Vorgeblättert

Leseprobe zu W. von Sternburg: Joseph Roth. Teil 2

23.02.2009.
In zwei der insgesamt vier Bücher des Romans wird die Geschichte der Wäscherin Angelina Pietri erzählt. Das schöne Mädchen aus Korsika, der Heimat Bonapartes, arbeitet am kaiserlichen Hof, und es fühlt sich vom Charisma Napoleons erotisch und patriotisch angezogen. Sie wird in ihrem ganzen Leben vergeblich darauf warten, von dem Angebeteten erkannt zu werden. Nach der verlorenen Schlacht weint sie aus Rührung "über eine ganze tote Welt, an deren ewigen Bestand sie geglaubt hatte. Nichts mehr war vorhanden seit der Abfahrt des Kaisers. Sie wußte auf einmal, daß ihre Liebe zu ihm größer und mächtiger war als eine gewöhnliche Liebe". Am Ende schreit das opportunistische Volk wieder "Es lebe der König". Angelina aber ruft "Es lebe der Kaiser". Der Mob erschlägt sie.

In der Geschichte der kaisertreuen Wäscherin setzt Roth das "private" Gegengewicht zu seiner weltgeschichtlichen Figur Napoleon. Er selbst spricht, wie erwähnt, von den Schwierigkeiten, die ihm die Niederschrift dieses Romans bereitet hat. Vor allem gilt das sicher für die Teilung der Geschichte. Es gelingt Roth im Grunde nicht, die beiden Erzählstränge - Napoleons "arger Weg der Erkenntnis" einerseits und die ein wenig kolportagehaft geschilderte Liebe Angelinas andererseits - dramaturgisch überzeugend zusammenzuführen.

Die Reaktion auf den Roman ist geteilt. Von katholischer Seite gibt es Beifall. Walter Berendsohn dagegen meint, dass "dem Werke die Einheit (fehlt), es ist weder Roman noch Novelle; es ist als Kunstwerk missglückt". Der "Neue Vorwärts" kritisiert, "die Figur Napoleons" sei "ein zufälliges Gefäß, in das Roth seine Botschaft an alle gießt". Im Den Haager "Het Vaderland" wiederum äußert sich Leopold Fabrizius alias Albert Vigoleis Thelen erneut zustimmend: "Roth, der uns in einem früheren Buch überzeugend und mit großer menschlicher Wärme das Schicksal des Mörders Tarabas geschildert hat, wählt nun aus dem Leben des Massenmörders Napoleon die letzten Tage seiner Laufbahn aus. ? Mit ergreifender Klarheit steht hinter den knappen und farbigen Worten der Erzählung (das Buch kann wegen seiner Komposition kaum Roman genannt werden) der Mensch, dem die ganze Tragik seiner mißglückten Existenz bewußt wird." Als Übersetzer der Napoleon-Biographie von Teixeira de Pascoaes ist Vigoleis Thelen immerhin ein Kenner der Materie. Auch der Portugiese vergleicht den französischen Kaiser mit Hitler und sieht in dem Korsen einen der großen Massenmörder der Weltgeschichte.

In Frankreich stößt das Buch weitgehend auf Desinteresse. Roths
Napoleon-Bild widerspricht zu sehr dem der Franzosen. Durch Vermittlung von Stefan Zweig erwirbt der Verlag Grasset trotzdem die Rechte für Frankreich. In der literarischen Zeitschrift "Candide" erscheinen "Die Hundert Tage" als Fortsetzungsroman. Walter Landauer schreibt am 20. September 1935 optimistisch: "Wir haben ungefähr 2000 Vorausbestellungen für die hundert Tage. ? Ich führe mit allen Ländern Verhandlungen."

Mit Blick auf die politische Lage bleibt der Hinweis, dass Roth den "katholischen" Napoleon-Roman in einer Zeit schreibt, in der nicht nur die Linke, sondern auch der demokratische Liberalismus geschockt auf die Haltung des Vatikans gegenüber dem Dritten Reich reagieren. Am 20. Juli 1933 haben Berlin und der Vatikan ein Konkordat abgeschlossen. Es ist der erste bedeutende diplomatische Erfolg Hitlers. Er bewirkt, dass der katholische Widerstand geschwächt und der Nationalsozialismus im deutschen Katholizismus eine erheblich stärkere Akzeptanz findet als unmittelbar nach der Machtergreifung. Roth wird sich erst später kritisch über diesen Vertrag äußern.

Fritz Hackert schreibt im Zusammenhang mit dem Lynchmord an Angelina: "Roths Monarchismus wird durch seine Absage an die Massengesellschaft ergänzt, die im Europa der dreißiger Jahre entweder zu militanten Gewaltposen überging oder vor diesen eine ängstliche Gaffer-Rolle einnahm." So richtig diese Einschätzung ist, sie bedarf der Ergänzung, dass auch die Monarchisten und die
Legitimisten sich damals nicht anders verhielten als das "Volk". Roth will das nicht sehen.


