Intervention

Krieg gegen die Realität

Von Richard Herzinger
19.01.2021. Am Ende seiner Präsidentschaft hinterlässt Donald Trump nicht nur innenpolitisch, sondern auch in der Außenpolitik eine Spur der Verwüstung. Die USA - und damit die westlichen Demokratien insgesamt - haben in der Amtszeit Trumps gegenüber ihren autoritären Herausforderern weiter dramatisch an Boden verloren.
Am Ende seiner Präsidentschaft hinterlässt Donald Trump nicht nur innenpolitisch, sondern auch in der Außenpolitik eine Spur der Verwüstung. Seine Diffamierungskampagne gegen die legitimen demokratischen Institutionen des eigenen Landes, die im Sturm seiner von ihm aufgeputschten Anhänger auf das Kapitol gipfelte, hat weltweit das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Zukunftsfähigkeit der US-Demokratie erschüttert - was Autokraten von Peking über Moskau bis Teheran in eine triumphale Stimmung versetzt.

Überhaupt haben die USA - und damit die westlichen Demokratien insgesamt - in der Amtszeit Trumps gegenüber ihren autoritären Herausforderern weiter dramatisch an Boden verloren. So hat Nordkoreas Diktator Kim Jong-un jüngst angekündigt, das nordkoreanische Atomwaffenarsenal einschließlich "Erstschlags-" und "Vergeltungskapazitäten" weiter auszubauen. Die USA brandmarkte er als den "größten Feind" Nordkoreas und erklärte, dessen außenpolitischen Aktivitäten müssten "sich darauf konzentrieren, die USA zu unterwerfen".

Noch vor zwei Jahren hatte Trump Kim als "großen Staatsmann" und "guten Freund" gepriesen und den Eindruck erweckt, dieser sei zur nuklearen Abrüstung bereit. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten. Alles, was Trump mit seiner publicityträchtigen  Umarmung des mörderischen Autokraten bewirkt hat, ist die Aufwertung dieses Führers eines der grauenvollsten Terrorregime der Geschichte und die Verwischung des fundamentalen Gegensatzes von Demokratie und Totalitarismus.

Als ähnliche virtuelle Augenwischerei hat sich Trumps Politik des "maximalen Drucks" gegenüber dem Iran erwiesen. Zwar war seine scharfe Kritik an den gefährlichen Defiziten des Atomabkommens mit den Machthabern in Teheran in weiten Teilen berechtigt. Doch es ohne strategisch durchdachte Alternative einseitig aufzukündigen und zugleich den Rückzug der USA aus der Region zu betreiben, hat zu einem fatalen Resultat geführt: Der Iran setzt seine Hegemonialpolitik, vor allem in Syrien und im Irak, fort und arbeitet jetzt wieder mit voller Kraft am Bau der Atombombe.

An dieser verheerenden Bilanz ändert grundsätzlich auch das einzige wirkliche außenpolitische Verdienst nichts, das der Trump-Regierung zugestanden werden muss: Ihre aktive Rolle beim Abschluss der Friedensvereinbarungen Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko, die einen historischen Durchbruch für die Sicherheit des jüdischen Staats darstellen. Allerdings ging diesem Erfolg ein Prozess der Annäherung zwischen Israel und den sunnitisch-arabischen Mächten voraus, den beide Seiten seit vielen Jahren zielstrebig betrieben haben. Er ist somit keineswegs dem strategischen Genie Trumps zu verdanken, wie dieser glauben machen will. Dass die Trump-Regierung den Prozess jedoch massiv unterstützt und dadurch vermutlich beschleunigt hat, kann man ihr nicht absprechen.

Dagegen hat Trumps vermeintlich harte Linie gegenüber dem chinesischen Regime auch dieses eher gestärkt als geschwächt. Weit davon entfernt, wirtschaftlich und politisch ins Wanken zu geraten, hat China kürzlich mit 14 anderen Pazifik-Staaten, darunter die Demokratien Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland, den größten Freihandelspakt der Welt abgeschlossen. Und während Trump gegenüber dem Regime in Peking den starken Mann markierte, hat dieses unter dem Bruch internationaler Verträge Hongkong seiner letzten demokratischen Freiheiten beraubt und es faktisch gleichgeschaltet. Letztlich können die Machthaber in Peking mit Trump hoch zufrieden sein, haben dessen großspurigen autistischen Alleingänge doch die Spaltung des Westens weiter vertieft. Und das globale Engagement für Menschenrechte wurde von Trump weitgehend aus der US-Außenpolitik getilgt.

