Henri Thomas

Das Vorgebirge

Roman
Cover: Das Vorgebirge
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518224311
Gebunden, 128 Seiten, 12,80 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Paul Celan. Ein Übersetzer verbringt die Sommerferien mit Frau und Tochter in einem kleinen Dorf auf Korsika. Seine unsichere berufliche Situation und der rätselhafte Tod eines blinden Mädchens stürzen ihn in Verwirrung. Frau und Tochter fahren ab, er bleibt mit seiner Verwirrung zurück und merkt, wie er abrutscht in ein anderes Leben, das ihm angst macht, obwohl es ihn beglückt. Er hat zu schreiben begonnen, aufzuschreiben, was ihm widerfährt. Henri Thomas, geboren 1912 in den Vogesen, gestorben 1993 in Paris, Schüler von Alain, befreundet u.a. mit Andre Gide und Jean Paulhan, veröffentlichte 1961 den autobiographisch grundierten Roman Le Promontoire [Das Vorgebirge], kurz nachdem er Paul Celan kennengelernt hatte. Celan übersetzte einen Großteil sehr rasch; dann scheiterte die Weiterarbeit an Vertragsverhandlungen mit dem Hanser Verlag , der das Werk 1963 in einer Übersetzung von Elmar Tophoven herausbrachte. Barbara Wiedemann hat Celans Arbeit für die Erstveröffentlichung ediert, vervollständigt und mit einem Nachwort versehen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.09.2008

Als eine der "ungewöhnlichsten und aufregendsten Neuerscheinungen" begrüßt Angelika Overath diese Ausgabe von Henri Thomas' in Frankreich 1961 erschienenem Roman "Das Vorgebirge" in der Übertragung von Paul Celan. Sie würdigt die Arbeit der Celan-Editorin Barbara Wiedemann, die den Roman in Celans Nachlass - fast vollständig übersetzt - aufgefunden, das Fragment "behutsam" bearbeitet und das fehlende Ende selbst hervorragend übersetzt hat. Für Overath verbindet sich mit dieser Neuerscheinung die Hoffnung auf den Durchbruch des in Deutschland bislang nahezu unbekannten Schriftstellers Henri Thomas. Ausführlich erzählt sie den Inhalt des Romans über einen Übersetzer im winterlichen Korsika nach. Sie liest das Buch als Erzählung über die "Genese eines Schriftstellers" und als "Geschichte eines Ausgesetztseins". Die Besucher und Bewohner des korsischen Dorfes erscheinen ihr wie Figuren eines "kleinen Welttheaters", in dem der Tod eine entscheidende Rolle spielt. Overath berichtet schließlich über die Begegnung von Thomas und Celan und stellt die Vermutung, dass dieser in diesem Text mehr gesehen habe als die Arbeit eines anderen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.08.2008

Rezensent Joseph Hanimann kann die Idee des Suhrkamp Verlags nur begrüßen, Paul Celans nie ganz fertig gestellte Übersetzung dieses Romans von Henri Thomas zu ergänzen und zu veröffentlichen. Celan hatte den 1961 im Original erschienen Roman "Das Vorgebirge" zu übersetzen begonnen, sich dann aber mit dem Hanser Verlag überworfen und mit der Arbeit aufgehört. Aber nicht nur weil die Übersetzung von Celan ist und damit eher am inneren Klang als am Original ausgerichtet, ist der Rezensent über diese Edition glücklich. Auch dem Roman selbst kann er viel abgewinnen, wovon eine Zusammenfassung der Handlung aber nur eine schwache Ahnung geben könne: Viel mehr als der Rahmen - es wird viel gestorben in diesem abgelegenen Nest, vor allem unter den Frauen - interessiert den Rezensenten aber, wie "sachlich scharf" Thomas erzähle, dabei die "voraus- und zurückspringenden Begleithandlungszotteln schlenkern" lasse und immer wieder ins Absonderliche abdrifte. Das, findet Hanimann, sei "besser als Nouveau Roman".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.07.2008

Rezensent Leopold Federmair begrüßt es sehr, dass Paul Celans Übersetzung von Henri Thomas' Roman ein halbes Jahrhundert nach ihrem Entstehen endlich erschienen ist. Ausführlich geht er auf die Geschichte dieser unvollendeten Übersetzung ein, die Celan 1962 abgebrochen hat und die nun von Barbara Wiedemann "sehr behutsam und eher im Geiste Celans als Thomas'" zu Ende geführt worden sei. Was in gewissem Maß auch für diese Besprechung gilt, die sich mehr für Celan als den französischen Autor interessiert. Gleichwohl wird auch das Buch gelobt, das Federmair als "hervorragende Einführung" in das Werk des hierzulande noch zu entdeckenden Autors beschreibt. Es bestehe aus "Dorfgeschichten und Dorfgerüchten", spiele auf der "nicht ganz idyllischen" Insel Korsika und bilde beim Aufschreiben auch den Schreibprozess ab. Den Rezensenten beeindrucken besonders die rätselhafte, schneidende Klarheit, mit der hier mitunter erzählt wird, ein "dunkel-orpheischer Sänger" sowie eine merkwürdige Todespräsenz. Gute Noten erhalten auch das Nachwort der Nach-Übersetzerin, ihr Anmerkunsapparat und ihre editorische Arbeit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.07.2008

Da man dem umfangreichen Werk des 1993 gestorbenen französischen Autors Henri Thomas in Deutschland von verlegerischer Seite nur "halbherzig" begegnete, freut sich Thomas Laux über diese deutsche Übersetzung von dessen Roman "Das Vorgebirge", die, wie er informiert, zu drei Vierteln von Paul Celan stammt. Ein Ich-Erzähler, mit Frau und Kind im Urlaub auf Korsika, berichtet vom plötzlichen Tod der Wirtin einer Nachbarpension, deren blinde Schwester fünf Jahre zuvor ermordet worden war, genau an der Stelle, an der die Frau des Erzählers bei einem Badeunfall ums Leben kommen wird. Soweit die Handlung des Buches. Anhand der verschlungenen Überlegungen, Reflexionen und Mutmaßungen des Erzählers erlebt man als Leser quasi die Entstehung des Romans selbst mit und wird zugleich zu dessen "Hermeneuten", so Laux fasziniert. Eingehend befasst sich der Rezensent mit der Geschichte der deutschen Übersetzung, die von Herausgeberin Ursula Wiedemann, die das letzte Viertel des Buches selbst übersetzt hat, ausführlich referiert wird: nachdem Paul Celan den Hauptteil des Romans übertragen hatte, gab er das Vorhaben wegen einer ihm untragbar erscheinenden Vertragsklausel auf, und der Auftrag ging dann an Elmar Tophoven, dessen Übersetzung 1963 erschien. Laux stellt in seinem Vergleich der beiden Übersetzungen lobend fest, dass Celan, auch wenn er mitunter etwas übertrieben "sublim" wird, grundsätzlich den richtigen Ton trifft, bei einer beeindruckenden Freiheit gegenüber dem französischen Original.