Im Kino

Er blickt, sitzt und wartet

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Ekkehard Knörer
15.01.2020. Elia Suleiman ist in seinem Film "Vom Gießen des Zitronenbaums" seine eigene - stumme - Hauptfigur, die in Nazareth, Paris und New York von Palästina träumt. Wolfgang Büld und Reinhard Klooss mischen den DDR-Klischees in "Go Trabi Go 2 - Das war der wilde Osten" noch etwas Kapitalismusgroteske bei.


Niemand hat mehr Screentime in den Filmen des Regisseurs Elia Suleiman als Elia Suleiman selbst. Man wird dennoch zögern, ihn deren Hauptdarsteller zu nennen. Ja, es ist fast zweifelhaft, ob er in diesen Filmen, er hat nicht sehr viele gedreht, überhaupt ein Darsteller ist. Wenn ja, dann: der Darsteller seiner selbst. Gelegentlich wird er als Elia Suleiman adressiert, auch in "Vom Gießen des Zitronenbaums", der im Original den sehr viel schöneren und beziehungsreicheren Titel "It Must Be Heaven" trägt. So sitzt er einmal, spät im Film, im Wartezimmer einer Firma namens "Meta Film". Der Ort ist New York. Neben ihm: der Schauspieler und Regisseur Gael García Bernal, er stellt ihn der Frau vor, die ihn abholen kommt. Hier, mein Freund Elia Suleiman, er will einen Film drehen mit dem Titel "Heaven Can Wait". Reaction Shot Suleiman: Augenbrauen nach oben, leises Entsetzen, aber er widerspricht nicht. Sein Freund Gael und die Frau gehen nach draußen, Suleiman bleibt alleine zurück.

Suleiman widerspricht nicht. Er bleibt die ganze Zeit stumm, selbst als ihn ein japanisches Paar in Paris auf der Straße anspricht und fragt, ob er vielleicht Brigitte Dessang sei. Er sitzt stumm herum, er blickt stumm in die Welt, markante Brille, leicht zerzaust, bestens gekleidet, Hut auf dem Kopf. Er blickt, sitzt und wartet. Oft zündet er sich eine Zigarette an, raucht. Draußen wie drinnen. In Nazareth, in Paris und sogar in New York. Nazareth ist die Heimat, da sitzt Suleiman auf seinem Balkon, blickt auf die Zitronenbäume im Garten und muss beobachten, wie der Nachbar sich dreist die Früchte unter den Nagel reißt, dann den Baum beschneidet, den von Suleiman neu gepflanzten kleinen Baum wässert und dabei klar macht, dass diese Aneignung nur zum besten des Baums ist. Völlig unverhohlene und unsubtile, dabei aber sehr komische Allegorie der israelischen Landnahme auf Palästinensergebiet.

Elia Suleiman sitzt und wartet. Oder er geht. Ausdrücklich fallen, so scheint es, der Blick des Regisseurs und der Kamera da, wo sie nicht den Regisseur, sondern Menschen und Vorgänge beobachtet, in eins. In Nazareth kommen junge Männer mit Schlagstöcken in der Hand die Straße hinauf. Polizisten, die wahren Protagonisten des Films, tun seltsame Dinge, fahren mit Segways Choreografien, probieren neue Sonnenbrillen in rasender Fahrt an. Sie hüten nicht die Ordnung, höchstens tun es die vier vom Ordnungsamt, die in gleichfalls seltsamer Choreografie mit hochwichtigen Gesten und Maßband die Terrasse eines Cafés in Paris vermessen. Dann sind da zwei schwarze Männer von der Stadtreinigung, die mit ihren Besen als Hockeyschlägern Getränkedosen in einen Abwasserschlitz am Straßenrand kicken. Szenen des Alltags wie jene, in der eine ganze Reihe von Panzern vor der Banque de France vorbeiparadieren. Dann wieder: Elia Suleiman vor der Pyramide des Louvre, ungewohnt menschenleer ist Paris.



