Vorgeblättert

Leseprobe zu Rainer Pöppinghege: Tiere im Ersten Weltkrieg.Teil 3

11.08.2014.
Kamele

Kamele im Krieg? Da dürften viele an Lawrence von Arabien denken und vor allem Peter O"Toole in seiner berühmten Filmrolle von 1962 vor Augen haben. Ganz nebenbei bestiegen in dem Wüstenepos auch Omar Sharif, Anthony Quinn und Alec Guinness die gehöckerten Transportmittel. Dass diese sich ähnlich wie Pferde zur Fortbewegung eigneten, musste sich im Nahen und Mittleren Osten nicht erst herumsprechen, es war dort ziviler Alltag. Dass sie darüber hinaus als Reit- und Lasttiere in verschiedenen gewaltsamen Auseinandersetzungen der Region zum Einsatz kamen - wen würde es überraschen? Dennoch spielten sie im Vergleich zu Pferden in anderen Weltregionen eine eher untergeordnete militärische Rolle.(109)
     Während des Krimkriegs 1853 bis 1856 waren sie zwar bereits als Lasttiere und als Reittiere für Kavalleriezwecke zum Einsatz gekommen.(110) Doch erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts - beispielsweise in Deutsch-Südwestafrika - bis in den Ersten Weltkrieg hinein erlangten sie jene militärstrategische Bedeutung, die andernorts Pferden zukam. Sie trugen Futter, Wasser und Ausrüstungen. Der Aufstand der vom britischen Kamelreiterkorps unter T. E. Lawrence unterstützten Araber gegen das Osmanische Reich im Juni 1916 wäre ohne die Mobilitätsvorteile berittener Kamelverbände nicht denkbar gewesen. In Deutsch-Südwestafrika, wo die kaiserliche Schutztruppe über eine berittene Kameleinheit und ein Kamelgestüt zur Nachwuchssicherung verfügte, kamen die Tiere wegen der Bodenbeschaffenheit der Kampfzone nicht zum Einsatz. Im weiträumigen Gebiet und dem heißen Klima der Levante (des östlichen Mittelmeeres) boten diese genügsamen Tiere jedoch unschätzbare Vorteile, obwohl sie sich an steinige Böden erst gewöhnen mussten.
     Viele der Tiere starben dennoch, beispielsweise wenn sie in schlammigem Terrain den Halt verloren und sich ein Bein brachen. Lange und komplizierte veterinärmedizinische Behandlungen waren nicht vorgesehen. So wurden schwerverletzte Tiere kurzerhand von den eigenen Soldaten getötet.
     Kamele scheinen relativ unempfindlich gegenüber Giftgas gewesen zu sein, wie der britische Offizier Geoffrey Inchbald berichtet.(111) Außerdem ließen sie sich in der Regel nicht vom Schlachtenlärm beirren und blieben "cool", selbst wenn die Kugeln um ihre Köpfe schwirrten. Manchmal auch etwas zu "cool": Besonders in der Paarungszeit war mit den männlichen Tieren nicht zu spaßen, und militärischer Gehorsam war dann ihre Sache nicht. Daher ging man dazu über, vorwiegend weibliche Tiere zu nutzen. Das war nicht unproblematisch, benötigte man weibliche Tiere doch eigentlich für Zuchtzwecke. Unzählige Anekdoten ranken sich um die Widerspenstigkeit der Kamele, dabei mag es dahingestellt bleiben, ob hierbei eine schlechte Behandlung zu entsprechenden Reaktionen der Tiere führte oder es sich um einen besonderen Charakterzug dieser Spezies handelte.
     Kamel ist nicht gleich Kamel. Was banal klingt, machten sich die Kriegsparteien zunutze, indem sie für bestimmte Zwecke nur solche Tiere auswählten, die aufgrund ihrer Konstitution am leistungsfähigsten erschienen. Die Frage, ob einzelne Rassen stärker oder schneller waren als andere, bestimmte ihren Verwendungszweck. Insgesamt 50 000 Transportkamele standen Briten und Arabern zur Verfügung. Hinzu kam eine erkleckliche Zahl berittener Regimenter wie beispielsweise das 1916 ins Leben gerufene Imperial Camel Corps mit seinen besonders schnellen Kamelen.(112) Die weiten Entfernungen des nahöstlichen Kriegsschauplatzes machten den Einsatz dieses Verbandes möglich und auch notwendig. Gegen die aufständischen Senussi in Ägypten ging das Corps erfolgreich vor, indem es durch lange Patrouillenritte die Aufständischen auf Abstand hielt. Nach der mit 350 Kamelen erfolgreich bestrittenen Schlacht von Magdhaba stieß das Corps um die Jahreswende 1916/17 auf osmanisches Gebiet in Palästina vor. Nach der Eroberung Jerusalems wurde die Personalstärke der Kamelverbände im März 1918 aus strategischen Gründen um mehr als ein Drittel reduziert, und nach Kriegsende wurde das Imperial Camel Corps dann endgültig aufgelöst.


