesteht, dass sie von der kroatischen Gulag-Insel Goli Otok nie zuvor gehört hat. Welche Details es auch seien, aus denen sich die Traumata über mehrere Generationen hinweg zusammensetzen, entscheidend sei bei Grossmann, so die hingerissene Kritikerin, dass im Grunde nur das Erzählen selbst eine Unterbrechung des Schreckens herstellt, dem am Ende sowieso keiner entkommt.