Elia Suleiman sitzt, wartet, ist präsent, blickt. Die Blicke, die fallen, lässt der Film sacken, indem er in reaction shots auf den blickt, der sie wirft. Suleiman als Beobachter, der höchstens durch das Hochziehen der Augenbraue kommentiert, ist die Abweichung vom bloßen Gang der Beobachtungsdinge. Er bringt die leisen Seltsamkeiten, die er mit leichter Hand arrangiert, auf Abstand. Er ist das Einzige, das die Vignetten, aus denen der Film besteht, verbindet. Wenn es einen Plot gibt, der von Nazareth nach Paris und New York (und wieder zurück) führt, dann ist es Suleimans Suche nach Geldgebern für den Film, den wir sehen. Aber eigentlich ist die Behauptung eines solchen Plots fast zu gewaltsam für einen Film, der zart ist wie der Spatz, der eine Szene lang den Regisseur beim Schreiben belästigt. Ganz unaggressiv ist auch Suleiman selbst. Manche fühlen sich durch den Deadpan seiner Blicke und seines Anblicks an Buster Keaton erinnert. Aber es gibt keine Körperkomik, kein Verwickeln in die Tücke von Mensch und Objekt. Was es gibt, ist Verkörperung: des Regisseurs im Film, den er inszeniert; der Abweichung vom bloßen Blick durch den stets - wenn auch nicht immer vorhersehbaren - Kamera-Gegenschuss zum Geschehen; und Palästinas.

Elia Suleiman kommt, wie Jesus, aus Nazareth. Er ist Araber in Israel, er ist Bürger Israels und, anders als Jesus, griechisch-orthodoxer Christ. Er hat sich der Sache Palästinas verschrieben, ein Linker, ein Feind des fanatischen Nationalismus, der sich doch eine zukünftige Heimat Palästina erträumt. Er will kein politischer Filmemacher sein, vieles in diesem Film führt auch anderswohin, in Richtung Tati, in Richtung Melancholie und sanfte Absurdität. Und doch führt auch vieles zur Sache Palästinas. Einmal nämlich spricht der stumme Beobachter doch. Ankunft in New York, ein schwarzer Taxifahrer fragt den Gast nach dessen Herkunft. Ich bin aus Nazareth, sagt er. Ist das ein Land, fragt der Fahrer zurück. Suleiman: Ich bin Palästinenser. Der Taxifahrer ist begeistert, die Fahrt ist umsonst. Reaction Shot: Elia Suleiman erfreut und verblüfft.

In einer anderen Szene lässt Suleiman sich, und Palästina, die Karten legen. Die erste Auskunft klingt gut: Ja, es wird auf Erden ein Staat Palästina entstehen. Dann fügt der Kartenleger hinzu, indem er sein Gegenüber Elia Suleiman adressiert: Es wird nicht zu deinen oder meinen Lebzeiten sein. Am Ende hat Gael García Bernal wohl doch recht: "Heaven Can Wait" wäre der realistischere Titel gewesen.

Ekkehard Knörer

Vom Gießen des Zitronenbaums - Frankreich 2019 - OT: It Must Be Heaven - Regie: Elia Suleiman - Darsteller: Elia Suleiman, Tarik Kopty, Kareem Ghneim, George Khleifi - Laufzeit: 97 Minuten.

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Nachdem Udo (Wolfgang Stumph) und Rita Struutz (Marie Gruber) mit Teenage-Tochter Jaqueline (Claudia Schmutzler) in ihrem Trabi Schorsch im ersten Teil der "Go Trabi Go"-Reihe bis nach Neapel getuckert waren, finden sie sich zurück im heimischen Landwitz in der sächsischen Provinz, zwar obdachlos, weil das Mietshaus, in dem sie wohnten, einem geplanten Golfplatz weichen musste, aber dafür im Besitz einer Gartenzwergfabrik, die ein Onkel ihnen vererbte.

