Herbert Kapfer

1919

Cover: 1919
Antje Kunstmann Verlag, München 2019
ISBN 9783956142833
Gebunden, 440 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

1919. Deutschland unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Aufstände. Räterepubliken. Freikorpskämpfe. Versailler Vertrag. Dolchstoß, politischer Mord, Revanche und Nazismus: Hätte Geschichte anders verlaufen können? Soldaten, Rückkehrer, Revolutionäre, Minister, Freikorpskämpfer, Gymnasiasten, Matrosen, Monarchisten, Vertriebene, Verliebte, ein Vagabund, eine Zeitungsverkäuferin: In ihren Geschichten präsentieren sich die tausendfachen Probleme einer Zeit, die von den Explosionen des Krieges erschüttert und von der katastrophalen Niederlage geprägt ist, von Hunger, Massenelend und Kriegsgewinnlern, von fanatischem Nationalismus und sozialrevolutionären Ideen, von militärischer Gewalt und Fantasien freier Liebe. In "1919" fließen Hunderte von Splittern, Szenen und Handlungsverläufen aus zeitgenössischen Romanen, Berichten und Aufsätzen zusammen. Ein Erzählstrom in 123 Kapiteln, der aus den Ideen und Kämpfen der Zeit schöpft, aus trivialen, völkischen, utopischen, dadaistischen, reaktionären, politischen, literarischen und fotografischen Quellen. Ein Spiel mit historischen Möglichkeiten und literarischen Figuren, imaginierten Geschichten und realen Ereignissen, kollektivem Wahn und individuellen Wirklichkeiten.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 21.05.2019

Samuel Hamen liest Herbert Kapfers Collage mit Gewinn. Die zahllosen Quellen, die der Autor aneinandermontiert, ohne Kommentar, dafür mit Informationen zu Autor, Titel und Publikationsjahr, eröffnen Hamen eben keine eindeutige Perspektive auf das Geschehen um 1919, sondern ein "fraktales" Panorama der Meinungen und Ideen des Revolutionsjahres, das sich der Leser weitgehend selbst erschließen soll. Das von Kapfer laut Hamen geschickt aufeinander abgestimmte Nebeneinander von Fiktionalem wie Nathanael Jüngers Roman "Volk in Gefahr" und Nichtfiktionalem wie Gustav Noskes geschichtliche Studien bietet dem Leser laut Rezensent "rohe Evidenz" ganz ohne Kommentar. Dass der Arrangeur Kapfer nur ganze zwei Autorinnen in sein Archiv aufnimmt, hält Hamen allerdings für etwas armselig. Der multiperspektivische Blick auf das Vergangene wird hier unnötigerweise getrübt, meint er.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.04.2019

Ulrich Rüdenauer bekommt mit Herbert Kapfers Stimmen-Collage einen veritablen Zeitroman. Die Bruchstücke aus laut Rüdenauer größtenteils vergessenen Aufsätzen, Fotos, literarischen Texten von Soldaten, Arbeitern, Schriftstellern (wie Oskar Maria Graf oder Richard Huelsenbeck), die das Revolutionsjahr 1919 reflektieren, kann der Autor zu einer Art experimentellem Roman zusammenfügen, der zwar deutlich zur Kolportage neigt, aber den Geist der Zeit genau abbildet, wie der Rezensent staunend feststellt. Desillusion, Überschwang und Fantastik des "Epochenbruchs" werden für Rüdenauer deutlich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.03.2019

Andreas Platthaus ist baff. Dass Herbert Kapfer in diesem Buch kaum ein Wort selbst geschrieben hat, findet er famos. Dass dennoch eine höchst spannende, kunstvolle, ja fiktive Lektüre herausgekommen ist, scheint ihm erstaunlich. Wie das? Platthaus nennt Kapfers Herangehensweise an das Jahr 1919 eine Collage, generiert aus einem Haufen fiktionaler Texte, Romanen vor allem, von zeitgenössischen Autoren wie Oskar Maria Graf, Ernst Toller, Hugo Ball und vielen anderen. Das Vertrauen auf die "Wirklichkeitsanbindung" der Texte trägt laut Platthaus Früchte. Leitmotive wie den Untergang, literarische Neuentdeckungen, ungeahnte Themenbögen, Umwertungen und Anschlüsse zwischen Figuren, Orten, Zeiten entdeckt der Rezensent en masse. Nicht weniger spannend lesen sich laut Platthaus auch die Textnachweise im Anhang.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.02.2019

Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit, lautet ein bekannter Sinnspruch. Nach Rudolf Walthers Besprechung von Herbert Kapfers Textcollage "1919 - Fiktionen" möchte man fast sagen: Sie ist auch sein letztes. Der Hörspielredakteur und Publizist hat für diesen Band dokumentarische und fiktionale Texte über den Ersten Weltkrieg aus den Jahren 1919 und 1938 gesichtet und daraus Zitate zusammengestellt, die in dieser Engführung laut Walther beeindruckend belegen, was die Form der Collage zum historischen Erkenntnisgewinn beitragen kann. Auf allen Seiten des politischen Spektrums - wenngleich auf der rechten Seite prägnanter als auf der linken - beobachtet Walther mit Kapfer fantasievollsten Wildwuchs: Fake News, pathetisch-todestrunkene Traueranzeigen, kuriose Fehleinschätzungen, gezielt lancierte Gerüchte oder blumigste revanchistische Fantasien im Gewand früher Science-Fiction-Romane - zwischen 1919 und 1938 war offenbar kein Gedanke über den Ersten Weltkrieg zu absurd, um nicht doch jemanden zu finden, der ihn dankend in Umlauf brachte. Beobachten lasse sich in Kapfers Buch demnach eine "Spirale der Überbietung", die den Ersten Weltkrieg im Rückblick "in eine Wahnsinnsmaschine verwandelte", so Walther.