Markus Bernauer (Hg.), Josefine Kitzbichler (Hg.)

Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit

Literatur des Libertinismus in Deutschland
Cover: Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2023
ISBN 9783869712895
Gebunden, 1216 Seiten, 128,00 EUR

Klappentext

Versteckt, verboten, zensiert: Wo in der Literatur der Goethezeit Freigeisterei, Sinnlichkeit oder gar Sex Erwähnung fanden, war die Zensurschere schnell zur Hand. Und doch gab es eine erstaunliche Menge an libertinen Texten - oft anonym gedruckt, unterm Ladentisch gehandelt: Hier sind sie, lest und staunt! Ähnlich wie 1968 fand schon im 18. Jahrhundert eine Art Revolution des Denkens und Schreibens statt: Man besann sich auf das Hier und Jetzt (statt aufs Jenseits), man feierte Körper und Dasein, man schwor der Erbsünde ab und dachte "über den Trieb, sich zu gatten" (Johann Reinhold Lenz) nach - oder man beschrieb ihn gar. Freilich meist im Verborgenen, in anonymen Schriften oder - zu Zeiten der Französischen Revolution - in einer Flut von Büchern, die heimlich gehandelt wurden. Zentren dieser Bewegung waren der freigeistige Hof Friedrichs des Großen, Großstädte ("Du Sodomsort, Du neues Gomorrha") wie Wien und Berlin und die Schreibstuben der Dichter, die auf die Unverkrampftheit heidnisch-antiker Autoren gestoßen waren. Erst mit der Restauration verschwand dieses Schrifttum wieder - um hinfort von der Germanistik ignoriert zu werden. Doch unsere Zeiten sind frei: Und so versammeln diese Bände, was es an libertiner Literatur in Deutschland gab, von obszönen anonymen Romanen wie Schwester Monika bis zu Werken berühmter Autoren wie Heinse, Goethe, Wieland und Lenz.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.04.2024

Ein wichtiges, unterbelichtetes Stück Literaturgeschichte präsentieren die Herausgeber Markus Bernauer und Josefine Kitzbichler laut Rezensent Niklas Bender in diesem philologisch wie bibliophil "vorzüglich" aufbereiteten Prachtband. Er versammelt deutsche Texte der literarischen Libertinage, mithin eines Genres, dessen größte Leistungen zumeist in Frankreich verortet werden. In aufwändigen Recherchen haben Bernauer und Kitzbichler nun deutschsprachige Texte zusammengestellt, die um 1800 herum erschienen sind und, wie Bender darstellt, ein breites Spektrum der Formen und Genres erotischer Literatur der Zeit abbilden. Der Rezensent weist auf einige Besonderheiten der deutschen literarischen Libertinage hin: So nähere sie sich etwa der Erotik oftmals über den Umweg der Antike an, teils auch vermittels Neuübersetzungen alter Klassiker. Im Folgenden unternimmt der Rezensent einen Streifzug durch den Band, weist auf mehrere Texte hin, die Charlotte Schuwitz und ihrem legendären Berliner Bordell gewidmet sind und gleicht die Texte mit heutigen Vorstellungen von Sexualmoral ab. Außerdem legt Bender dar, dass auch die deutsche Libertinage in einer aufklärerischen Tradition verortet war, dass sie also die Freiheit der Liebe stets als Teil der Freiheit des Denkens verstand und nicht selten mit Kirchenkritik verband. Vielleicht hätte er nicht jeden der hier versammelten Texte aufgenommen, insgesamt lobt Bender die Veröffentlichung jedoch als eine hervorragend gestaltete Grundlagenedition. Jetzt noch eine Taschenbuchausgabe, bittet er.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.11.2023

Hochinteressant ist diese von Markus Bernauer und Josefine Kitzbichler editierte umfangreiche Sammlung deutscher erotischer Literatur des 18. Jahrhunderts, so Rezensent Jens Jessen, wenn auch nicht unbedingt das reine Lesevergnügen. Versammelt ist sowohl Hochliterarisches wie auch Triviales, führt Jessen aus, wobei die Unterschiede zwischen beidem oft gar nicht so groß sind, gerade was das Erzählerische und die dargebotenen Fantasien betrifft. Nur Goethe nimmt der Rezensent von diesem Verdikt aus, bei Wieland hingegen findet er sich an "Bückware" erinnert. Die Kommentare der Herausgeber sind durchweg hilfreich, lobt Jessen, der freilich anmerkt, dass die Texte qualitativ zumeist nicht an die französischen Vorbilder heranreichen. Dabei geht es auch in der deutschen Pornographie des 18. Jahrhunderts um ähnliche Themen, führt der Rezensent auf: Schlüpfriges und Autoritätskritik gehen Hand in Hand. Als Highlights werden von Jessen Beiträge von Wilhelm Heinse und Jakob Reinhold Lenz markiert. Nicht einverstanden ist er allerdings mit dem Verweis auf die 1968er-Generation im Nachwort: deren Plädoyer für die Libertinage ging auf Kosten der Frauen, so Jessen.