Esel, Maultiere und Ochsen

Wenn schon Kamele als störrisch galten: Was soll man über Esel und Maultiere anderes berichten? Sie sind der Inbegriff von Dickköpfigkeit und sprechen allen Vorstellungen von soldatischem Gehorsam und militärischer Disziplin Hohn. Schlechte Behandlung zahlten sie gern mit Ungehorsam heim.(113) Sollte man sie auch im Krieg verwenden, wenn es auf reibungslose Abläufe ankam? Die vielleicht überraschende Antwort der Zeitgenossen lautete: Ja!
     Sowohl Esel als auch Maultiere, die Kreuzung aus Eselhengst und Pferdestute, erwiesen sich nämlich nicht nur als störrische, sondern insgesamt als zuverlässige, belastbare und - das war im Gebirge wichtig - schwindelfreie Lastenträger. Geduldig ließen sie sich an Lastenzügen über Abgründe und Flüsse hieven, ohne in Panik zu verfallen. Gerieten sie in einen Stacheldrahtverhau, so wird berichtet, dann blieben sie ruhig stehen, bis Soldaten die scharfen Drähte beseitigt hatten. Ihre Widerstandsfähigkeit zeigte sich bei den "Krankmeldungen", die bei Maultieren anteilig deutlich seltener als bei Pferde vorkamen.
     Die Armeen der Alpenregionen setzten flächendeckend Esel für den Transport von Waffen, Munition sowie Nahrungsmitteln und Wasservorräten ein. Hier vermochten es die Tiere, erhebliche Lasten zu tragen und so den Nachschub für die Fronttruppen sicherzustellen. Für die Gebirgsartillerien in Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich und der neutralen Schweiz wurden Maultiere tätig, weil sie ausdauernder, widerstandsfähiger und genügsamer als Pferde waren. Gewaltmärsche von mehr als 14 Stunden konnten sie in der Regel mit geringeren Problemen meistern. Sie erwiesen sich im besten Sinne als geländegängig nicht nur im Hochgebirge, sondern auch im Flachland, wo sie die Briten bei den verlustreichen Operationen an der Ypernfront und bei Arras nutzten. Von Nachteil mochte erscheinen, dass insbesondere Esel sich häufig durch lautes Schreien bemerkbar machten und aus diesem Grund für mehr oder minder geheime Transporte an die vordersten Frontlinien ungeeignet waren.
     Als Zugtiere im ländlichen Raum waren Wasserbüffel und Ochsen kein ungewöhnlicher Anblick. Aber im Krieg? Auch hier griffen die Armeen der beteiligten Staaten auf diese besonders starken Tiere zurück, um schwere Lasten zu bewegen.(114) Davon gab es angesichts von Artilleriegeschützen und Munitionswagen mehr als genug - und zwar an nahezu allen Fronten, in Frankreich ebenso wie in Palästina und im heißen Deutsch-Ostafrika. In Afrika kamen auch Wasserbüffel zum Einsatz, wenn es galt, besonders schwere Lasten zu bewegen. Ochsen sollen sogar unter heftigstem Beschuss die Ruhe bewahrt haben. Nur der Anblick anderer toter Rinder habe sie aus der Fassung gebracht.(115) In Deutsch-Südwestafrika stattete man eine Askari-Einheit aus Kamerun mit Ochsen als Reittieren aus - vielleicht nicht unbedingt ein majestätischer Anblick.

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(109) Janssen, S. 87 ff.; vgl. auch Geoffrey Inchbald: With the Imperial Camel Corps in the Great War. The Story of a Serving Officer with the British 2nd Battaillon against the Senussi and during the Palestine Campaign, London 1970.
(110) Cooper, S. 84-95.
(111) Cooper, S. 95; Janssen, S. 96.
(112) Cooper, S. 92.
(113) Cooper, S. 96 ff.
(114) Driesch / Peters, S. 199.
(115) Baynes, S. 133.

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Auszug mit freundlicher Genehmigung des Rotbuch Verlages
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