Gregor Thum

Die fremde Stadt

Breslau 1945
Cover: Die fremde Stadt
Siedler Verlag, München 2003
ISBN 9783886807956
Gebunden, 640 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Breslau hat im Laufe seiner Geschichte viele Herrscher gesehen. Aber nur 1945 folgte auf die Verschiebung der Staatsgrenzen ein vollständiger Bevölkerungsaustausch. Die Deutschen wurden aus Breslau vertrieben und durch Polen ersetzt, von denen viele ihrerseits Vertriebene aus dem an die Sowjetunion gefallenen Ostpolen waren. Für die meisten Ansiedler blieb Breslau lange eine fremde Stadt, die, so die verbreitete Furcht, früher oder später wieder an die Deutschen fallen würde. Noch bis in die fünfziger Jahre war die beim Kampf um die »Festung« Breslau in den letzten Kriegsmonaten zerstörte Stadt eine Trümmerwüste. Doch im diplomatischen Ringen um die Oder-Neiße-Grenze war Breslau von so herausragender politischer Bedeutung, dass der polnische Staat und seine Gesellschaft in gemeinsamer Anstrengung darangingen, Breslau wieder aufzubauen und zu einer glänzenden Metropole zu machen. Der Autor schildert, wie sich der Bruch von 1945 aus der Perspektive Breslaus ausnahm, wie man aus einer deutschen eine polnische Stadt zu machen versuchte und wie sich dies im Stadtbild niedergeschlagen hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.12.2003

Der in Pittsburgh lehrende Historiker Gregor Thum erzählt seine Geschichte der Stadt Breslau, die Anfang des Jahres 1945 einen "vollständigen Bevölkerungsaustausch" erfuhr, mit "großer Akribie und dem Willen zu Fairness", lobt Peter Glotz in seiner Besprechung. Mit "souveräner Sachkenntnis und Empathie für die von den Deutschen überfallenen und von den Russen bedrängten Polen" schildere Thum, der deutsche, polnische wie russische Quellen bearbeitet hat, die polnische Politik, die vor der Hürde stand, aus der Jahrhunderte lang deutschen Stadt in kürzester Zeit eine polnische zu modellieren. Dazu habe sie mit der Erfindung der Dynastie der Piasten, die angeblich seit dem 10. Jahrhundert für die Westorientierung der Region stand, erfolgreich eine politische Tradition geschaffen, die für die Bewohner Breslaus elementare Bedeutung erlangt habe, erläutert der Rezensent die Argumentation Thums. Doch hier schieße der "mitleidende Historiker" mit seiner Interpretation über das Ziel hinaus, kritisiert Peter Glotz, schließlich rechtfertige er damit "eine Mythisierung, die auf Lüge baut".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2003

Rezensent Adam Krzeminski erblickt in Gregor Thums "Die fremde Stadt" eine "vorzügliche", "glänzend recherchierte" Biografie der Stadt Breslau nach 1945. Gerade für deutsche Leser könne Thums Schilderung des Sterbens, des Scheintods, des Wiedererwachens und der heutigen Vitalität der Stadt eine "spannende Lektüre" sein. Das begründet Krzeminski damit, dass Thum Fakten, die immer noch stark emotionalisiert werden, "sehr gelassen und präzise" darstellt und dazu noch "sehr gut und anschaulich" schreibt. Seines Erachtens legt der Autor mit seinem Buch den Beweis dafür vor, "dass die Zeit der Historisierung und einer unparteiischen, grenzüberschreitenden, also 'europäischen' Analyse gekommen ist." Dabei erweist sich Thum zur Freude des Rezensenten auch bei der Darlegung von "heiklen Problemen" stets als "einfühlsam und kenntnisreich". Nicht zuletzt hält er dem Buch zu Gute, dass man nach der Lektüre die polnischen Breslauer "wirklich besser verstehen" und "vielleicht sogar mögen" könne.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Fremd war die Stadt Breslau für seine neuen Bewohner nach 1945, die aus Ostpolen herüberkamen, um die Stadt mit den deutschen Straßenschildern und den evangelischen Kirchen, so sie denn noch standen, in Besitz zu nehmen - menschliche Manövriermassen des Potsdamer Abkommens, die nun rasch zu angestammten Bürgern der polnischen Stadt Wroclaw werden sollten. Doch polnisch, erläutert Cord Aschenbrenner, war Breslau nur im Mittelalter, deshalb habe sich Gregor Thum in seinem "bemerkenswerten Buch" der Frage angenommen, wie es gelang, Breslau als Wroclaw quasi neu zu erschaffen und dabei den Gedanken einer tiefen Verwurzelung lebendig werden zu lassen: "Welche Traditionen und Kontinuitäten mussten erfunden, konstruiert werden, wie musste das kulturelle Gedächtnis manipuliert werden, um eine höchst heterogene Bevölkerung (...) mit ihrer Stadt eins werden zu lassen?" Die Beantwortung dieser "mentalitätsgeschichtlichen" Frage, die Beschreibung der "Gedächtnispolitik", die 1989 abbrach, sei das Faszinierende an Thums Studie, der Aschenbrenner eine "rasche Übersetzung ins Polnische" wünscht - aber dann bitte mit einem Register und weniger Fehlern im Satz.