Um die Produktion wieder aufzunehmen, muss allerdings eine Millionen Mark in den maroden Betrieb investiert werden. Andernfalls wartet eine Abfindung in Höhe von einer Mark durch das "Bundesministerium für Abwicklung". Wobei sich der aus dem Westen zugezogene Bürgermeister Kuhn, der große Pläne für den kleinen Ort hat, nicht nur als geschäftlicher Kontrahent Udos herausstellt, sondern bald auch mit ihm um die Gunst seiner Frau konkurriert, während sich Jaqueline als Kellnerin im örtlichen Strip-Club verdingt. Udo hat also alle Hände voll zu tun, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, wobei ihn seine Suche nach Geldgebern bis nach New York führen wird. Hilfe findet er dabei vor allem bei dem fahrenden Berliner Geschäftemacher Charlie (Rolf Zacher).

Wo Peter Timm im Vorgänger zu einem deutsch-deutschen Road-Movie letztlich so wenig einfiel, dass er kaum mehr war als ein auf 90 Minuten gezogener und zu allem Überfluss nicht sonderlich lustiger Trabi-Witz, versucht das Regieduo Reinhard Klooss und Wolfgang Büld in "Go Trabi Go 2", ihre DDR-Klischee-Parade mit einer Kapitalismusgroteske zu konfrontieren. Exemplarisch hierfür ist die Figur Charlies, der schwarz-rot-goldene Kondome der Marke "Einheit" mit Bananengeschmack u. a. einer örtlichen Gruppe von Skinheads zu verkaufen versucht, die in den frühen Neunzigern, also der heute oft als "Baseballschlägerjahre" erinnerten Zeit, zwar als saudämliche, aber sonderbar harmlose Karikaturen gezeichnet werden.



Es sind vor allem die Nebenfiguren, wie etwa ein großspurig vor sich hin fluchender New Yorker Geschäftsmann, die den Film interessant machen; und insbesondere Rolf Zacher, der wohl für jeden Film eine Bereicherung darstellt, ist der einzige Darsteller des Ensembles, dessen Figur jenseits der Klischees, auf die sie rekurriert, wirklich ein Eigenleben entwickelt. Wo für den Deutschlehrer Udo die klassisch bürgerliche Bildung Mittel zum Zweck ist - Goethes "Italienische Reise" als Landkarte im ersten Teil, der "Faust" als Anleitung für geschäftliche Verhandlungen hier - und Kuhn beim Frühsport mit seinen lokalen Assistenten verkündet: "Wir machen uns fit für den Markt," begegnet Zachers Charlie dem unterschiedlich gelagerten Utilitarismus der Spießer aus Ost und West als wandelndes, Popsongs rezitierendes Lustprinzip, für den noch das Geschäft in erster Linie Spaß machen soll.

Ist der Film dem ersten Teil zwar an Drive und Witz überlegen, so bleiben seine satirischen Ansätze doch etwas halbgar. Es fehlt ihnen nicht nur der letzte Biss, sondern auch ein Konzept, wie sie sich zu den Erfordernissen des Genres verhalten könnten. Immerhin zeichnet sich das Ende durch eine interessante Dissonanz aus, scheint es doch einerseits den Figuren ihr Glück ehrlich zu gönnen, aber auch beseelt von der Erkenntnis zu sein, dass die wiedervereinigte Familie, die im Trabi durch blühende Landschaften dem Sonnenuntergang entgegen fährt, vor allem eins ist: fit gemacht für den Markt.

Nicolai Bühnemann

Go Trabi Go 2 - Das war der wilde Osten - Deutschland 1992 - Regie: Wolfgang Büld, Reinhard Klooss - Darsteller: Wolfgang Stumph, Claudia Schmutzler, Marie Gruber, Rolf Zacher - Laufzeit: 93 Minuten.

Beide "Go Trabi Go"-Filme sind ab dem 16. Januar als Wiederaufführungen in den Kinos zu sehen.