Ernst Jünger

Strahlungen

Die Tagebücher des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit (1939-1948)
Cover: Strahlungen
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2022
ISBN 9783608981551
Gebunden, 2388 Seiten, 199,00 EUR

Klappentext

Dreibändige Ausgabe. Jüngers eigenhändig publizierte Tagebücher der Kriegs- und Nachkriegsjahre umfassen insgesamt sechs Teile: "Gärten und Straßen", "Das erste Pariser Tagebuch", "Kaukasische Aufzeichnungen", "Das Zweite Pariser Tagebuch", "Kirchhorster Blätter" sowie "Jahre der Okkupation" (später "Die Hütte im Weinberg"). Sie erschienen in den Jahren 1942, 1949 und 1958 als literarisierte Überarbeitungen der Originaltexte. In der dreibändigen Edition werden die ursprünglichen Aufzeichnungen aus der Handschrift ohne die geringste Auslassung wiedergegeben und durch einen umfangreichen Stellenkommentar sachlich erläutert. Zugleich werden alle nachträglichen Bearbeitungen sichtbar gemacht. So kann erstmals nachvollzogen werden, wie Jünger seine Notate stilistisch schärfte oder durch Fakten und Verweise anreicherte, um für seine Leserschaft nicht nur als Chronist der Zeitgeschichte, sondern als deren Interpret in Erscheinung zu treten. Zugleich wird deutlich, mit welch stilistischer Brillanz Jünger seine präzisen Beobachtungen zu fassen wusste und welchen Einfluss der reiche Lektürehintergrund des Homme des Lettres auf seine Reflexionen ausübte.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 19.12.2022

Rezensent Helmut Böttiger staunt über die Konjunkturen, die Ernst Jünger wieder einmal ins Augenmerk des Feuilletons spülen. Er selbst hätte ihn spätestens seit Klaus Theweleits "Männerfantasien" für erledigt gehalten. In den Tagebüchern "Strahlungen" tritt ihm Jünger als Besatzungsoffizier in Paris entgegen, der das Kriegerisch-Heldische nicht mehr so freudig besingt wie in früheren Schriften, sondern in elegischem Ton. Die preußische Aristokratie hat abgedankt, ihren Untergang findet Jünger fürchterlicher als das Schicksal der europäischen Juden, wie Böttiger mit Schaudern bemerkt, weil unwiderruflich. Jüngers Härte und Kälte bekommt der Rezensent hier mit derselben Wucht präsentiert wie seine existenziellen Einsichten, gepaart mit Ausflügen ins Pariser Kulturleben und viel "schwarzem Kitsch". Der historisch-kritischen Edition verdankt er gleichwohl interessante Erkenntnisse über die stilistische Sorgfalt, mit der Jünger an seinem heroischen Selbstbild arbeitete.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 15.10.2022

Wollte man die Kritik des Altphilologen Jonas Grethlein in einem Satz zusammenfassen, könnte man sagen: Jünger ist unzeitgemäß, aber alles andere als unaktuell. Man muss sich erst mal hinein lesen. Der von Grethlein nur kurz skizzierte editorische Aufwand der Ausgabe mag dabei helfen: Dann lernt man einerseits, dass Jünger von Ausgabe zu Ausgabe seine Tagebücher immer wieder stilistisch geschliffen hat (und politisch Unopportunes in späteren Ausgaben wegließ). Und andererseits stellt Grethlein Jünger in scharfen Gegensatz zu heutigen Heroen der Autofiktion wie Knausgard oder Ernaux, eben weil es bei Jünger diesen Willen zum Stil gibt. Aber gerade diese Fremdheit, dieses Überhöhen ins Mythische, so versichert der Rezensent, schafft bei näherer Lektüre wieder Anknüpfungspunkte an die Gegenwart - etwa in Reflexionen über den Krieg, das Anthropozän oder die Stellung des Menschen im Naturzusammenhang.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.09.2022

Rezensent Michael Martens arbeitet sich durch die über 2.400 Seiten lange Gesamtausgabe von Ernst Jüngers Tagebüchern 1939-1948, die nach ihrer Erstveröffentlichung vor über siebzig Jahren nun noch einmal in edierter und erweiterter Fassung vorliegen. Bei dem Lektüre-Kraftakt begegnet er Spannendem und Abstoßendem, liest sich auch immer wieder fest - wieder lassen die Texte des umstrittenen Schriftstellers einerseits eine Verherrlichung Jüngers als Kritiker des NS-Regimes zu, der sich überraschend "sarkastisch" über Hitler oder Goebbels ausließ, zeigen ihn aber ebenso von seiner rassistischen Seite - eine besonders abstoßende Passage über Jüngers Gedanken zu einem schwarzen Häftling zitiert der Kritiker hier ausführlich. Vor allem lernt Martens Jünger aber als passionierten Inszenator seiner selbst kennen: Entgegen seines behaupteten Authentizitätsanspruchs und der Angabe, seine Tagebucheinträge zu Geschehenem immer unmittelbar danach festgehalten zu haben, zeigen die zahlreichen, in der neuen Ausgabe ergänzten Notate dem Kritiker, wir korrekturwütig Jünger gewesen sei und zum Teil noch Jahre später an seinen Einträgen herumgefuhrwerkt habe. Ob die Ausgabe, trotz bewundernswerten Engagements des Klett-Cotta-Verlags, für ein Ottonormalpublikum geeignet sei, bezweifelt Martens stark, und selbst ein Germanist oder Historiker werde wohl nicht jede einzelne Seite lesen - trotzdem bietet ihm die Ausgabe genug Interessantes, dass sich die Lektüre für ihn gelohnt zu haben scheint.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.09.2022

Die Zeit der Jünger-Idolatrie in den deutschen Feuilletons ist heute eigentlich vorbei. Sie datiert auf die Zeit, als heute in Ehren ergraute, vor der Rente stehende Redakteure noch als "Jüngelchen" durchgingen und ihr Wechseln von FAZ zu SZ oder umgekehrt als Staatsaktion kommentiert wurde. Höhepunkt war aber schon in den Neunzigern, als Frank Schirrmacher, ein ehemaliger Feuilletonchef der FAZ, zum Jahrestag des 20. Juli Jünger zusammen mit Kohl und Mitterrand besuchte. Nun erscheinen also alle publizierten Tagebücher Jüngers aus dem Zweiten Weltkrieg in einer kommentierten Ausgabe, und die SZ bringt gleich zwei Artikel dazu: Kurt Kister schreibt über den Literaten, Steffen Martus über die editorische Großtat. Martus ist vor allem dankbar, dass die Editoren die komplizierte Entstehungs- und Editionsgeschichte dieser Tagebücher nicht in einem komplizierten Zeichensalat abbilden. Insgesamt entsteht für ihn ein differenzierteres, wenn auch nicht freundlicheres Bild der von Jünger angestrebten "reflektierten Authentizität". In Kisters Lektüre der Tagebücher spürt man, wie fern der Autor heutiger Sensibilität gerückt ist. Selbst die berüchtigte Burgunderszene - Jünger betrachtet einen Bombenangriff auf Paris, während er ein Glas Burgunder mit Erdbeeren drin (welch ein vinophiler Fauxpas!) schlürft - löst in ihm nur ferne Echos einstiger Empörung aus. Jüngers "mordsreaktionäres Dandytum", so scheint es, hat zu wenig Verbindungen zu heute, um noch mobilisieren zu können.
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