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Keine Ode an die Freude

Von Daniel Lenz
22.03.2002. Von Kopfschüttlern, Schmachtbarden, Nobelpreisträgern und ''Hell's Angels"-Altrockern - der Deutsche Bücherpreis wurde erstmalig in Leipzig verliehen.
Der Deutsche Bücherpreis: von Kopfschüttlern, Schmachtbarden, Nobelpreisträgern und ''Hell's Angels"-Altrockern

"Wenn Sie einen Moderator gesucht haben, der ein starkes Rückgrat hat, der auch eine Pleite verkraften kann, dann haben Sie den richtigen Mann gefunden", hatte Frank Elstner im Vorfeld bei einer Pressekonferenz zu MDR Fernsehdirektor Wolfgang Vietze gesagt. Und im Warming Up kurz vor der Verleihung des Deutschen Bücherpreises dem Publikum im Congress Centrum Leipzig erklärt: "Wir versuchen heute das Unmögliche, indem wir U und E mixen. Ob das gut geht? Ich denke schon."

Frank Elstner wird schon zu diesem Zeitpunkt - wie das Gros der Literaturbetriebler (stellvertretend sei der Kritiker Hubert Winkels zitiert: "Ich erwarte das letzte Konzert auf der Titanic") - längst geahnt haben, dass dieser Spagat nicht gelingen kann: In einer Sendung den Schmachtbarden Nino de Angelo und Nobelpreisträger Günter Grass, Mutter Beimer und Christa Wolf auftreten zu lassen, strapaziert selbst das Nervenkostüm des wohlwollendsten Crossover-Fans. Kein Wunder also, dass der in der ersten Reihe platzierte Grass schon nach dem ersten E-U-Duo (Per Olof Enquist nimmt seinen so genannten Bücher-Butt für das beste Buch der internationalen Belletristik entgegen, gefolgt von "Marshall & Alexanders" Schnulze "Solo tu") beängstigend tief in den Sessel sinkt.

Als später der Schauspieler Rufus Beck, Hörbuch-Stimme Harry Potters, mit einem billigen Zaubertrick von der Bühne verschwindet, können die MDR-Kameras nicht rechzeitig von den vielen Kopfschüttlern im Publikum wegschwenken. Eugen Emmerling, Pressesprecher des Börsenvereins, ist während der 90-minütigen Show nicht zu beneiden. Nebenan, im Foyer der Journalisten, wohin die Gala live übertragen wird, muss er, dessen Arbeitgeber den Bücherpreis neben der Leipziger Buchmesse und dem MDR veranstaltet, bei solchen Szenen spöttisches Johlen über sich ergehen lassen.

"Wir sollten aufpassen, dass der Warencharakter des Buchs nicht überhand nimmt und wir es nicht den Anforderungen der Spaßgesellschaft ausliefern" - Christa Wolfs Mahnung, die sie in ihrer Dankesrede zur Entgegennahme des Bücherpreises in der Kategorie Lebenswerk versöhnlich formuliert, ist zugleich der Schlusspunkt hinter einer langen Reihe von Peinlichkeiten. Von komischen Situationen, die nicht etwa durch Pannen auf der Showbühne oder am Laudatoren-Mikrofon, nicht durch Fehler von Frank Elstner, der souverän durch die Gala führt, sondern wesentlich durch den Kontrast des Unvereinbaren entstehen. Der härteste Schnitt ist wohl der zwischen den als "Hell's Angels" verkleideten DDR-Altrockern von "City" und der anschließenden, von himmlischen Tönen getragenen Laudatio von Günter Grass, in der er die "innere Archäologie" von Christa Wolfs Werk rühmt.

Dass Elstner sich noch bei der Abmoderation optimistisch gibt, dass der Butt Zukunft habe, mag an dessen langjährigen Erfahrungen in der Fernsehbranche liegen. Denn trotz der mehrfach an diesem Abend abgemessenen E-U-Fallhöhe fehlt es dieser Veranstaltung grundsätzlich nicht an Potenzial: Konzentrierten sich die Veranstalter auf eloquente Laudatoren wie Heiner Geissler oder Tom Pauls, der eine erstklassige Biolek-Parodie lieferte; gäbe es mehr Einspielfilme, die dem Publikum nicht nur den Namen des Autors, sondern auch Basisinformationen zum ausgezeichneten Buch lieferten; und investierten die Fernsehmacher mehr Gedanken in die Zusammenstellung des Programms, wäre die finale "Ode an die Freude" von Nana Mouskouri nicht fehl am Platz und sogar erträglich.

Daniel Lenz

Hier der Artikel zum Messe-Auftakt.



Die Preisträger:

Kategorie A: Deutschsprachige Belletristik
Ulla Hahn: Das verborgene Wort (DVA)

Kategorie B: Internationale Belletristik
Per Enquist: Der Besuch des Leibarztes (Hanser)

Kategorie C: Zeitgeschichte/Biographie
Günter de Bruyn: Preußens Luise (Siedler)

Kategorie D: Sachbuch
Dietrich Schwanitz: Männer (Eichborn)

Kategorie E: Ratgeber
Alfred Biolek / Eckart Witzigmann: Unser Kochbuch (Mosaik)

Kategorie F: Kinder-/und Jugendbuch
Mirjam Pressler: Malka Mai (Beltz & Gelberg)

Kategorie G: Erfolgreichstes Debüt
Juli Zeh: Adler und Engel (Schöffling)

Kategorie Lebenswerk:
Christa Wolf

Kategorie Publikumspreis:
Joanne K. Rowling



Die Jury des Deutschen Bücherpreises:

Gerhard Beckmann
, Journalist, SZ
Dana Horakova, Kultursenatorin in Hamburg
Elmar Krekeler, Journalist, Welt
Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Sigrid Löffler, Journalistin, Literaturen
Hendrik Markgraf, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel
Dieter Schormann, Vorsteher des Börsenvereins
Franziska Wolfheim, Journalistin, Brigitte