Kurt Flasch

Die geistige Mobilmachung

Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg. Ein Versuch
Cover: Die geistige Mobilmachung
Alexander Fest Verlag, Berlin 2000
ISBN 9783828601178
gebunden, 448 Seiten, 34,77 EUR

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.06.2000

Wenn der herausragende Philosophiehistoriker des Mittelalters Kurt Flasch eine Untersuchung über die Kriegsbegeisterung der Philosophen im Jahre 1914 veröffentlicht, sind die Erwartungen hoch. So ganz haben sie sich für den Rezensenten Bernd Ulrich nicht erfüllt. Er bemängelt, dass Flasch der Textmassen, auf die die Bibliografie mit ihren 13000 Titeln hinweist, nicht Herr geworden ist. Es bleibe oft bei "Andeutungen und wenig koordinierten Vertiefungen". Zudem werde die mittlerweile umfangreiche Sekundärliteratur zum Thema kaum in Betracht gezogen. Zuletzt aber findet Ulrich an der Methode des "bewusst Kunterbunten" doch Gefallen: das Eingeständnis Flaschs, die "objektiv begründete Desorientierung" nicht unter Kontrolle bringen zu können und zu wollen, wird Ulrich zum Ausweis von Souveränität und das Serielle der Vermittlung zum Vorgriff auf die geplante CD-Rom mit dem vollständigen Material.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.05.2000

In einem ausgreifenden Essay stellt Uwe Justus Wenzel dieses Buch zusammen mit Jeffrey Verheys "Der `Geist von 1914` und die Erfindung der Volksgemeinschaft" (Hamburger Edition) vor. Dabei beginnt er mit dem Buch von Verhey.
1) Jeffrey Verhey: "Der `Geist von 1914`"
Wenzel betont, dass das "Augusterlebnis", die angebliche kollektive Kriegsbegeisterung der Deutschen zu Beginn der Ersten Weltkriegs, bei Verhey eher als eine nachträgliche Konstruktion denn als eine tatsächliche Begebenheit erscheint. Ebenso weit verbreitet seien 1914 Angst und Skepsis vor dem Krieg gewesen. Die gemeinschaftliche Ergriffenheit vor dem Krieg entlarve Verhey vielmehr als eine Ergriffenheit jener, die über sie schrieben und sie feierten - also besonders der Akademiker und der Intellektuellen. Im Lauf des Kriegs werde "der Geist von 1914" dann immer mehr aus Propagandazwecken beschworen. Wenzel begnügt sich in seiner Kritik mit einer Skizzierung des Inhalts von Verheys Buch, ohne es näher zu bewerten. In jedem Fall meint er, in diesem Buch "eine erste Gesamtdarstellung jenes Phänomens" vor sich zu sehen.
2) Kurt Flasch: "Die geistige Mobilmachung"
Flasch porträtiert für den Rezensent mehr als Verhey die "tatsächlich Begeisterten" - also große Teile der deutschen intellektuellen Elite. Zwar erinnert Wenzel daran, dass es zum Thema bereits Studien gibt - er verweist auf Bücher von Herrmann Lübbe und Helmut Fries -, aber "dennoch lohnt die Lektüre", selbst wenn dieses Buch "manchen Zug eines verwitterten Vorlesungsmanuskripts" trage und nicht vollendet worden sei. Wenzel betont, dass Flasch vor allem erzählen will und darum auch eine gewissse Buntheit seines Inhalts in Kauf nimmt. Eine These habe Flasch dennoch: Die intellektuelle Produktion habe der "Sinngebung des Sinnlosen" gedient. Dabei äußert Flasch nach Wenzel einen fundamentalen Zweifel an der Philosophie, dem der Rezensent nicht folgen mag.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.04.2000

Tillmann Bendikowski rühmt den Versuch des Bochumer Philosophen Kurt Flasch, der eigenen Zunft auf die Füße zu treten, die bislang nämlich zur Rolle der deutschen Philosophen als "geistige Mobilmacher" im ersten Weltkrieg schwieg. Flasch hat dafür Beiträge deutscher Philosophen und Intellektueller von Troeltsch bis von Harnack, von Scheler bis zu Hugo Ball analysiert und dabei auch die "intellektuelle Kehrtwende" von 1916/17 berücksichtigt. "Ein verdienstvolles Unterfangen", schreibt Bendikowski, ohne auf die verschiedenen Positionen im einzelnen einzugehen, aber "nicht eben geschmeidig zu lesen" und auch argumentatorisch nicht immer überzeugend miteinander verknüpft.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.03.2000

Flaschs Darstellung über die Einstellung der deutschen Intellektuellen zum ersten Weltkrieg vermag Thomas Karlauf nicht zu begeistern. Er attestiert dem Autor zwar, Ordnung in die zu bewältigenden Textmassen gebracht zu haben, sieht in dem Ergebnis jedoch noch zu stark den "Zettelkasten" durchscheinen, als dass ein rundes, in seiner Darstellung stringentes Buch dabei herausgekommen wäre. Karlauf kritisiert die ungeklärte Verwendung des Begriffs des `Intellektuellen` und bemängelt das "rein akademische Interesse" der Studie. Die Textauswahl ist ihm zu einseitig, und er vermißt eine breitere Aufnahme von Quellen aus Literatur und Kunst. Die Diskrepanz zwischen dem trockenen akademischen Text Flaschs und den vom Verlag beigegebenen Fotos, die das massenhafte Sterben in den Schützengräben dokumentieren, findet Karlauf schlechterdings skurril.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.03.2000

Armin Adam war von dem Buch so bewegt, dass er sich in seiner Kritik ein bisschen zu sehr auf erregte Nacherzählung beschränkt. Immerhin macht er zunächst darauf aufmerksam, dass Flasch eigentlich als Kenner der antiken und mittelalterlichen Philosophie gilt. Hier hat er nun Tausende von Reden von deutschen Professoren und Intellektuellen zum Ersten Weltkrieg ausgewertet, und zu Tage kommen politische Dummheit und Verblendung - Adam warnt, dass man nicht immer eine Politisierung deutscher Intellektueller fordern solle, denn was passiert, wenn deutsche Intellektuelle sich politisierten, das könne man hier als Abgrund bestaunen. Es fällt dem Rezensenten auf, dass die deutschen Professoren in ihren Kriegsreden - "säkularisierten Predigten" - gern das Ende der Individualität feierten, die intellektuelle Beschönigung des ersten technischen Massensterbens im letzten Jahrhundert gewissermaßen. An Flasch lobt Adam gerade, dass er sich manchmal nicht beherrschen kann und den salbadernden Intellektuellen böse Zwischenrufe hinterherschickt. Zum Aufbau des Buchs sagt Adam wenig, außer dass sich Flasch in der ersten Hälfte einzelnen Geistesgrößen zuwendet. Nebenbei bemerkt Adam, dass dies auch ein wichtiges Buch zur deutschen Universitätsgeschichte sei.
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