Colum McCann

Apeirogon

Roman
Cover: Apeirogon
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2020
ISBN 9783498045333
Gebunden, 608 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Volker Oldenbourg. Rami Elhanan und Bassam Aramin sind zwei Männer. Rami braucht fünfzehn Minuten für die Fahrt auf die West Bank. Bassam braucht für dieselbe Strecke anderthalb Stunden. Ramis Nummernschild ist gelb, Bassams grün. Beide Männer sind Väter von Töchtern. Beide Töchter waren Zeichen erfüllter Liebe, bevor sie starben. Ramis Tochter wurde 1997 im Alter von dreizehn Jahren von einem palästinensischen Selbstmordbomber vor einem Jerusalemer Buchladen getötet. Bassams Tochter starb 2007 zehnjährig mit einer Zuckerkette in der Tasche vor ihrer Schule durch die Kugel eines israelischen Grenzpolizisten. Ramis und Bassams Leben ist vollkommen symmetrisch. Ramis und Bassams Leben ist vollkommen asymmetrisch. Rami und Bassam sind Freunde. Apeirogon: eine zweidimensionale geometrische Form mit einer gegen unendlich gehenden Zahl von Seiten. Während "Apeirogon" nach und nach seine nahezu unendlichen Seiten auffächert und die beiden Männer in seiner Mitte rahmt, entfaltet sich der Palästinakonflikt in seiner ganzen Historie und Komplexität.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.01.2021

Dieser Roman wäre besser nie geschrieben worden, meint Rezensent Burkhard Müller kühl. Die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte des Israelis Rami und des Palästinensers Bassam, die beide im Nahost-Konflikt eine Tochter verloren haben, sich in einer Organisation für verwaiste Eltern kennenlernen und einer Initiative anschließen, die für den Frieden wirbt, ist medial mehrfach dokumentiert, klärt der Kritiker auf. Allein deshalb nimmt alles, was McCann - zwar in Absprache mit den beiden Protagonisten - an Figurenrede und Stimmungsbildern "hineinschnörkelt", dem Buch die Kraft, seufzt er. Darüber hinaus gerät ihm viel, was der Autor über Gewalt und Frieden im Roman zum Besten gibt ("Gewalt sei sinnlos", der Abdruck von Picassos Friedenstaube im Buch), zu eindimensional.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.11.2020

Als hätte ein verrückter Dichter ihn zertrümmert und ein anderer ihn neu zusammengesetzt, so beschreibt Rezensent Hubert Spiegel den neuen Roman von Colum McCann. Denn nur an der Oberfläche, durch eine spiegelbildliche Anordnung der Kapitel, folge die teils wahre, teils fiktive Geschichte um einen Israeli und eine Palästinenser, verbunden durch den Tod ihrer beiden Töchter, einer klaren Struktur, so Spiegel - darunter tobe das Chaos, und das müsse bei dieser Thematik auch so sein, meint er. Entsprechend zerstöre der Autor Chronologien und feste Perspektiven, lasse keine mögliche Abzweigung unbeachtet und schaffe ein "raffiniertes Geflecht", in das er Referenzen auf die Erzählungen aus 1001 Nacht ebenso wie reale Hintergrundinformationen einwebe, staunt Spiegel. Ein Buch "wie ein Kaleidoskop", das den Rezensenten fasziniert.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 01.09.2020

Carsten Hueck versteht den israelisch-palästinensischen Konflikt besser mit Colum McCanns Roman. Wie der Autor die tragischen Tatsachen-Geschichten zweier Männer von beiden Seiten des Grenzzaunes und ihrer getöteten Töchter erzählt, immer wieder abschweifend, zurückfindend, assoziativ, in Spiegelungen, Vor- und Rückblenden, findet Hueck bereichernd. Die so entstehende poetische Fülle und Dichte macht für ihn aus einer "Alltagsgeschichte aus dem Nahostkonflikt" ein "elegisches Epos" und "große Literatur".

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 10.08.2020

Tanya Lieske geht der Formstruktur von Colum McCanns Roman über zwei Männer aus Israel und dem Westjordanland nach, denen es gelingt, biografisch motivierte Rachegelüste und Feindschaft zu überwinden. Symmetrie und Wiederholung strukturieren den in 500 kleine bis kleinste Prosastücke eingeteilten Text, erklärt Lieske, die im Buch Verweise unter anderem auf Joyce, Borges, Kafka, Rumi und die Kabbala entdeckt. Wie daraus beim Lesen miteinander kommunizierende "Motivreihen" entstehen, die durch Abbildungen zusätzlich erweitert und an die "außerliterarische Wirklichkeit" angebunden werden, hält sie für aufregend. Als Gesamtkunstwerk durchaus überzeugend, findet die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.08.2020

Rezensentin Angela Schader findet die von Colum McCann erzählte Geschichte eines Israelis und eines Palästinensers, deren Töchter im israelisch-palästinensischen Konflikt umkamen, die aber alle Rachegelüste überwinden, um einander beizustehen, fast zu schön, um wahr zu sein. Wahr ist sie dennoch. Das bezeugt der Autor laut Schader mit seiner mehrjährigen Recherche der komplexen Geschichte, die über die Fakten des Konflikts weit hinausgeht, wie sie erklärt. Wie der Autor sein Material faktengetreu in zweimal 500 Kapiteln arrangiert, die manchmal nur aus einem Foto bestehen, hält Schader für wirkungsvoll. So entsteht eine "packende Lektion" über Gewalt, Hass, Leid - und Verzeihen, meint sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.07.2020

Für groß hält Rezensentin Sylvia Staude diesen Roman, in dem der irische Schriftsteller Colum McCann die Geschichte zweier Männer erzählt, die sich nach dem Tod ihrer Töchter im Nahost-Konflikt für Frieden und Versöhnung einsetzen. McCann beruft sich auf die wahre Geschichte des Palästinensers Bassam Aramin und des Israelis Rami Elhanan, informiert die Rezensentin, die den Roman aber nicht nur als dezidiert politischen Roman zu schätzen weiß, sondern wegen seiner meisterhaften Form: McCann erzählt die Geschichte in 1.000 Kapitelchen und lässt Leserin so wie durch ein Prisma auf sie blicken. Wunderbar passend und ungeheuer eindrücklich erscheint Staude das, und sie weist darauf hin, dass das Titel gebende "Apeirogon" eine geometrische Form mit einer gegen unendlich gehenden Anzahl von Seiten.