Tatsächlich diente ihm die heftige Rhetorik in Richtung Peking, dessen starken Mann an der Spitze er in Wahrheit zutiefst bewundert, vor allem zur Ablenkung von seinem vasallenhaften Verhältnis zu Wladimir Putin. Dies ist zuletzt deutlich geworden, als eine großangelegte Hackerattacke auf regierungsamtliche US-Netzwerke, darunter dem des Verteidigungsministeriums, aufgedeckt wurde, womit sich der Kreml Zugang zu sensiblen Regierungsdaten verschafft hat. Doch obwohl selbst Mitglieder seiner eigenen Regierung eindeutig Russland als Urheber dieses beispiellosen Cyberangriffs identifiziert haben, zweifelte der abgewählte Noch-Präsident dies öffentlich an und brachte statt dessen ohne Beleg China als möglichen Übeltäter ins Spiel.

Das überrascht nicht, denn Trumps beharrliches, aggressives Leugnen der Gefahr, die den USA von Putins Russland droht, hat Methode. Statt die US-Sicherheitsapparate für den Kampf gegen diese existenzielle Bedrohung angemessen zu wappnen und zu motivieren, hat Trump sie immer wieder denunziert, diskreditiert und damit gravierend geschwächt. Er hat so Putins Desinformations- und Disruptionsapparaten ermöglicht, sich im innenpolitischen Nervensystem der USA festzusetzen.

Das Putin-Regime agiert heute aggressiver denn je. Die Prognose einer Reihe von westlichen Experten, die Corona-Krise werde die Dysfunktionalität des Putinschen Herrschaftssystems offenbaren und in seinen Grundfesten erschüttern, hat sich als Wunschdenken erwiesen. Ganz im Gegenteil betrachten die Kreml-Ideologen die Pandemie und die extremen Schwierigkeiten, die ihre Bewältigung den westlichen Demokratien bereitet, als Bestätigung ihrer Überzeugung  dass der Liberalismus historisch ausgespielt habe und ihr eigenes autoritäres System ihm überlegen sei.  

Autokratien wie die Putins scheren sich nicht um das Wohlergehen und die soziale Realität ihrer Bevölkerung. Es ist die Realität selbst, gegen die sie Krieg führen und gegen die sie sich immunisieren, indem sie diese Stück für Stück durch eine fiktive Scheinwelt ersetzen - in der Erwartung, dass sich darin am Ende niemand anderes mehr zurechtfinden kann außer sie selbst. Trump hat versucht, dieses Prinzip systematischer Desorientierung auch in den USA durchzusetzen und damit die Grundlagen für eine Autokratie zu legen. Dieser Versuch ist mit seinem Ausscheiden aus dem Amt keineswegs beendet.

Den Europäern bietet diese katastrophale Bilanz jedoch keinerlei Anlass zur Überheblichkeit. Die EU hat sich als unfähig erwiesen, die Lücke zu füllen, die der Ausfall der USA als Führungsmacht der freien Welt gerissen hat. Es fehlt ihr weiterhin eine klare strategische Positionierung gegenüber Putins Aggression, und Menschenrechte kommen bei ihr im Umgang mit Mächten wie China, Iran und Saudi-Arabien allenfalls noch als folgenloses Lippenbekenntnis vor. Im übrigen drohen die Kräfte des Irrationalismus, die Trump entfesselt hat, alle liberalen Demokratien des Westens zu zerstören. Der Kampf gegen sie kann nur auf beiden Seiten des Atlantiks gleichzeitig geführt und gewonnen werden.

Richard Herzinger

Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine neue Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. Der Text ist gegenüber der Originalkolumne leicht ergänzt. D.Red. Hier der Link zur Originalkolumne.