Anfang vom langen Ende

Im Mai 1935 ist Roth in Wien. Es geht um Friedl, er hat Scheidungspläne, die er rasch wieder verwirft. Dann erneut Nizza und Marseille. Er schreibt an einem neuen Roman, der den Arbeitstitel "Der Stammgast" trägt. Es geht ihm schlecht. Ungelöste Verlagsprobleme und verzweifelte Versuche, Geld aufzutreiben. Der Körper wehrt sich gegen den Alkohol. Herzschmerzen, Hämorriden, Schlaflosigkeit und jede Nacht die schrecklichen Brechanfälle. "Was soll ich tun? Ich habe nichts zu essen, nicht einmal mehr zu trinken." Seine Wut über die politischen Entwicklungen löst Rundumschläge aus. "Alle geistigen Kräfte versagen, wie zum Beispiel auch der Vatikan. Er hätte eine entscheidende Wirkung in Europa und im Völkerbund gehabt, wenn er offen, mit Mut, wie es sich eigentlich für einen heiligen Vater geziemt, gesagt hätte, er verbiete, oder zum mindesten, er verbäte sich seine Unterstützung für einen italienischen Eroberungskrieg (in Abessinien - WvS). Aber der Papst von heute ist das unter den Christen, was der Thomas Mann unter den Nobelpreisträgern ist, der Bermann Fischer unter den Verlegern, der Gottfried Benn unter den Ärzten, der Rothschild unter den reichen Juden." Thomas Mann hat zu lange gezögert, sich öffentlich gegen Hitler zu stellen, der Verleger Bermann Fischer hat zu lange in Deutschland taktiert, bis er wegging, Benn begrüßt die Nazis bei ihrem Machtantritt, Rothschild macht mit dem Dritten Reich Geschäfte - und Roth ist im Verfluchen unerbittlich. Mitte Januar 1936 schreibt Landauer seinen harschen Brief an Roths Anwalt, der weitere Vorschüsse des Verlages de Lange ausschließt. Roth bricht zusammen: "Sie erfahren aus dem beiliegenden Brief (von Landauer - WvS), daß das Ende nahe ist, wenn nicht schon da", schreibt er Stefan Zweig. "Es ist unmöglich, daß ich weiter lebe und schreibe, nach 5 Büchern innerhalb 3er Jahre. Dieser Brief hier macht mir das Schreiben an meinem laufenden Roman unmöglich. Ich wäre in 5 Tagen fertig geworden. ? Sie sind der Einzige, der mir tatsächlich helfen kann. Nur mit Ihnen kann ich mein Leben verändern und retten. Bitte, kommen Sie zu mir. Ich bitte Sie wahrhaftig de profundis. Ich will nicht lächerlich umkommen." Es ist der Anfang der letzten Lebensphase. Sie wird die Hölle sein, in die er so viele seiner Romanfiguren hat stürzen lassen.

Im Mai 1936 beendet Joseph Roth die Beziehung zu Andrea Manga Bell. Sie erzählt später, Roth habe den Kontakt aber aufrechterhalten, sie immer wieder um Rat und praktische Hilfe gebeten, sogar versucht die Beziehung zu erneuern. Das habe sie abgelehnt. Darauf weist auch ein Brief hin, den Roth im Juli an Blanche Gidon schreibt. Von dem Geld, das er von Stefan Zweig erwarte, könne er mit Frau Manga Bell gemeinsam in Brüssel leben, "ich habe es ihr geschrieben, aber sie antwortet nicht". Nur zwei Sätze später folgen die Vorwürfe: "Frau Manga Bell hat sich konstant geweigert, nach den Gesetzen meines Lebens zu leben." Tatsächlich bleibt die verlassene Lebensgefährtin auch nach der Trennung eine große Stütze, berät ihn, tippt vielfach seine Manuskripte. Ein Vierteljahrhundert nach Roths Tod wird sie immer noch mit Liebe und Hochachtung von dem ehemaligen Geliebten sprechen.

Neben Paris sind Amsterdam, Ostende, Wien und Brüssel in Roths letzten Lebensjahren häufigere Aufenthaltsorte. Nach Holland führen ihn meist Verlagsverhandlungen und Korrekturarbeiten. Nachgewiesen sind Aufenthalte im Oktober 1933, im Mai 1935, März bis Juli und Oktober bis November 1936, sowie im September 1937. Die Niederlande sind ab 1933 der Exilort für viele deutsche Künstler und Schriftsteller. Georg Hermann und zeitweise Klaus Mann leben dort, der Maler Max Beckmann, der einstige Berliner Revue-König Rudolf Nelson und der Schauspieler Kurt Gerron. Bis zum Überfall der deutschen Wehrmacht im Mai 1940 kann das Land auch etlichen anderen Flüchtlingen Schutz bieten.

