Milovan Danojlic

Mein lieber Petrovic

Roman
Cover: Mein lieber Petrovic
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
ISBN 9783518421802
Gebunden, 311 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Serbokroatischen von Jelena Dabic und Mascha Dabic. Mihailo Putnik und sein lieber Freund Petrovic haben nach dem Zweiten Weltkrieg Hals über Kopf Jugoslawien verlassen und sind in die USA ausgewandert, wo sie erfolgreiche Universitätskarrieren absolviert haben. Als Rentner im fortgeschrittenen Alter kann Putnik jedoch dem Heimweh nicht länger widerstehen und kehrt nach Serbien zurück, in der Hoffnung, endlich Ruhe zu finden und dem Tod gelassen entgegenzusehen.
Es kommt jedoch anders als erwartet. Putnik muss feststellen, dass er im Exil die negativen Seiten seines Heimatlandes ausgeblendet hat und seinen Sehnsüchten und Verklärungen zum Opfer gefallen ist. Von Altersmilde und abgeklärter Gelassenheit kann keine Rede sein: Putnik begegnet dem Provinzialismus und verbohrten Nationalismus seiner Landsleute auf Schritt und Tritt und muss erkennen, dass sein in Übersee mühsam erworbenes intellektuelles und finanzielles Kapital hier nichts wert ist und lediglich Naserümpfen hervorruft. Niemand ist wirklich daran interessiert, seine Ansicht zur Lage des Landes zu hören. Um seinen Freund vor der Nostalgiefalle zu bewahren, schreibt Putnik ausführliche Briefe nach Cleveland, Ohio, in denen er die politische, kulturelle und zwischenmenschliche Wirklichkeit des Landes schonungslos schildert.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.03.2011

Milovan Danojlic, der schon seit vielen Jahren als Lektor und Übersetzer in Poitiers lebt, ist ein komischer und stellenweise sarkastischer Roman gelungen, so Peter Hamm, der weit in der Geschichte der Balkanvölker ausholt, um dann wieder den Bogen zu Mihailo Putnik zu schlagen, dem Protagonisten des in den siebziger und achtziger Jahren spielenden Briefromans. Putnik ist seines Zeichens ein aus den USA nach Serbien zurückgekehrter Schriftsteller und Verfasser der zehn Briefe an Petrovic, den noch in Amerika verharrenden Freund und Landsmann. Putnik verzehrt sich in Liebe und Hass zu seinem Heimatland, er leidet unter dem übersteigerten Nationalismus und der Passivität, die wiederum Hass erzeugt. Schließlich verlagert er sich auf absurd politisierende Kaffeehausgespräche, schwört dem Hass wie der Liebe und bald auch der Literatur ab und gibt sich dem "Summen der Zimmerfliege in den frühen Morgenstunden" hin. In dieser "Apotheose" sieht der Rezensent (Peter Handke zitierend) die vom Autor aufgezeigte Möglichkeit, wie es sich auf dem Balkan dennoch leben lässt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.03.2011

Milovan Danojlics Briefroman, in dem ein 1977 aus dem amerikanischen Exil nach Serbien zurückgekehrter pensionierter Universitätsprofessor an einen Freund in Amerika über das Vorgefundene schreibt, hat Hans-Peter Kunisch begeistert. Hier schwelgt einer von der serbischen Landschaft und verzweifelt gleichzeitig an den Menschen und dem strukturellen Stillstand im Land, stellt der Rezensent fest. Diese Suada eines klugen, scharfen und dabei ausgesprochen "wehmutsgetränkten" Beobachters sieht der Rezensent zudem sehr adäquat in ein etwas antiquiertes, klangvolles Deutsch übersetzt. Wirkungsvoll findet Kunisch auch, dass der Ich-Erzähler seine negativen Betrachtungen von zwei durchaus mit Sympathie geschilderten Gegenfiguren spiegeln lässt, dem Kommunisten Vito Lukic und dem Nationalisten Vuk Paligoric. Was Kunisch allerdings nicht wenig irritiert ist, dass sich der serbische Autor, in den 1980er Jahren selbst ins französische Exil gegangen, rund dreißig Jahre nach der Entstehung dieses Romans in einem Interview mit dem Magazin Regard sur L'Est so gänzlich anders über die Lage Serbiens äußerte. In der Zwischenzeit scheint er sich von seinem "liberal-demokratischen" Ich-Erzähler gelöst und dem Patriotismus seines nationalistischen Figur Paligoric angenähert zu haben, so der Rezensent erstaunt, dem auch ein längeres Telefongespräch mit dem Autor nicht alle Fragen beantwortet hat.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2011

