Richard J. Evans

Rituale der Vergeltung

Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532 - 1987
Cover: Rituale der Vergeltung
Kindler Verlag, Berlin - Hamburg 2001
ISBN 9783463404004
Gebunden, 1312 Seiten, 51,08 EUR

Klappentext

Unbefangen gegenüber den Fachgrenzen Evans ein historisches Panorama um eine der Kernfragen des sozialen Zusammenhalts: die Macht des Staates über Leben und Tod. Seine Studie umfasst die Geschichte von Verbrechen und abweichendem Verhalten, in enger Verbindung mit der Veränderung der Klassen- und Geschlechterbeziehungen in der deutschen Gesellschaft ab dem 16 Jahrhundert; die sich verändernden Formen der Hinrichtung und die mit ihr zu unterschiedlichen Zeiten verbundenen symbolischen Deutungen; die Entwicklungsgeschichte populärer und kultureller Wahrnehmung der Todesstrafe.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.08.2001

1300 Seiten - und noch immer hat die Rezensentin Fragen: Wie lässt sich die in den einzelnen europäischen Ländern so unterschiedliche Geschichte der Todesstrafe erklären etwa, oder inwieweit unterscheidet sich eigentlich heutige Neugierde am Sexualverbrecher Haarmann von der seiner Zeitgenossen? Diesbezüglich schreibe der Autor Klischees fort, stellt Rebekka Habermas enttäuscht fest, die ansonsten eigentlich sehr angetan ist von dem Band: Von einem Standardwerk ersten Ranges spricht sie ja, von der inhaltlich besten Gesamtschau und Detailstudie zum Thema, die auch methodisch eine Herausforderung darstelle, "da Evans versucht Sozial-, Diskurs-, Erfahrungs- und Kulturgeschichte zu verbinden - und das auf theoretisch hohem Niveau." Und weil sie das nicht nur einmal sagt, meint sie das wohl auch und ist ansonsten eben jemand mit vielen, vielen Fragen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.06.2001

Über die Todestrafe sind bereits eine große Anzahl von Abhandlungen publiziert worden. Und doch haben es zwei Autoren geschafft, mit ihren jüngst erschienenen Büchern Aufmerksamkeit zu erregen. Wobei Horst Meier der Abhandlung von Richard J. Evans deutlich mehr Beachtung schenkt als der von Jürgen Martschukat und ersterem auch das größere Lob spendet.
1) Richard J. Evans: "Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532-1987"
Das Buch des britischen Historikers ist ein Standardwerk, ist sich der Rezensent sicher. Sachlich, aber immer den Menschen im Blick, habe Evans alle nur erdenklichen Aspekte des heiklen Themas Todesstrafe beleuchtet. Und zwar angefangen bei ihrer Einführung im Jahr 1532 durch Kaiser Karl V. bis zu ihrer Abschaffung in der DDR im Jahr 1987. Für Meier ist die Kulturgeschichte von Evans ein "atemberaubendes Panorama", spannend und erhellend erzählt. Einzig Evans' Rekurs auf Norbert Elias, Michel Foucault und Philippe Ariès findet der Rezensent etwas übertrieben. Denn nach seiner Meinung hat "Evans es wirklich nicht nötig, seine Geschichtsschreibung mit einer höheren theoretischen Weihe zu versehen".
2) Jürgen Martschukat: "Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert"
Sehr kurz ist Meiers Besprechung über die Habilitationsschrift des Historikers Jürgen Martschukat ausgefallen. Der habe sich hauptsächlich auf Hamburger Quellen aus dem 18.und 19. Jahrhundert gestützt und nachgezeichnet, wie sich der Übergang der Todesstrafe vom blutigen Schauspiel zum diskreten Verwaltungsakt vollzog, berichtet der Rezensent. Und dabei lasse der Autor deutlich sein Faible für Foucault durchblicken. Von der angestrengt wirkenden Einleitung sollte sich der Leser nicht abschrecken lassen, denn dann folge doch viel Lesenswertes, so die spärliche Auskunft des Rezensenten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.06.2001

Für Wolfgang Sofsky hat Richard J. Evans, Professor für Neuere Geschichte in Cambridge, mehr als eine Kulturgeschichte der Hinrichtung geschrieben. Ohne Zweifel erfährt der Leser alles über den Wandel der Exekutionsrituale und ihre Hintergründe, über Exekutierte, Verbrechen und die Strafrechtsdebatten über die Abschaffung der Todesstrafe, findet der Rezensent. Darüber hinaus - und das findet bei Sofsky deutlichen Anklang - bietet das Mammutwerk von Evans aber noch mehr. Souverän hab er die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen überschritten und beschreibe die Todesstrafe als Brennpunkt der gesamten deutschen Politik-, Rechts-, Ideen- und Mentalitätsgeschichte, meint Sofsky und freut sich auch darüber, dass der Autor nicht mit Kritik an Norbert Elias Zivilisationsthese und Michel Foucaults Theorie der Disziplinargesellschaft spart. Eines ist für den Rezensenten ganz klar: Es gibt keine spezielle deutsche Todesstrafe, die Exekutionen folgten vielmehr dem Auf und Ab von Liberalismus und Autoritarismus und dem Wechsel von Repression, Revolution und Zivilität.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.05.2001

Ein "Riesenwerk" ist das Buch nach Auskunft des Rezensenten Ludger Lütkehaus nicht zuletzt deshalb, weil es "Deutschland zum Exemplum" macht "dafür, dass bittere geschichtliche Erfahrungen zu einer starken Abscheu vor öffentlicher und privater Gewalt geführt haben". Aber das Buch kann noch mehr. Spannend, objektiv, umfassend und detailgenau findet es Lütkehaus, dazu "exzellent geschrieben und dokumentiert". Außerdem hat der Rezensent in ihm neben einer sozial- und einer geistesgeschichtlichen Darstellung noch eine anthropologische, eine Rechtsgeschichte, eine Geschichte der hohen Politik und der niederen Kultur, eine nationale, eine lokale, eine kollektive und schließlich auch noch eine individuell-biografische Geschichte entdecken können. Dass sich der Autor so "eindringlich und überzeugend" mit Foucault und Elias beschäftigt und seine Gegnerschaft gegen die Todesstrafe weder doktrinär noch aus der Täter-als-Opfer-Perspektive heraus proklamiert, gefällt Lütkehaus ausnehmend gut.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.05.2001

Eine mehr als ausführliche Besprechung eines ja auch 1300 Seiten umfassenden Werkes legt hier Volker Ullrich vor. Keine Bange, meint er, dieses Buch hat es in sich und macht es dem Leser bei aller Gelehrsamkeit zugleich leicht, da der in Cambridge lehrende Historiker die "Balance zwischen Erzählung und Analyse", Mikro- und Makrogeschichte aufs Glücklichste miteinander zu verbinden wisse. Selbstverständlich setze sich Evans auch mit der Studie Foucaults wie den Thesen von Norbert Elias auseinander. Ulrich benennt zwei Punkte, in denen Evans eine abweichende Meinung vertritt: der englische Historiker widerspreche Foucault vehement an dem Punkt, wo dieser hinter den rationalistischen Reformbestrebungen der Aufklärung nur eine restriktive Effektivierung des Strafsystems erkennen konnte, während Evans auch die befreienden Aspekte zu würdigen wisse. In Bezug auf Elias komme Evans insofern zu einem anderen Schluss, als dass er bis Anfang des 20. Jahrhunderts keinen deutschen Sonderweg bei der Todesstrafe ausmachen könne. Das Buch endet mit einem Plädoyer für die weltweite Ächtung "dieser barbarischen Praxis", so Ullrich.