Essay

Nur eine Männerfantasie?

Von Necla Kelek
06.06.2018. Der heute Abend in der ARD laufende Fernsehfilm "Die Unterwerfung"  distanziert sich durch eine Rahmenhandlung von dem Roman Michel Houellebecqs. Diskutieren wir also mit Hilfe des Films nicht  über die Gefahr der möglichen Islamisierung in Europa, sondern nur über den Opportunismus eines Gescheiterten?
Die Verfilmung von Michel Houellebecqs Roman "Die Unterwergung" mit Edgar Selge in der Hauptrolle läuft heute Abend in der ARD. Anschließend wird bei "Maischberger" über das Thema des Films diskutiert. Unsere Autorin Necla Kelek gehört zu den eingeladenen Gästen. D.Red.

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Edgar Selge spielt in dem ARD-TV Film "Unterwerfung" den Schauspieler Edgar Selge, der im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg im Stück nach dem Roman von Michel Houellebecq die Hauptrolle des Literaturprofessor François spielt.

Was zunächst als raffinierte Brechung und Verschränkung von Spiel und Realität erscheint, erweist sich im Laufe des Films tatsächlich als Distanzierung der Macher vom Inhalt des Stückes und als die Denunzierung des Autors Houellebecq. Das geschieht ganz subtil mittels der hinzugefügten Rahmenhandlung. Auf dem Weg ins Theater - es ist während der Krawalle um den G 20 Gipfel in Hamburg - wird Selge von drei türkischen Jugendlichen "angetanzt" und ihm die Geldbörse entwendet - so wird erzählt.

Selge geht dann in der Rolle des François auf die Bühne und in der Folge wird die dystopische Geschichte von Lebens- und Liebesverdruss des Romanhelden in einer Mischung aus Theaterszenen und Romanverfilmung vor dem Hintergrund der französischen Präsidentenwahl im Jahr 2022 erzählt. Frankreich und die Universität stehen kurz vor der Übernahme durch die Brüderschaft der Muslime und François unterwirft sich, letztlich des persönlichen Vorteils und der Aussicht auf allzeit verfügbare Frauen wegen, dem islamischen Diktat. Eine jämmerliche Figur, deren Männerfantasien offenbar so absurd sind wie die Vorurteile des Autors Houellebecq gegen den Islam und die des Schauspielers gegen die türkischen Jungs, die seine Geldbörse natürlich nicht geklaut haben.

Selge spielt seine Rolle im Film wie im Theater gut, ohne Zweifel. Aber er macht letztlich im Film das, was er im Theater nicht macht, Houellebecq durch eine Relativierung in den Rücken zu fallen. Relativiert wird so auch die von Houellebecq erzählte Unterwerfung der Intellektuellen vor der Realität.

Im Jahr 2022 ist die Islamisierung in Frankreich ein großes Thema. Er überlegt bei einem Spaziergang, welche Auswirkungen es auf das gesellschaftliche Leben haben könnte. | Bild: rbb/NFP / Manon Renier



Houellebecq führt in seinem Roman in Frankreich spielerisch einen Islam ein, wie er in 55 islamischen Staaten Realität ist. Eine islamische Diktatur, in der Frauen genau diese Rolle spielen, wie sie im Roman dargestellt wird, und nicht die, die sich angeblich nur im Hirn eines verlorenen weißen Literaturprofessors abspielt. Die Frauen sind in vielen dieser Länder sogar rechtlich die Sklavin des Mannes. In fast allen dieser Länder werden Mädchen früh verheiratet und können nur verschleiert die Männerdomäne, uns bekannt als  Öffentlichkeit, betreten. Diese real-existierende Welt in der über eine Milliarde Menschen leben, viele bereits auch in Europa, auf eine Fantasie eines kaputten Mannes zu reduzieren, ist dekadent. Oder ist es bereits die Angst vor dem Islam? Die Macher haben sich entweder nicht getraut, das Buch so zu inszenieren, wie der Autor es gemeint hat, als erschreckende Vision. Oder es erschien ihnen wohl als zu gefährlich.

Die Unterwerfung unter den Islam, die Machtübernahme durch Fundamentalisten mussten im Film als feuchte Männerfantasie denunziert werden, damit ihre Wirkung verpufft. Wir diskutieren also nicht mit Hilfe des Films, Theaters und des Buches über die Gefahr der möglichen Islamisierung in Europa, sondern nur über den Opportunismus eines Gescheiterten? Als Künstler steht man so über den Dingen, will keine Stellung beziehen. Oder möchte ein Edgar Selge uns die Angst vor dem Islam nehmen? Man erscheint als mutig, weil man das Thema aufgreift, stiehlt sich aber tatsächlich feige aus der nötigen Debatte heraus? Vielleicht hatten die Theaterleute auch nur Angst vor denjenigen, die nicht ins Theater gehen. Denn die meisten muslimisch-türkischen Migranten gehen weder ins Theater, noch lesen sie Theaterkritiken, aber Fernsehen schauen doch einige. Da will man wohl nicht provozieren.

Die Themen, die der Islam in unserer Gesellschaft aufwirft, finden eh kaum Zugang auf den Bühnen dieses Landes. 2006 wurde eine "Idomeneo"-Inszenierung vom Spielplan der Deutschen Oper Berlin abgesetzt, weil man befürchtete, dass die Szene in der Jesus, Buddha und Mohammed der Kopf abgeschlagen wird, muslimische Gewalttäter provozieren könnte. Lessings "Nathan der Weise", als einziges klassisches Repertoire-Stück zum Thema Religion, wird meist als Toleranz-Kitsch und nicht als Auseinandersetzung mit der Glaubens-Orthodoxie inszeniert. Voltaires "Mahomet" ist unaufführbar. Soweit, so einseitig.

Und wenn man sich im Theater mit Fragen wie Islam oder Integration auseinandersetzt, überlässt man das  - wie in der Politik die Integration den Migrantenverbänden und Moscheevereinen -  dem Migrantenstadel. Als solcher hat sich das mithilfe einer Raubtiernummer zum "Theater des Jahres" hochgejazzte Gorki-Theater in Berlin-Mitte  etabliert. Im Ton moralischer Korrektheit und Hypermoralität - weit entfernt vom Theater als Ort der Reflexion - inszenieren sich dort seit ein paar Jahren Migrantendarsteller als Opfer der bösen Deutschen. Wenn sie wenigstens die orientalischen Traditionen des Geschichtenerzählens beherrschten, wäre man ja schon dankbar. Statt dessen inszenieren sie "Schenkelklopfen für Kumpelclubs" (Berliner Zeitung). Die Bühne als Ort der Realitätsverweigerung oder wie bei Edgar Selge des Verrats durch Nicht-Identifikation mit dem Thema führt zur Entpolitisierung von Politik.

Das Theater als Spiegel - ein Ort der Unterwerfung.

Necla Kelek