"Ich würde hier gern leben", erklärt er in einem Interview mit der Tageszeitung "Het Volk". "Vielleicht, wenn mein neues Buch (Die Hundert Tage - WvS) fertig ist. Dies ist ein kleines Land. Aber von den kleinen Ländern, die ich kenne, ist dieses Land das freieste. Spinoza, Rembrandt, ihnen begegne ich hier auch heute noch. Ihre Menschen sind äußerlich nach wie vor die Menschen, die Rembrandt malte. Innerlich sind sie noch immer Menschen wie Spinoza. Sie leben in seinem Geist." Das ist höflich, aber wohl nicht viel mehr. Denn Roths "Kenntnis" des Landes rührt tatsächlich nur von Arbeitsaufenthalten her, zumal das Leben in Holland nicht billig ist.

Wenn Roth wenig Geld hat, wohnt er in Amsterdam im kleinen und einfachen Hotel Eden am Leidseplein. Zahlt der Verlag oder erreicht ihn ein guter Vorschuss, wählt er das noble American Hotel. Im Eden wird der Besitzer Antonius Blansjaar ein freundlicher Helfer, der Übernachtungskosten stundet und immer wieder kleine Kredite gewährt. Als er das City-Hotel übernimmt, logiert sein geschätzter Gast dort. "Joseph Roth verbrachte einen großen Teil des Tages im Hotel", schreibt Fritz Landshoff in seinen Erinnerungen, "vom frühen Morgen an schreibend und rauchend und trinkend. Er hatte schon geraume Zeit vor dem Exil in Berlin das Essen nahezu aufgegeben. Während wir in den ersten Jahren ? gelegentlich zusammen aßen, erinnere ich mich aus den Amsterdamer Jahren, in denen ich ihn oft täglich sah, an keine einzige gemeinsame Mahlzeit. Ich suchte ihn im Hotel auf, abends oft im Cafe Reynders, manchmal im Hotel Americain oder bei Keizer. Von allen Autoren, die Deutschland verlassen hatten, war er einer der sehr wenigen, der (obgleich er niemals auch nur versucht hatte, ein Wort holländisch zu lernen) Kontakt mit einigen holländischen Autoren hatte ? Ein holländischer Freund fragte ihn einmal in Zandvoort im Strandcafe, ob er manchmal ans Meer schwimmen ginge. Er antwortete: 'Kommen denn die Fische ins Cafe?'"

Klaus Mann schreibt in seinem Lebensrückblick: "Die Visiten des
österreichischen Dichters Joseph Roth brachten mancherlei Aufregung. Er ? befremdete die Herren von der Presse durch bizarre politische Theorien, die er mit großer Beredsamkeit und Insistenz vertrat. ? Säße erst wieder die gesalbte Majestät in der Wiener Hofburg, so würde noch alles gut: Das Regiment des 'Antichrist' wäre vorüber." Klaus Manns Schwester Erika, die sich im Frühjahr 1935 zu einem dreimonatigen Gastspiel ihres Kabaretts "Die Pfeffermühle" in Holland aufhält, urteilt in einem Brief an den Bruder dagegen ziemlich harsch über Roths Auftritte in Amsterdam: "Roth war ja hier und soll amüsant erzählt haben. Als ich ihn sah, - gestern, im Americain, war er nichts als widerlich, - besoffen, eitel, geschmacklos, laut, geldgierig, - albern und abstoßend."

Nach einem dieser Besuche in Holland berichtet die Zeitung "De Telegraaf" im November 1936, der Schriftsteller Joseph Roth sei bestohlen worden. Es ist keine Falschmeldung. Sein "Amsterdamer Sekretär", der Rezeptionschef des Eden, Andries van Ameringen, hat ihn tatsächlich um den gesamten Vorschuss für "Die Geschichte von der 1002. Nacht" betrogen. Das dürfte seine Sympathien für das Land seiner Verlage nicht erhöht haben.

Bekannt ist er allerdings in den Niederlanden. Das zeigt nicht nur die Zeitungsnotiz über den Diebstahl, sondern darauf weisen auch die vielen Rezensionen der Bücher Roths in niederländischen Zeitungen und Zeitschriften hin. Als er am 12. Juni 1936 in der Buchhandlung Allert de Langes seinen Vortrag "Der Aberglaube an den Fortschritt" hält, ist der Andrang enorm. Unter den Zuhörern sind 20 Journalisten, um über die Veranstaltung zu berichten. Der Vertriebsleiter des Verlages berichtet, Roth habe auf dem Rednerpult eine Wasserkaraffe, gefüllt mit Genever, verlangt.

Teil 3