Thomas Kurianowicz rät zu Schopenhauers Philosophie als Beistand für die Lektüre dieses tief traurigen Romans. Der 1938 geborene serbische Autor, der heute in Frankreich lebt, lässt einen 1977 aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Serben an seiner tiefen Nostalgie und dem davon so schmerzlich abweichenden Bild seiner Heimat leiden, erfahren wir. In 5 Briefen, geschrieben zwischen 1977 und 1982, beklagt der Schreiber bitter die moralischen Defizite seiner Mitmenschen, sucht verzweifelt nach der eigenen Identität und geht mit der Entwicklung seines Landes streng ins Gericht. Nicht unproblematisch findet der Rezensent, dass das Serbien-Bild in diesen Tiraden von subjektiven Überzeichnungen und Klischees geprägt ist. Der deutschsprachige Leser sollte das unbedingt als Ausdruck der "ambivalenten, kritisch hinterfragenden Beziehung" zu seinem Heimatland verstehen und nicht als realistische Zeichnung Serbiens und der Serben, mahnt Kurianowicz.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.03.2011

Voll des Lobes ist Rezensentin Ilma Rakusa nach der Lektüre des Briefromans "Mein lieber Petrovic". Die Geschichte um Putnik, der nach einem erfolgreichen Leben in den USA in seinen serbischen Heimatort zurückkehrt und seinem Freund Petrovic in langen Briefen von den heimatlichen Missständen berichtet, erscheint Rakusa als "rhetorisches Feuerwerk voller Komik, Polemik und Wehmut". Auf liebevolle Weise ereifere sich Danoljlic, der Serbien selbst verließ, in dem 1986 erschienenen Roman über "nationaltypische" Eigenschaften wie serbische Untätigkeit, Arroganz oder Gekränktheit, geschildert in "glänzenden Porträts" der Bewohner einer Kleinstadt. Zugleich berichte er aber auch in poetischen Formulierungen von der idyllischen Natur, den Pflaumenbäumen und dem Wiesenhonig. Oszillierend zwischen Reflexionen von "luzider Schärfe" und "lyrischer Evokation" charakterisiere dieser Roman die Zerrissenheit vieler Migranten, so die zufriedene Kritikerin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.12.2010

Im Original 1990 erschienen, nimmt der Roman von Milovan Danojlic die Rezensentin mit zu den Urgründen des Scheiterns einer südslawischen Gemeinschaftlichkeit: Die serbische Mentalität, die Resignation angesichts von bürokratischer und politischer Willkür, die Bequemlichkeit, der Stillstand und schließlich der Verfall. Renate Wiggershaus findet all das in den Monologen des in die USA emigrierten und voller Hoffnung in sein Land zurückkehrenden Helden und dem ihm begegnenden allerdings "typisierten" Personal des Romans wieder. So resignativ des Autors karikatureske Selbstkritik Wiggershaus auch erscheint, so wahr klingt sie in ihren Ohren.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.11.2010

Doris Akrap begrüßt sehr, dass dieses Buch zehn Jahre nach seinem Erscheinen im Original nun endlich in deutscher Sprache zu lesen ist. Der aus zehn Briefen bestehende Roman, die ein serbischer Emigrant (und pensionierter Hochschullehrer aus den USA an einen zurückgeblieben Freund schreibt, hat ihr wichtige Einblicke in serbische Seelenlagen vermitteln können. Nicht nur, dass sie die Emigranten-Erkenntnis des Briefschreibers mit einiger Bedrückung zur Kenntnis nimmt, für Leute wie ihn könne es kein richtiges Leben geben. Auch die Schilderungen der Misere, die er in Serbien verließ und der Misere, in die er in der US-Provinz geriet, beeindrucken sie sehr. Die vom Roman geschaffene Atmosphäre muss außerdem Züge eines Jarmusch-Films haben, wie die Beschreibung der Kritikerin schließen lässt.